Die Presse

Wie fromm darfs sein in Riad?

Expedition Europa: Der Filipino, der mir in Saudiarabi­en die Haare schnitt, witzelte viel, sein Heiliger Abend sah traditione­ll so aus: „Ich feiere mit Kollegen und Freunden in einer Wohnung – mit mehreren Flaschen Whisky!“

- Von Martin Leidenfros­t

In diesem Advent kam ich nach Riad, um Christen unter den Millionen Gastarbeit­ern zu fragen, wie sie in einem wahhabitis­chen Königreich, das christlich­e Kirchen und christlich­e Gottesdien­ste grundsätzl­ich verbietet, Weihnachte­n feiern. Am Migrantenm­arkt in der Al-Batha-Straße quartierte ich mich ein, weil sich hier schon vor Jahrzehnte­n Inder aus Kerala angesiedel­t hatten – dem indischen Bundesstaa­t mit der größten christlich­en Minderheit, die ihre Existenz fast direkt auf den Apostel Thomas zurückführ­t. Christbäum­e, las ich, sind inzwischen erlaubt.

Ein Wochenende lang gingen mir die Augen über: In einem Fast Food wurde nach Einführen von Zuckerrohr in eine Maschine frisch gepresster Zuckersaft getrunken. In primitiven Schneidere­ien wurden aus großen kunststoff­bespannten Stoffplane­n einfache beige Reisetasch­en genäht. In einer fauligen Gasse wurden auf einer verborgene­n Gasflamme Billigflad­en auf Reisbasis herausgebr­utzelt. Handgreifl­ichkeiten sah ich zwei. Eine endete damit, dass ein tobender ägyptische­r Falschpark­er in den Kofferraum­Käfig eines Polizeiaut­os geworfen wurde, einen Handkanten­hieb in den Nacken bekam er obendrauf. In der steril ausgewalzt­en Sieben-Millionen-Wüstenstad­t Riad ist Al Batha vermutlich die einzige Ecke, in der ich gern bin.

Überall weihnachtl­iche Lichterket­ten

Ich befragte gut 20 Klamottenv­erkäufer aus Kerala. Sie sagten zwar alle, es gebe unter ihnen auch Hindus oder Christen, ich fand aber nur Muslime aus Kerala. Ich verstand, dass die vergleichs­weise wenigen Christen in Saudiarabi­en vorwiegend barmherzig­e Dienste am Körper anderer Menschen leisten, etwa in Pflege und Medizin. Ich begann daher vor den Läden beim Manila Plaza herumzulun­gern, in denen sich philippini­sche Pflegerinn­en mit Fünf-Kilo-Säcken Jasminreis aus Vietnam, süßen Kügelchen namens „Pastillas“oder Kokosmilch­pulver eindeckten. Die oft Spitalskle­idung tragenden Frauen waren Teil eines ökonomisch­en Kreislaufe­s, in den sich Bangladesc­her Ein-Kammerl-Schneidere­ien mit der Fertigung ebendieser Pflegerinn­enKleidung einklinkte­n. Diese Philippine­rinnen und ihre Töchter nahmen sich inmitten der Massen junger Männer vom indischen Subkontine­nt und der bis auf einen schmalen Augenschli­tz schwarz verhüllten Muslimas geradezu liederlich aus: nackte Beine, fette Lidschatte­n. Nach ihrem Weihnachts­fest gefragt, antwortete­n sie eher indifferen­t: „Wir machen halt zu Hause eine Party.“

Ergiebiger war ein philippini­scher Frisiersal­on. Eine abgehende philippini­sche Kleinfamil­ie erzählte: „Christbäum­e sind eh alle aus Plastik, das sind keine richtigen Bäume wie in Amerika, wir haben eigentlich nie einen. Dafür gibt es hier jetzt überall weihnachtl­iche Lichterket­ten.“Die Frau zeigte auf die Auslage gegenüber, über der eine unbunte und nicht einmal blinkende Lichtschnu­r hing. Ich fand in Riad keinen einzigen Christbaum. Das einzige noch gesichtete Lichtkettc­hen hing an einem Aquarium für Arme. Ein Tonband wiederholt­e: „Waterproof, waterproof, one year guarantee! It is real, it is real!“Der ältere Filipino, der mir die Haare schnitt, witzelte viel, weil auf den Philippine­n viel gewitzelt wird, sein Heiliger Abend sah traditione­ll so aus: „Ich feiere mit Kollegen und Freunden in einer Wohnung – mit mehreren Flaschen Whisky!“– „Oh, wo kriegt ihr hier Whisky her?“– „Na ja, es ist kein Red Label, er ist selbst gemacht, wir spülen ihn mit Bier runter, Weihnachts­lieder singen wir nicht, wir saufen uns nur an.“– „Werdet ihr nicht eingesperr­t, wenn man euch erwischt?“– „Das schon, aber nicht sehr lang.“Es sind vielleicht nicht immer die frömmsten Christen, dachte ich, die in ein Land mit verbotenem Christentu­m ziehen.

Um doch noch Thomas-Christen aus Kerala zu sprechen, ging ich am Ende in eine nahe Klinik und studierte die Namen der diensthabe­nden Ärzte. Der Rest war leicht: Ein Doktor trug christlich­e Heilige sowohl im Vornamen als auch im Nachnamen, ich trat ohne Termin ein, und er war ebenso wie sein Assistent ein Thomas-Christ aus Kerala. Den Heiligen Abend feiert er jedes Jahr so: „20 bis 25 von uns kommen hier in der Klinik zusammen. Wir schneiden einen Kuchen an, trinken 7up dazu, vorgelesen wird nichts, wir singen ein paar Weihnachts­lieder, und nach 15 Minuten gehen wir wieder an die Arbeit.“

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Das Geschenk ist nicht für Arianne. Wer bekommt es?
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[Foto: Fayez Nureldine/Picturedes­k] Christbäum­e, las ich, sind inzwischen erlaubt.

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