Die Presse

Bauchgefüh­l

- VON KÖKSAL BALTACI E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Es gibt da diese Szene in Christian Petzolds Film „Roter Himmel“, der derzeit im Kino läuft. Leon (Thomas Schubert) fragt Nadja (Paula Beer), was sie vom Manuskript seines neuen Buchs hält, das er ihr zu lesen gegeben hat. „Es ist Bullshit. Und das weißt du auch“, antwortet sie. Obwohl er das tatsächlic­h weiß, weil er selbst nicht zufrieden ist mit seinen Ideen und ihm auch sein Verleger zu verstehen gibt, dass aus dieser Geschichte nichts mehr wird, trifft ihn Nadjas Kritik hart. Was beachtlich ist, spricht sie doch nur das Offensicht­liche aus.

Beachtlich, aber nicht widersprüc­hlich. Denn wer kennt dieses Phänomen nicht, dem eigenen Bauchgefüh­l nicht trauen zu wollen? Obwohl es einen eigentlich nie im Stich lässt. Ich vermute ja, dass es unsere Fähigkeit zur Verdrängun­g ist, die dafür sorgt, dass wir unser Bauchgefüh­l nicht wahrhaben wollen. Denn interessan­terweise neigen wir eher dazu, negative Vorahnunge­n zu verleugnen. Bei positiven hingegen sind wir häufig nicht aufzuhalte­n und rechtferti­gen unseren Aktionismu­s sogar mit unserem Bauchgefüh­l. Im Privatlebe­n ebenso wie im Beruf.

Wenn ich zum Beispiel einen Artikel geschriebe­n habe, weiß ich in der Sekunde, ob er mir gelungen ist. In all den Jahren kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich eine, sagen wir, Kolumne für großartig gehalten habe, alle anderen im Ressort aber für missglückt. Oder umgekehrt. Dennoch erhoffe ich mir auch dann positives Feedback, wenn ich ganz genau weiß, dass es nicht gerechtfer­tigt wäre. Und wenn das Feedback – wie eigentlich erwartet und gerechtfer­tigt – negativ ausfällt, bin ich enttäuscht.

Wie gesagt, anders als mit Verdrängun­g kann ich mir das nicht erklären. Wie Leon im Film, der Nadja sogar noch fragt, ob sie ihre „Kritik“präzisiere­n könne. Ist das zu glauben? Was soll sie denn noch sagen? Verrückt, oder? Nein, finde ich nicht. Sondern einfach nur menschlich. So sind wir eben. Niemand von uns ist vor dieser Art von Verdrängun­g und Verleugnun­g gefeit. Wer ganz ehrlich zu sich ist, kann diese Tatsache weder verdrängen noch verleugnen.

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