Die Presse

Wenn Opa seine Träume ausplauder­t

- Von Erich Demmer

Johann Schlemihl, der Großvater des Erzählers in László Végels Roman „Balkanschö­nheit oder Schlemihls Bastard“, ist ein Mann, der bloß versucht, über die Runden zu kommen. Ort des Geschehens ist eine Stadt in der Vojvodina – seit jeher ein Zankapfel zwischen Ungarn und Serben.

Der Texter in der Werbung ist meist für die Schändung der Mutterspra­che verantwort­lich, der an Logorrhöe erkrankte Zutexter für seinen abundanten Redefluss. Sonst wohl vereinsamt in den Ödnissen des Internets verharrend, beschwatze­n solche Leute unerbittli­ch jeden Menschen, dessen sie habhaft werden können. Meist geht es dabei um irrelevant­en Tratsch oder die Weitergabe abgestande­ner Witze. Meist passiert derlei Lokalgäste­n, wenn zwei Stunden vor der Sperrstund­e ein angeheiter­ter Gast das Lokal betritt und die Theke ansteuert.

Doch damit gibt sich der Ich-Erzähler im Roman „Balkanschö­nheit oder Schlemihls Bastard“von László Végel nicht zufrieden: Das ganze Leben muss es sein! Und nicht nur sein eigenes, auch das seines verehrten Opas. Ort des Geschehens ist eine an Novi Sad erinnernde Stadt in der Vojvodina – seit jeher ein Zankapfel zwischen Ungarn und Serben, in der die Herrschaft im 20. Jahrhunder­t oft wechselte, dazu gibt es einige deutschspr­achige und jüdische Menschen.

Anfangs noch zur Habsburger Monarchie gehörig, nach dem Ersten Weltkrieg Teil des neu entstanden­en jugoslawis­chen SHS-Staates, im Zweiten von den mit NS-Deutschlan­d verbündete­n Ungarn kontrollie­rt, die dann von Partisanen vertrieben wurden, ehe der jugoslawis­che Staat nach dem Tod von Marschall Tito wieder in seine Einzelstaa­ten zerbröselt­e. Mit dem Namen der gerade Herrschend­en änderte sich auch der Name der einzelnen Menschen. So wurde etwa aus dem Opa Johann Schlemihl ein János Slemil, der als Jovan Slemil starb.

Schlemihl – diesen Namen kennen noch manche aus einem Märchen des romantisch­en Autors Adalbert von Chamisso. Darin verkauft die Titelfigur, ein armer Teufel, seinen Schatten dem wirklichen, der wieder einmal auf Seelenfang ist. Der Name stammt aus dem Jiddischen und meint ungeschick­te Person, Pechvogel, Narr.

Doch Johann Schlemihl, der Opa des Erzählers, ist kein Narr, sondern ein Mann, der versucht, in wechselnde­n Situatione­n über die Runden zu kommen. Mit zehn Jahren Waise geworden, arbeitete er erst als Schweinehi­rt und Gärtner, half bei einem Krämer aus, glänzte in der Schule mit guten Noten und wurde dank seiner Geschickli­chkeit Lehrling beim Schlosserm­eister Schwarz, in dessen Adoptivtoc­hter Hilde er sich Jahre später verlieben und sie heiraten würde. Doch das Glück währte nicht lange, auch wenn Hilde ihm die Tochter Erika gebar. Nach dem Ersten Weltkrieg übersiedel­te Meister Schwarz mit Frau und Hilde nach Wien. Sie sprachen dabei von einer baldigen Rückkehr, inzwischen solle Johann das Geschäft kommissari­sch weiterführ­en. So blieb er mit seiner kleinen Tochter Erika allein zurück in Novi Sad. Und passte auf, dass alles so blieb, wie es war. Die Zeitläufte eröffneten ihm ein neues Geschäftsf­eld. Denn: Endet der Krieg mit seinen Waffen, kommt die Zeit der neuen Wappen! Die begüterte Oberschich­t will damit ihr Eh-schon-immer-Serbentum zeigen, und keiner produziert­e Wappen so gekonnt wie der Johann-Opa, erzählt Enkel Ferenc/Franz/Franjo dem „schönen Fräulein Laura Rottenbill­er“, einer von den Männern umschwärmt­en Kellnerin und Sängerin im benachbart­en Hotel Luxor.

Laura ist die zweite Balkanschö­nheit, die uns der Buchtitel verspricht, beginnen wir aber mit der ersten: Ivana – die serbische Kellnerin, die nach der Niederlage Habsburgs mit den serbischen Siegern kam, und um die bald die Notabeln der Region herumschwi­rrten wie die Motten ums Licht. Doch just zum Opa fasste die Diva Vertrauen, weil der ihr das Fahrradfah­ren beibrachte, womit sie Wien wieder erreichen wollte. 1914 hatte sie die Malerin Barbara nach Wien gebracht, um von ihr Aktbilder zu malen, die in Ausstellun­gen für Furore sorgten. Doch Ivana blieb weiter in Novi Sad und wurde Leiterin der Post – was dem Opa sehr missfiel, hatte ihm doch einst im Traum Kaiser Franz Joseph versproche­n, dass Tochter Erika dafür vorgesehen sei. Doch Ivana verschafft­e ihm ein Zubrot: Er wurde für die Sicherheit und Reparature­n angestellt. Das verschafft­e ihm monatlich 100 Dinare, aber auch Neid und Zorn der verblieben­en Ungarn, die in ihm nun einen Verräter sahen.

Man muss ehrlich sagen, dass den Opa nie sein Handeln in Troubles brachte, sondern seine Träume – die er in seinem Redezwang oft ausplauder­te. Etwa dass nicht nur der alte Kaiser Franz Joseph ihm die Poststelle für die Erika versproche­n habe, sondern auch Ungarns Reichsverw­eser Miklós Horthy, ja sogar Adolf Hitler, dessen Stimme Erika so gern im Radio hörte, und Josef Stalin. Als dieser 1945 sein Verspreche­n nicht hält, nennt ihn der Opa vor Nachbarn einen Lügner, was ihm eine Verhaftung einbringt. Gerettet hat ihn damals, dass er dem neuen Ortschef Svetozar im Verhör seine ganze Vita erzählte.

In Österreich würde der im Jahr 1941 in der Vojvodina als Angehörige­r der ungarische­n Minderheit geborene László Végel – er lebt schon lange in Ungarn – für seinen blumigen Schelmenro­man von Boulevord und Krawallpar­teien als übler Nestbeschm­utzer, wenn nicht gar Staatsfein­d angefeinde­t. Denn in seinen ausufernde­n Geschichte­n, über die hier nur zu einem kleinen Teil die Rede war, entlarvt er Opportunis­mus, Gier, Wankelmüti­gkeit, Egoismus und Wut der „kleinen Leute“, die an Bösartigke­it den „großen“nicht nachstehen wollen.

Neben der Schilderun­g kauziger Figuren sorgt der Autor auch für kleine Gags. Über den aufschäume­nden ungarische­n Nationalis­mus in der Zwischenkr­iegszeit – man hatte im Friedensve­rtrag von Trianon nicht nur die Slowakei an die Tschechen, das Burgenland an Österreich und Siebenbürg­en an Rumänien „verloren“– könnte ein Autor Seiten füllen. Végel begnügt sich mit einer knappen Erwähnung eines „Revisions-Liederwett­bewerbs 1932“zur moralische­n Stärkung des Madjarentu­ms.

Das Buch endet mit seinem Beginn. Als die Svetozar-Tochter Olga ihn bittet, etwas über den Opa zu berichten, kann der Enkel erneut loslegen. Zuerst nur Teile des ersten Absatzes. Aber: „Ab und an unterbrach ich meine Rede, verstummte für kurze Zeit und horchte auf Olgas gleichmäßi­ge Atemzüge. Ich höre dir zu, sagte sie plötzlich. Und ich sprach weiter . . .“

 ?? Roman. Aus dem Ungarische­n von Christina Kunze. 280 S., geb., € 24,95 (Wieser) ?? László Végel Balkanschö­nheit oder Schlemihls Bastard
Roman. Aus dem Ungarische­n von Christina Kunze. 280 S., geb., € 24,95 (Wieser) László Végel Balkanschö­nheit oder Schlemihls Bastard

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