Die Oper der herzigen Monster
„Wo die wilden Kerle wohnen“ist eine Oper – auch – für Kinder. In Nikolaus Habjans Inszenierung spielen auch seine genialen Puppen mit.
Kinderoper oder Oper – auch – für Kinder? Man könnte meinen, Oliver Knussens „Wo die wilden Kerle wohnen“, basierend auf dem Kinderbuch von Maurice Sendak, gehöre zu ersterer Kategorie. Die Handlung scheint simpel, nach 45 Minuten ist alles vorbei, und das Ausweichquartier in der Halle E des Theaters an der Wien war rappelvoll mit Gschrappen. Und doch gehört das Stück, wie „L’enfant et les sortilèges“, „Hänsel und Gretel“und „Das schlaue Füchslein“eher zur letzteren. Die Musik ist einfach zu gut, die Handlung tiefsinniger, als man auf den ersten Blick vermutet, und die Kürze macht das Ganze unschlagbar. Es gibt keine Oper, die nicht lang genug wäre; die „Wilden Kerle“kommen dem aber löblich nahe. Und während es auch andere gut meinend kurze Opern gibt („Arlecchino“, „Il tabarro“, „Der Zwerg“, „L’heure espagnole“, „Blaubarts Burg“et al.), wird deren Knappheit fast immer durch ein Zuschalten anderer Opern ruiniert. Nicht so hier.
Staubsauger und Inselwildnis
Es geht los in dem von Jakob Brossmann gestalteten, mit überdimensionierten Möbeln und einem unter EU-Richtlinie Nr. 666/2013 nie und nimmer zulässigen Riesenstaubsauger ausgestatteten Bühnenkinderzimmer. Später wandelt es sich durch so einfache wie clevere Mittel zur Wilden-Kerle-Insel: Bäume mit fingergleichen Wurzeln wachsen durch die Wände; die Zimmerhinterwand gibt den Blick frei auf ein Dunkel, in dem man sich die Inselwildnis vorstellen darf.
Die Sopranistin Jasmin Delfs im plüschigen Wolfspyjama gibt den aufmüpfigen Max, und Mama Katrin Wundsam (in ihrer Doppelrolle auch eines der Monster) schickt ihn ohne Essen zu Bett. Also gilt es auf besagter
Insel mit den Wilden Kerlen zu tollen, bis auch Max merkt, dass aller Spaß einmal ein Ende haben muss, um Spaß gewesen zu sein. Es geht zurück zu heißer Suppe und Mutterliebe, die doch immer stärker ist, als ein Kinderzimmer unaufgeräumt sein kann.
Wilde Kerle wie im Bilderbuch
Da es eine Nikolaus-Habjan-Inszenierung ist, gibt es Dopplungen der Protagonisten durch die genialen Puppen des Regisseurs, denen es einfacher fällt, budgettauglich über Meere aus langen, wogenden Stoffbahnen zu fahren und herzige Seemonster zu besiegen.
Die Wilden Kerle sind von Denise Heschl so genial getreu nachgebildet, dass man sich
ins Bilderbuch versetzt fühlt. Die Sänger tragen den Rumpf als Kostüm; Puppenspieler handhaben Gestik und Mimik. Die Wiener Symphoniker spielten sich durch die suggestive, anspruchsvolle, im besten Sinne begleitende Partitur – ein Kompendium all dessen, was es Gutes im 20. Jahrhundert gab –, die Dirigent Stephan Zilias technisch gut abwickelte und mit Wärme und Leben erfüllte.
Als ich meine mitgebrachte 13-jährige – Pardon: fast 14-jährige! – Testrezensentin nach ihrem Urteil fragte, gab’s ein: „Ja, ging so.“Das ist derzeit das so ziemlich höchste Kompliment! Verdient. Es wird wohl kaum bei dieser noch bis 27. Dezember gespielten österreichischen Erstaufführung bleiben.