Was wird jetzt eigentlich aus der Volkspartei?
Die ÖVP steht wieder dort, wo sie vor Sebastian Kurz war. Sein Schatten fällt auf die Partei. Aber eine wirkliche Alternative zu dessen Konzept gibt es nicht.
Ein Bundeskanzler, der nicht weiß, was bei der Neuaufstellung der Beteiligungsholding des Staates vor sich geht, hat seinen Job verfehlt. Er ist vom Wähler dafür gewählt, vom Bundespräsidenten dafür ernannt, dass er der Republik für eine bestimmte Zeit seinen Stempel aufdrückt. Und ein Bundeskanzler vom Typ des Sebastian Kurz wollte das auch. Er war noch dazu einer, der ungern etwas dem Zufall überließ. So perfekt durchorchestriert, organisatorisch, strategisch und inhaltlich, waren die ÖVP als Partei und deren Regierungsvertreter selten zuvor. Das lief dann beim politischen Gegner unter „Message Control“, man könnte es aber auch Professionalität nennen.
Unter diesen Prämissen ist die Strategie des Sebastian Kurz im Verfahren wegen möglicher Falschaussage zweifelhaft. Kurz besteht darauf, in die Konzeption der Öbag nicht wirklich eingebunden gewesen zu ein. Vielleicht war es auch so. Sehr realistisch ist es aber nicht.
Kurz hätte nun einfach den Ausweg des Aussagenotstandes nehmen können. Dass er das nicht tat, lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Weil er sich die Peinlichkeit ersparen wollte, als Bundeskanzler in einem Untersuchungsausschuss nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Für seine Gegenwart und Zukunft als Unternehmer wäre das allerdings relativ unerheblich. Außer: Er hat politisch noch etwas vor. Da wäre eine ganz weiße Weste dann in der Tat von Vorteil.
Die ÖVP liegt derzeit in den Umfragen um die 20 Prozent. So schlecht wie in der Zeit vor Sebastian Kurz. Karl Nehammer müht sich ab, als Bundeskanzler und Parteichef, fleißig, sich in unzählige Sachfragen hineinknieend, bemüht auch um den Koalitionspartner sowie die eigenen Funktionäre. Doch es nützt nichts. Die ÖVP kommt nicht vom Fleck. Bei der Nationalratswahl droht ein Desaster.
Der geschätzte Herausgeber des „Falter“hat eine Erklärung dafür: Die Entscheidung für Sebastian Kurz seinerzeit war falsch, diese habe die Krise der ÖVP nur noch verschärft. „Warum hat die ÖVP nicht bemerkt, dass sie sich mit der Entscheidung für Kurz von jeder inhaltlichen Orientierung verabschiedet?“Die ÖVP, so Armin Thurnher, sei nicht imstande, eine moderne konservative Politik zu konturieren. „Wo ist eine Wirtschaftspolitik, die sich in sozial-marktwirtschaftlicher Tradition vom Finanzkapitalismus distanziert?“
Das kann man als Linker so sehen. Die ÖVP kann das jedoch nicht zu ihrer Handlungsanleitung machen. Denn der Grund, Sebastian Kurz zum Parteichef zu machen, war ja genau das: das sozialpartnerschaftlich und großkoalitionär verwaschene Programm der ÖVP durch genuin bürgerlich-konservativ-liberale Konturen zu ersetzen. Wobei hier freilich Interpretationsspielraum gegeben war, Kurz wurde zu einer Projektionsfläche für viele, vom Unternehmer bis zum Lehrling. Ziel der ÖVP konnte es jedenfalls nicht sein, nach Wählern links der Mitte zu schielen – wie Angela Merkel das in Ansätzen tat. Die potenziellen Wähler waren bei der FPÖ geparkt. Und sind es nun wieder.
Und eine der Pointen der kurzen KurzÄra war ja, dass es nun zwar markantere Positionen gab, etwa in der Migrationspolitik, aber eine wirklich wirtschaftsliberale Politik – im Sinne des „Finanzkapitalismus“, wie die Linke das nennen würde – nicht stattgefunden hat. Der alle umsorgende „Koste es, was es wolle“-Staat prägte auch die Kurz-Zeit. Aufgrund der äußeren Umstände, aber auch, weil es Kurz’ primäres Ziel war, Wahlen zu gewinnen. Und die gewinnt man kaum, wenn man beim Pensionssystem ansetzt.
Wie die ÖVP da nun wieder herauskommt, muss sie selber wissen. Gut sieht es nicht aus. Entweder gelingt Karl Nehammer noch ein überraschender Turnaround als zwar nicht schillernder, aber alternativloser Sacharbeiter im Kanzleramt – das Modell Merkel. Vielleicht erweisen sich auch die türkisen Wahlkampfthemen Leistung, Sicherheit, Familie als gewinnbringend. Oder aber die Volkspartei gesteht sich ein, dass es das jetzt einmal war, ausgelaugt nach vielen Jahren in Kanzleramt und Regierung. Die dritte Möglichkeit wäre: ein Comeback von Sebastian Kurz. Ob das – aus vielerlei Gründen fraglich – funktionieren würde, weiß man freilich auch nicht.