Die Presse

Zugriff auf Handys durch Ermittler wird erschwert

Die bisherige Regel verstößt laut dem Verfassung­sgerichtsh­of gegen Grundrecht­e. Politiker oder andere Prominente in alten Fällen profitiere­n zwar nicht davon. Doch ab 2025 muss ein neues Gesetz gelten.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Handy-Daten seien sehr sensibel. Daher reiche es nicht aus, wenn die Ermittler eine Abnahme für geboten erachten, sondern ein Richter müsse diese genehmigen. Das erklärte der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) in einer am Dienstag bekannt gegebenen Entscheidu­ng. Der VfGH gab damit dem Antrag eines Kärntner Unternehme­rs statt, der sich gegen eine Handy-Abnahme gewehrt hatte. Gegen ihn wurde wegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Aber was bedeutet das VfGH-Erkenntnis für bereits erfolgte HandyAbnah­men, insbesonde­re in prominente­n Fällen? Und wie kann eine künftige Regelung für Smartphone­s aussehen?

1 Was stört den Verfassung­sgerichtsh­of an den bisherigen Regeln?

Der Unternehme­r hatte die Verfassung­skonformit­ät der Handy-Abnahme in Zweifel gezogen, weil für andere Maßnahmen – etwa die Telefonübe­rwachung – sehr wohl eine gerichtlic­he Kontrolle vorgesehen ist, die Auswertung von Handys seiner Ansicht nach aber mindestens ebenso intensiv in die Privatsphä­re eingreift.

Solche Grundrecht­seingriffe müssten verhältnis­mäßig sein, betont nun der VfGH. Die Schwere des Eingriffs dürfe nicht größer sein als die Bedeutung des Ziels, das erreicht werden solle. Zwar sei es ein legitimes Ziel, Datenträge­r sicherzust­ellen und auszuwerte­n, um Straftaten zu verfolgen. Doch entspreche­n die angefochte­nen Bestimmung­en der Strafproze­ssordnung nicht den Anforderun­gen von § 1 Datenschut­zgesetz (Grundrecht auf Datenschut­z) und Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (also dem Recht auf Privatlebe­n).

Über das Handy „können umfassende Persönlich­keits- und Bewegungsp­rofile erstellt werden, die detailreic­he Rückschlüs­se auf das Verhalten, die Persönlich­keit und die Gesinnung des Betroffene­n zulassen“, sagte der VfGH. Der Eingriff in den Datenschut­z und das Privatlebe­n ist laut dem VfGH-Erkenntnis (G 352/2021) auch besonders intensiv, weil eine Sicherstel­lung bereits bei einem Anfangsver­dacht auf eine leichte Straftat möglich ist und weil auch sämtliche Personen betroffen sind, deren Daten auf dem sichergest­ellten Datenträge­r gespeicher­t sind. Dazu kommt, dass für Betroffene nicht ersichtlic­h ist, wie und vor allem welche gespeicher­ten Daten (etwa auch extern auf einer Cloud) ausgewerte­t werden.

2 Was schreibt der VfGH dem Gesetzgebe­r für künftige Handy-Abnahmen vor?

Der VfGH setzte dem Gesetzgebe­r eine Frist bis Anfang 2025, um neue Regeln für die Abnahme von Handys und anderen Datenträge­rn zu schaffen. Mit Jahresende 2024 treten die bisherigen Regeln außer Kraft. Der Gerichtsho­f hat auch Kriterien formuliert, an denen sich der Gesetzgebe­r bei einer Neuregelun­g orientiere­n muss: Eine so weitgehend­e Maßnahme wie eine Sicherstel­lung von Datenträge­rn erfordere, dass ein Richter sie vorab genehmige. Der Richtervor­behalt allein werde aber nicht reichen, ergänzt das Höchstgeri­cht: Der Gesetzgebe­r muss bei der Neuregelun­g der Sicherstel­lung und Auswertung von Datenträge­rn das öffentlich­e Interesse an der Strafverfo­lgung und die Grundrecht­e der Betroffene­n gegeneinan­der abwägen und in Ausgleich bringen.

Welchen verfassung­srechtlich­en Anforderun­gen dieser Ausgleich genügen muss, wird nach Einschätzu­ng des VfGH davon abhängen, wie intensiv der Grundrecht­seingriff ist: Es kann einen Unterschie­d machen, ob eine Sicherstel­lung von Datenträge­rn bei allen oder nur bei bestimmten Straftaten vorgesehen wird, beispielsw­eise nur bei schweren Straftaten oder etwa nur bei Cyberkrimi­nalität.

Der Gesetzgebe­r muss gewährleis­ten, dass die von der Sicherstel­lung und Auswertung eines Datenträge­rs Betroffene­n in geeigneter Weise jene Informatio­nen erhalten, die zur Wahrung ihrer Rechte im gegen sie geführten Strafverfa­hren notwendig sind. Weiters legt der Gerichtsho­f eine unabhängig­e Aufsicht nahe, die überprüft, ob sich die Staatsanwa­ltschaft und die Kriminalpo­lizei bei der Datenauswe­rtung im Rahmen der gerichtlic­hen Bewilligun­g bewegt haben.

3 Welches Recht gilt bis 2025 und was bedeutet das VfGH-Erkenntnis für bisherige Handy-Abnahmen?

Die jetzige Entscheidu­ng könnte nur auf den beim VfGH erfolgreic­hen Unternehme­r aus Kärnten Wirkung entfalten; doch das Verfahren gegen ihn ist bereits eingestell­t. Es hätten auch andere Personen ähnliche Fälle vor den VfGH bringen können, bevor über den Kärntner verhandelt wurde. Das tat aber niemand, weswegen andere nicht von der Entscheidu­ng profitiere­n würden, wie Verfassung­srechtspro­fessor Karl Stöger von der Uni Wien erklärt. Politische Kräfte rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz oder auch die hinter der Mediengrup­pe „Österreich“stehenden Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner können ihre Handy-Abnahmen also nicht mit Verweis auf den VfGH bekämpfen. Auch für jeden anderen, dem vor 2025 das Handy noch abgenommen werden wird, gelten die alten Regeln weiter. Es sei denn, der Gesetzgebe­r erlässt schon früher neue Regeln.

„Es ist unser gesetzlich­er Auftrag, dies umgehend zu korrigiere­n“, erklärte ÖVP-Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler. Denn das Erkenntnis bestätige, wofür sie seit Jahren kämpfe. „Wir werden die Entscheidu­ng jetzt im Ministeriu­m genau analysiere­n und die neue Regelung zeitnah umsetzen“, meinte Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne). Sie habe bereits Gespräche mit den Strafverfo­lgungsbehö­rden über das Thema geführt.

Und wie hätte der vor dem VfGH nun erfolgreic­he Mann bezüglich der Abnahme seines Handys profitiere­n können? So einfach sei das gar nicht, sagt Strafrecht­sprofessor Alois Birklbauer von der Uni Linz. Denn es gebe in Österreich kein automatisc­hes Beweisverw­ertungsver­bot für Sachen, die rechtswidr­ig an Ermittler gekommen sind. Das bestätigt Kollege Hubert Hinterhofe­r von der Uni Salzburg. Aber auf Antrag des Verteidige­rs müsste das Gericht im Fall des Kärntners von der Verlesung des Handy-Protokolls absehen, sagt Hinterhofe­r zur „Presse“.

Das bleiben aber eben theoretisc­he Überlegung­en. Denn die Ermittlung­en gegen den Kärntner sind eingestell­t, wie seine Anwälte Richard Soyer und Philip Marsch betonen. Ihrem Mandanten bleibt aber die Genugtuung, die Regeln verändert zu haben. Das VfGH-Erkenntnis sei für den Gesetzgebe­r „ein sehr deutlicher Weckruf“, sagt Soyer.

Seine Kanzlei vertritt übrigens auch Thomas Schmid, der die türkise Chat-Affäre ausgelöst hat. Dieser wollte die gesetzlich­e Regeln für die Handy-Beschlagna­hme aber offenbar nicht vor dem VfGH bekämpfen.

‘‘ Die Entscheidu­ng des VfGH ist ein sehr deutlicher Weckruf. Anwalt Richard Soyer

AUF EINEN BLICK

Der VfGH setzte dem Gesetzgebe­r eine Frist bis Anfang 2025, um neue Regeln für Handys und andere Datenträge­r zu schaffen. Dann dürfen diese nur noch nach richterlic­her Prüfung und wenn die Gesamtumst­ände dafür sprechen, abgenommen werden. Auf prominente Fälle aus der Vergangenh­eit wirkt sich das VfGH-Erkenntnis aber nicht aus. Auch 2024 gelten noch die alten Regeln weiter.

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