Israels Armee hat mit der umstrittenen Maßnahme begonnen und pumpt Meerwasser in das Tunnelsystem der Terrororganisation Hamas – angeblich ein Testlauf. Israel flutet Hamas-Tunnel
Nun ist es also soweit: Die israelische Armee hat begonnen, das Tunnelsystem der Hamas zu fluten. Es soll sich vorerst um einen Testlauf handeln. Dazu werde Meerwasser in einige Tunnel gepumpt, um herauszufinden, ob sich die Methode zur großflächigen Zerstörung des unterirdischen Systems eigne. Das berichten die Zeitung „Wall Street Journal“sowie der Nachrichtensender CNN unter Berufung auf US-Beamte, die mit der Angelegenheit vertraut sind.
Israel habe den USA mitgeteilt, dass nur Tunnel geflutet würden, in denen keine Geiseln vermutet werden. Denn das war einer der großen Knackpunkte: Was, wenn in den Tunneln die noch mindestens 136 israelischen Geiseln von der Hamas festgehalten werden, deren Leben es unter allen Umständen zu schützen gilt?
Zuletzt hatte Israels Generalstabschef Herzi Halevi die Überlegung, das ausgedehnte Tunnelsystem mit Meerwasser zu fluten, als „gute Idee“bezeichnet. Zu der Befürchtung, das Leben der Geiseln aufs Spiel zu setzen, hat sich die Armee freilich aus taktischen Gründen nie konkret geäußert, Israel hat sich immer sehr bedeckt dazu gehalten, wo sich Geiseln aufhalten könnten und welche Kenntnis das Militär dazu habe. US-Präsident Joe Biden meinte dazu in der Nacht auf Mittwoch, dass „jeder Tod von Zivilisten eine absolute Tragödie“sei. Und niemand könne mit Sicherheit behaupten, dass sich keine Geiseln in diesen Tunnel befinden würden.
Israel will Krieg fortsetzen
Israel gerät aufgrund seines Vorgehens in Gaza immer mehr in die Kritik: Außenminister Eli Cohen meinte dazu am Mittwoch, dass Israel den Krieg gegen die militante Hamas auch ohne internationale Unterstützung fortsetzen würde und lehnt eine Waffenruhe zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. „Israel wird den Krieg gegen die Hamas mit oder ohne internationale Unterstützung fortsetzen“, erklärte Cohen. „Ein Waffenstillstand in der jetzigen Phase ist ein Geschenk an die Terrororganisation Hamas und wird es ihr ermöglichen, zurückzukehren und die Bewohner Israels zu bedrohen.“
Israels Offensive ging am Mittwoch weiter: Kampfjets beschossen erneut Teile des dicht besiedelten Küstengebiets. Heftige Gefechte am Boden wurden aus dem Süden ebenso wie aus dem Norden gemeldet. Das Militär teilte mit, binnen 24 Stunden seien zehn Soldaten getötet worden. Die meisten kamen laut einem Bericht des Armee-Rundfunks bei einem Einsatz in Gaza-Stadt ums Leben, darunter auch zwei hochrangige Offiziere. In der südlich gelegenen Stadt Chan Junis stießen die israelischen Panzereinheiten nach Darstellung von Anwohnern auf Widerstand. Im Stadtzentrum toben starke Kämpfe.
„Tunnel sind wie Venen“
Eines der schwierigsten Probleme für die israelische Armee ist tatsächlich das Tunnelsystem der Hamas. 500 und mehr Kilometer Gesamtlänge soll es haben, das gesamte Territorium der Küstenenklave umspannen und den Terroristen als Versteck und Lagerraum dienen.
Die militärische Bedeutung der Tunnels für die Hamas könne man gar nicht hoch genug einschätzen, sagt Sicherheitsexperte Avi Bitzur, Leiter des Programms für nationale Sicherheit und Verteidigung der Heimatfront am Beit-Berl-Kolleg nördlich von Tel Aviv gegenüber der „Presse“: „Die Tunnels sind für die Hamas so wichtig wie Venen für den menschlichen Körper.“
Schon Anfang November hat die israelische Armee Hochleistungspumpen in der Nähe des Flüchtlingslagers Al-Schati im Norden des Gazastreifens am Mittelmeer installiert. Mit diesen mindestens fünf Pumpanlagen könnte das Militär Tausende Kubikmeter Meerwasser pro Stunde in die Tunnels befördern und die Terroristen damit an die Oberfläche zwingen.
Wasserexperten sehen eine mögliche Flutung skeptisch. Das Meerwasser könnte in das Grundwasser des Gazastreifens eindringen. Schon vor Jahren erreichten 97 Prozent des Grundwassers in Gaza nicht den Mindeststandard der Weltgesundheitsorganisation. Seit Beginn des Krieges ist die Wasserversorgung noch prekärer geworden: Weil Israel sich gegen die Lieferungen von Treibstoff stemmt aus Sorge, die Hamas könnte diesen für militärische Zwecke missbrauchen, fehlt Strom für Entsalzungsanlagen und Pumpen. Die Wasserlieferungen, die über den ägyptischen Grenzübergang Rafah nach Gaza gelangen, reichen Hilfsorganisationen zufolge bei Weitem nicht aus.
Armee in Tunnel-Dilemma
Der Sicherheitsexperte Avi Bitzur sieht die Flutung als eine von fünf möglichen Taktiken, gegen die Tunnel vorzugehen. So könnten Soldaten in die Gänge eindringen, wie US-Truppen es im Vietnamkrieg getan haben. Dies sei jedoch wegen der räumliche Enge erwiesenermaßen eine hochriskante Taktik, sagt Bitzur der „Presse“. Alternativ könnte die Armee die Tunnel bombardieren, mit Bulldozern zerstören oder die Eingänge verschließen und die Terroristen dadurch aushungern. Doch auch diese Vorgehensweisen könnte Geiseln gefährden.
Es ist ein Dilemma, das sich kaum lösen lässt, so lange sich die Entführten in Gaza befinden. Zugleich steht fest: Will Israel die Hamas zerschlagen, muss die Armee eine Lösung für die Tunnel finden.