Mit der Pandemie ins Kanzleramt Die Blauen profitieren weiter vom Corona-Protest. Mit ihrer Kritik am WHO-Pandemievertrag halten sie das Thema im Wahlkampf am Köcheln.
Die Nachwehen der Corona-Proteste verschaffen der FPÖ weiter Zulauf. Bei den heurigen Landtagswahlen schnitt sie in Gemeinden mit geringerer Impfquote besonders gut ab. Die Corona-Politik bestimmt laut einer Umfrage immer noch für jeden zweiten FPÖ-Wähler sein Wahlverhalten. Kein Wunder, dass die Partei jede Möglichkeit nutzt, um das Thema für das Wahljahr 2024 am Köcheln zu halten.
Dabei reist die FPÖ in die Vergangenheit. Parteichef Herbert Kickl erinnert an die
Impfpflicht und den Lockdown für Ungeimpfte, mit einem U-Ausschuss wollen die Blauen die Coronahilfen untersuchen. Doch geht es in ihrer Erzählung auch in die Zukunft, in der vor neuen Lockdowns gewarnt wird. Hier ist es vor allem der „Pandemievertrag“, der zum Dauerbrenner geworden ist. Der Vertrag wird derzeit zwischen den Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgehandelt.
„Papier wie aus einer Diktatur“
Der Vertrag sei „ein Papier wie aus einer lupenreinen Diktatur“, sagte Kickl. Alle Macht solle „in der WHO konzentriert werden“, die nationalen Parlamente würden „ausgeschalten“werden. 25 parlamentarische Anfragen zum Vertrag brachten die Blauen bereits ein. FPÖ-nahe Medien mobilisieren seit Monaten gegen das Abkommen. In der öffentlichen Debatte mag das Thema zwar wenig präsent sein, in den sozialen Medien und bei FPÖ-Anhängern verfängt es umso mehr.
Der Protest fügt sich in die Kritik an internationalen Organisationen ein, die Kickl als Teil der „globalen Eliten“und einer nepotistischen „Bussi-Bussi-Gesellschaft“sieht. Die WHO, die stark von privaten Spendern wie der Bill & Melinda Gates Foundation abhängig ist, bietet sich als Angriffsziel an.
Es sei „nicht ideal“, dass die WHO teilweise stark von Spenden abhängig sei, sagt der Völkerrechtler und Gesundheitsexperte Pedro Villarreal zur „Presse“: „Daher gibt es auch Versuche der Mitgliedstaaten, die Finanzierung der Organisation durch höhere Beiträge der Staaten sicherzustellen.“Die inhaltliche Kritik am Vertrag kann er aber nicht nachvollziehen. Villarreal forscht an der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik, vor allem auch zur WHO, für die er als externer Berater tätig gewesen ist.
Mit dem Vertrag wollen die WHO und ihre Mitgliedstaaten Lehren aus der Pandemie ziehen, sagt er: „Eine bessere Koordinierung in einigen Bereichen ist das Ziel.“Denn hier habe es Probleme gegeben. Staaten sollen die WHO künftig schneller über übertragbare Krankheiten informieren.
Wenn sie in einem Staat auftreten, sollen die Daten besser ausgetauscht werden. Auch stehe im Raum, „knappe medizinische Güter auf globaler Ebene gerechter zu verteilen“.
Überlegt werde, ob „ein Prozentsatz der medizinischen Güter, die etwa von der WHO angeschafft oder ihr gespendet wurden, nach einem Schlüssel an die Länder verteilt wird“, so Villarreal. „Dadurch könnte sichergestellt werden, dass die ärmeren Länder zumindest ihr medizinisches Personal und Risikogruppen schützen könnten.“
Verfassungsänderung nötig
Anhaltspunkte, dass die WHO durch den Vertrag allmächtig wird, sieht Villarreal nicht: „Sie kann auch künftig Entscheidungen der Nationalstaaten nicht überschreiben.“So werde es der WHO nicht, wie in sozialen Medien behauptet wird, möglich sein, weltweit Lockdowns zu verhängen und Menschen in Quarantäne einzusperren.
Sollten sich solche Passagen im Vertrag finden, würde das in die Grundrechte in Österreich eingreifen und verfassungsändernd sein, sagt Völkerrechtler Walter Obwexer. Solche Verträge dürfe Österreich nicht abschließen. Geschähe das dennoch, würde der Verfassungsgerichtshof das für verfassungswidrig erklären. Möglich wäre theoretisch, dass das Bundes-Verfassungsgesetz an einen solchen Vertrag angepasst würde, so Obwexer. Mit Zweidrittelmehrheit müsste in der Verfassung festgelegt werden, dass die WHO etwa Lockdowns in Österreich verhängen könne. Ein höchst unwahrscheinliches Szenario. Auch Obwexer hält die Kritik an dem Vertrag daher für verfehlt.
Inwieweit der Pandemievertrag überhaupt rechtlich bindend wird, ist noch offen. Jedenfalls nicht vorgesehen sei, dass die WHO gegen die Mitgliedstaaten Sanktionen verhängen könne, sagt Villarreal. Halten sich die Staaten an etwaige Vorgaben nicht, wird das praktisch also nicht sanktioniert werden können. Denkbar wäre allenfalls, dass Staaten ihre Streitigkeiten rund um den Pandemievertrag über ein internationales richterliches Verfahren beilegen. Das sei aber nichts Neues und schon bisher bei anderen Verträgen möglich, so Villarreal.
So bald wird der FPÖ-Protest aber nicht abebben. An sich sollen die Verhandlungen zum Pandemievertrag im Mai 2024 abgeschlossen werden, es könnte aber auch noch länger dauern. Der Abschluss könnte mitten in den Sommer und Frühherbst fallen – die heiße Phase des Nationalratswahlkampfs.