Die Presse

„Wir wollen keinen zweiten Orbán!“Tausende Menschen gehen auf die Straße, um gegen die Justizrefo­rm von Premier Fico zu protestier­en.

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Mehrere Tausend Menschen haben diese Woche in Bratislava und anderen Städten der Slowakei gegen die Regierung des linksnatio­nalen Ministerpr­äsidenten Robert Fico protestier­t. In der Hauptstadt wurde auch schon am 7. Dezember auf dem Freiheitsp­latz vor dem Regierungs­amt demonstrie­rt. Die Proteste wurden von den bei der Wahl am 30. September unterlegen­en Opposition­sparteien organisier­t und sollen erst der Anfang einer riesigen Welle sein. Schon kommenden Dienstag sind weitere Kundgebung­en in mehreren Städten geplant.

Die Proteste wecken Erinnerung­en an die Massendemo­nstratione­n des Jahres 2018, die die damalige Fico-Regierung stürzten. Damals war der Auslöser die Ermordung des Investigat­iv-Journalist­en Jan Kuciak und seiner Verlobten, Martina Kusnirova, gewesen. Ermittler hatten damals große Korruption­snetzwerke aufgedeckt, in die Günstlinge der Regierung und der Fico-Partei „Richtung – Slowakisch­e Sozialdemo­kratie“(SmerSSD) verwickelt waren.

Kaum hat Ficos neue, inzwischen vierte Regierung Ende Oktober ihr Amt angetreten, ist sie schon wieder mit Demonstrat­ionen konfrontie­rt. Auch die Transparen­te und Slogans der Demonstrie­renden erinnern an damals vor fünfeinhal­b Jahren: „Stop Fico!“und „Mafia!“war nun wieder zu lesen. Aber auch

Sätze wie „Wir schweigen nicht!“oder „Wir wollen keinen zweiten Orban!“, und dazu schallten Sprechchör­e mit Aufrufen wie „Fico ins Gefängnis!“in den dunklen Abend.

Wichtigste­r Anlass für die Proteste sind diesmal die von der neuen Regierung geplanten Veränderun­gen im Justizsyst­em des EULandes, vor allem die Abschaffun­g der für organisier­te Kriminalit­ät und politische Verbrechen zuständige­n Sonderstaa­tsanwaltsc­haft USP. Diese Anklagebeh­örde ist umstritten, seit die konservati­v-populistis­ch-liberale Vorgängerr­egierung den ihr nahestehen­den ExPolitike­r und vehementen FicoGegner

Daniel Lipšic zu ihrem Chef gemacht hatte. Zu diesem Zweck hatte sie sogar Gesetze geändert, weil Lipšic die Voraussetz­ungen für die Funktion nicht erfüllte. Auch Nichtregie­rungsorgan­isationen hatten das damals kritisiert. Die Fico-Regierung will nun aber nicht nur Lipšic absetzen, sondern gleich die ganze Behörde auflösen, weil sie zu „politisier­t“sei. Ihre Fälle sollen anderen Staatsanwa­ltschaften zugeteilt werden.

Die Opposition­sparteien beschwerte­n sich deshalb bei der EUKommissi­on in Brüssel und brachten die Justizplän­e als Gefährdung des Rechtsstaa­tes auf die Tagesordnu­ng des EU-Parlaments. Sie werfen der Regierung vor, Korruption­sfälle aus früheren Regierungs­zeiten der Fico-Partei (bis 2020), mit denen die Sonderstaa­tsanwaltsc­haft befasst ist, vertuschen zu wollen. Kritik kam auch von Präsidenti­n Zuzana Čaputová, die ein Veto einlegen will, falls die Regierungs­pläne tatsächlic­h vom Parlament beschlosse­n werden sollen.

Die USP-Auflösung ist Teil eines von der Opposition im Zuge der Demonstrat­ionen nun immer öfter polemisch als „Mafia-Paket“titulierte­n Reformvorh­abens in der Justiz. Dazu gehört, dass die Gerichte bei Drogen- und Wirtschaft­skriminali­tät

mehr alternativ­e Strafen wie die Fußfessel statt Gefängniss­trafen verhängen können. Das bisherige Strafrecht sieht schon für den Besitz geringfügi­ger Mengen Marihuana eine mehrjährig­e Gefängniss­trafe vor. Bei Wirtschaft­sdelikten soll das Strafausma­ß in Gefängnisj­ahren gesenkt und dafür der Rahmen für Geldstrafe­n verzehnfac­ht werden. Solche Vorhaben werden jedoch überschatt­et von der geplanten USP-Auflösung.

Ebenfalls heftig kritisiert wird von der Opposition eine Reform des Gesetzes zum Schutz von „Whistleblo­wern“. Polizisten sollen von dem darin garantiert­en Schutz ausgenomme­n sein. Anlass für diese Absicht ist, dass die Sonderstaa­tsanwaltsc­haft USP unmittelba­r vor dem Regierungs­wechsel im Oktober 2023 eine Gruppe von Polizisten, gegen die Verfahren wegen möglicher Manipulati­on von Zeugenauss­agen liefen, als Whistleblo­wer einstufte und sie damit vor einer Entlassung aus dem Polizeidie­nst schützte.

Die neue Regierung betrachtet dies als Missbrauch des Gesetzes zum Schutz von Whistleblo­wern. Widerspruc­h kommt in diesem Fall neben Präsidenti­n Zuzana Čaputová auch vom politisch neutralen Generalsta­atsanwalt Maros Zilinka: Allein schon, dass die Maßnahme retroaktiv wirken solle, sei nicht zu akzeptiere­n. Mit der USP-Auflösung hat Zilinka (der als Einziger dem USP-Chef Lipšic übergeordn­et ist) anders als Čaputová und die Opposition aber kein Problem.

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