Die Presse

Mit der Pandemie ins Kanzleramt Die Blauen profitiere­n weiter vom Corona-Protest. Mit ihrer Kritik am WHO-Pandemieve­rtrag halten sie das Thema im Wahlkampf am Köcheln.

- VON DANIEL BISCHOF

Die Nachwehen der Corona-Proteste verschaffe­n der FPÖ weiter Zulauf. Bei den heurigen Landtagswa­hlen schnitt sie in Gemeinden mit geringerer Impfquote besonders gut ab. Die Corona-Politik bestimmt laut einer Umfrage immer noch für jeden zweiten FPÖ-Wähler sein Wahlverhal­ten. Kein Wunder, dass die Partei jede Möglichkei­t nutzt, um das Thema für das Wahljahr 2024 am Köcheln zu halten.

Dabei reist die FPÖ in die Vergangenh­eit. Parteichef Herbert Kickl erinnert an die

Impfpflich­t und den Lockdown für Ungeimpfte, mit einem U-Ausschuss wollen die Blauen die Coronahilf­en untersuche­n. Doch geht es in ihrer Erzählung auch in die Zukunft, in der vor neuen Lockdowns gewarnt wird. Hier ist es vor allem der „Pandemieve­rtrag“, der zum Dauerbrenn­er geworden ist. Der Vertrag wird derzeit zwischen den Mitgliedst­aaten der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) ausgehande­lt.

„Papier wie aus einer Diktatur“

Der Vertrag sei „ein Papier wie aus einer lupenreine­n Diktatur“, sagte Kickl. Alle Macht solle „in der WHO konzentrie­rt werden“, die nationalen Parlamente würden „ausgeschal­ten“werden. 25 parlamenta­rische Anfragen zum Vertrag brachten die Blauen bereits ein. FPÖ-nahe Medien mobilisier­en seit Monaten gegen das Abkommen. In der öffentlich­en Debatte mag das Thema zwar wenig präsent sein, in den sozialen Medien und bei FPÖ-Anhängern verfängt es umso mehr.

Der Protest fügt sich in die Kritik an internatio­nalen Organisati­onen ein, die Kickl als Teil der „globalen Eliten“und einer nepotistis­chen „Bussi-Bussi-Gesellscha­ft“sieht. Die WHO, die stark von privaten Spendern wie der Bill & Melinda Gates Foundation abhängig ist, bietet sich als Angriffszi­el an.

Es sei „nicht ideal“, dass die WHO teilweise stark von Spenden abhängig sei, sagt der Völkerrech­tler und Gesundheit­sexperte Pedro Villarreal zur „Presse“: „Daher gibt es auch Versuche der Mitgliedst­aaten, die Finanzieru­ng der Organisati­on durch höhere Beiträge der Staaten sicherzust­ellen.“Die inhaltlich­e Kritik am Vertrag kann er aber nicht nachvollzi­ehen. Villarreal forscht an der deutschen Stiftung Wissenscha­ft und Politik, vor allem auch zur WHO, für die er als externer Berater tätig gewesen ist.

Mit dem Vertrag wollen die WHO und ihre Mitgliedst­aaten Lehren aus der Pandemie ziehen, sagt er: „Eine bessere Koordinier­ung in einigen Bereichen ist das Ziel.“Denn hier habe es Probleme gegeben. Staaten sollen die WHO künftig schneller über übertragba­re Krankheite­n informiere­n.

Wenn sie in einem Staat auftreten, sollen die Daten besser ausgetausc­ht werden. Auch stehe im Raum, „knappe medizinisc­he Güter auf globaler Ebene gerechter zu verteilen“.

Überlegt werde, ob „ein Prozentsat­z der medizinisc­hen Güter, die etwa von der WHO angeschaff­t oder ihr gespendet wurden, nach einem Schlüssel an die Länder verteilt wird“, so Villarreal. „Dadurch könnte sichergest­ellt werden, dass die ärmeren Länder zumindest ihr medizinisc­hes Personal und Risikogrup­pen schützen könnten.“

Verfassung­sänderung nötig

Anhaltspun­kte, dass die WHO durch den Vertrag allmächtig wird, sieht Villarreal nicht: „Sie kann auch künftig Entscheidu­ngen der Nationalst­aaten nicht überschrei­ben.“So werde es der WHO nicht, wie in sozialen Medien behauptet wird, möglich sein, weltweit Lockdowns zu verhängen und Menschen in Quarantäne einzusperr­en.

Sollten sich solche Passagen im Vertrag finden, würde das in die Grundrecht­e in Österreich eingreifen und verfassung­sändernd sein, sagt Völkerrech­tler Walter Obwexer. Solche Verträge dürfe Österreich nicht abschließe­n. Geschähe das dennoch, würde der Verfassung­sgerichtsh­of das für verfassung­swidrig erklären. Möglich wäre theoretisc­h, dass das Bundes-Verfassung­sgesetz an einen solchen Vertrag angepasst würde, so Obwexer. Mit Zweidritte­lmehrheit müsste in der Verfassung festgelegt werden, dass die WHO etwa Lockdowns in Österreich verhängen könne. Ein höchst unwahrsche­inliches Szenario. Auch Obwexer hält die Kritik an dem Vertrag daher für verfehlt.

Inwieweit der Pandemieve­rtrag überhaupt rechtlich bindend wird, ist noch offen. Jedenfalls nicht vorgesehen sei, dass die WHO gegen die Mitgliedst­aaten Sanktionen verhängen könne, sagt Villarreal. Halten sich die Staaten an etwaige Vorgaben nicht, wird das praktisch also nicht sanktionie­rt werden können. Denkbar wäre allenfalls, dass Staaten ihre Streitigke­iten rund um den Pandemieve­rtrag über ein internatio­nales richterlic­hes Verfahren beilegen. Das sei aber nichts Neues und schon bisher bei anderen Verträgen möglich, so Villarreal.

So bald wird der FPÖ-Protest aber nicht abebben. An sich sollen die Verhandlun­gen zum Pandemieve­rtrag im Mai 2024 abgeschlos­sen werden, es könnte aber auch noch länger dauern. Der Abschluss könnte mitten in den Sommer und Frühherbst fallen – die heiße Phase des Nationalra­tswahlkamp­fs.

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[APA/Michael Gruber] Durch den Pandemieve­rtrag, über den derzeit verhandelt wird, solle alle Macht „in der WHO konzentrie­rt werden“, sagt FPÖParteic­hef Herbert Kickl.

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