Weltpolitik durch die „Apartheid-Brille“
Österreich/Südafrika. Zu Nahost lieferten sich die Außenminister Schallenberg und Pandor ein diplomatisches Pingpong-Spiel. Aber: „Eigentlich mag ich den Minister.“
Pretoria. Ein Diplomat sollte sich in vermeintlich exotischer Materie Grundkenntnisse aneignen, selbst für den Small Talk bei einem Wirtschaftsforum und der Eröffnung eines Kulturinstituts – etwa eine Ahnung davon haben, was ein Line-out im Rugby ist. So erging es womöglich Alexander Schallenberg in Pretoria am Vortag eines Feiertags, den Präsident Cyril Ramaphosa eigens infolge des Triumphs Südafrikas bei der Rugby-WM in Frankreich Ende Oktober ausgerufen hatte.
Der Rugby-Feiertag am Freitag läutet an der Südspitze Afrikas die Sommer- und zugleich Weihnachtsferien ein, und zwei Minister sagten ihre Gesprächstermine mit dem österreichischen Außenminister kurzfristig ab. „Das ist Afrika“, wie langjährige Kenner des Kontinents wissen. Ein Chefdiplomat muss auch mit einer gewissen Nonchalance darüber hinweghören, wenn sein Pendant, Südafrikas Außenministerin, Grace Pandor, Österreich en passant mit Australien verwechselt – ein klassischer Lapsus, zumal in anglophonen Ländern des Globalen Südens.
„Mehr Stimmen der Vernunft“
Die Außenministerin, eine frühere Lehrerin und Uni-Dozentin, mahnte intensivere bilaterale Kontakte ein. Die letzte Südafrika-Visite eines österreichischen Außenministers, klagte sie, datiere zurück auf 2016 – damals kam Sebastian Kurz ans Kap. Die 70-Jährige, eine eindrucksvolle Frau mit kunstvollen, langen Minizöpfchen, betonte, ein mehrmals aufgeschobener Südafrika-Besuch des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen sei im kommenden Jahr, einem wichtigen Wahljahr in beiden Ländern, eine Priorität.
Im weitläufigen Komplex des Department of International Relations and Cooperation mit hohen Hallen und einem üppigen Garten im Grüngürtel der südafrikanischen Hauptstadt gelegen und nach dem Freiheitshelden Oliver Tambo benannt, kam die Sprache dann jedoch bald auf die große Weltpolitik. „Die Welt braucht mehr Stimmen der Vernunft“, lautete der Tenor der beiden Diplomaten nach 22 Monaten des UkraineKriegs und zehn Wochen des Gaza-Kriegs – jenen Konflikten, Abertausende Kilometer von Südafrika entfernt, in denen die afrikanische Führungsnation, zugleich Mitglied im Brics-Staatenbund mit China und Russland, eine ambivalente Position einnimmt.
Ramaphosa versuchte sich gar als Vermittler zwischen Kiew und Moskau, ehe er die Aussichtslosigkeit einsah – angeblich geschockt vom Massaker in Butscha und verstört von Wladimir Putins Impertinenz.
Solidarität mit Palästinensern
Viel näher liegt Südafrika indessen der Nahost-Konflikt. In einem diplomatischen PingPong-Spiel, einem in höflichem Ton ausgetragenen Disput, kam die unterschiedliche Weltanschauung der Außenminister zum Ausdruck. Während das Machtzentrum in Wien nach dem „schwarzen Schabbat“des 7. Oktober wieder einmal aus Solidarität die Israel-Fahne aufzog, taten Ramaphosa und seine Minister mit Palästinensertüchern und Fahnen ihre Loyalität gegenüber ihren Freunden im Nahen Osten kund. Pandor hatte vielfach den „Genozid“und die „kollektive Bestrafung“durch Israel im Gazastreifen kritisiert, und sie rief aus Protest auch südafrikanische Diplomaten aus Israel zurück.
Die Außenministerin kündigte überdies an, die „Kriegsverbrechen“Israels vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Den Terrorangriff der Hamas redete sie dagegen klein, sie beschrieb ihn als „falsch“und „nicht richtig“. Es dauerte mehr als eine Woche, bis die Regierung Südafrikas den Hamas-Terror verurteilte. In der Zwischenzeit hatte sich Ismail Hanijeh, der Exil-Führer der Hamas, mit Pandor in Verbindung gesetzt. In Kapstadt unterhält die Terrororganisation sogar ein eigenes Büro.
Den ANC, Südafrikas Regierungspartei, und die palästinensische PLO eint die Geschichte des Freiheitskampfs. Schon Nelson Mandela gab die Devise aus: „Unsere Freiheit ist unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser.“
Mehrmals hat er PLO-Führer Jassir Arafat getroffen, und erst nach seiner Amtszeit 1999 reiste er erstmals nach Israel. Wobei auch in den Reihen des ANC viele Juden in prominenter Rolle mitgemischt haben. In Südafrika ist immer noch oft die Rede vom „Apartheid-Staat“Israel, der prächtig mit dem Burenstaat kooperiert hat.
„Gaza – ein besetztes Gebiet?“
„Wir dürfen den Kampf der Palästinenser nicht vergessen, den Tod der Frauen, Kinder und Unschuldigen“, forderte Pandor. Doch Schallenberg sah sich herausgefordert, als seine Kollegin die „besetzten Gebiete“ansprach. „Gaza – ein besetztes Gebiet?“, konterte er. „Mord ist Mord, Vergewaltigung ist Vergewaltigung.“Zugleich bezeichnete er die Gewalt der extremistischen jüdischen Siedler im Westjordanland als „schockierend“und „inakzeptabel“, und er plädierte für eine Zweistaatenlösung.
„Südafrika sieht die Welt immer noch durch die ,Apartheid-Brille‘“, konstatierte Schallenberg nach dem Gespräch. Am Ende einigten sich die Minister auf die klassische Diplomatenformel: „Wir stimmen darin überein, nicht übereinzustimmen.“Und Gastgeberin Pandor machte Schallenberg sogar ein Kompliment : „Eigentlich mag ich den Minister – trotz der Differenzen.“
VON THOMAS VIEREGGE