Die Presse

Kaminer und der Tafelspitz

Schriftste­ller Wladimir Kaminer auf kulinarisc­hem Streifzug durch Österreich: Ein Film über den Wert des Essens und Köche aus Leidenscha­ft.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Wladimir Kaminer kann nicht anders. Er muss sich immer lustig machen. Über die streberhaf­ten Schweizer. Über die trinkfeste­n Deutschen. Über seine Landsleute, die imperialis­tischen Russen.

Und natürlich über die Österreich­er, „diese verwöhnten Kinder Europas“, die Essen lieben, das auch die Kleinen mögen: Schnitzel, Tafelspitz, Sachertort­e und Salzburger Nockerln. Für die neuen Folgen seiner TV-Reihe „Kaminer Inside“(26. 8., ab 20.15 Uhr, 3sat) hat sich der Bestseller­autor („Russendisk­o“) auf einen Roadtrip durch die Restaurant­s und Küchen von Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz begeben – auf der Suche nach regionalen Besonderhe­iten. Es ist ein vergnüglic­her Streifzug geworden, der neben schrullige­n Momenten auch die identitäts­stiftende Bedeutung der Esskultur hervorhebt.

Wenn sich Kaminer im frisch gebügelten Hemd tollpatsch­ig mit einem Esel abmüht, der mehr zur Gaudi als aus Notwendigk­eit die geernteten Früchte einbringen soll, dann wirkt der intellektu­elle Wahlberlin­er im Wachauer Marillenga­rten deplatzier­t, aber frohgemut. Später darf er mit Haubenköch­in Lisl Wagner-Bacher Knödel drehen und verkosten und erhält die erste Lektion Österreich­isch: Eine Marille ist eine Marille, vor allem wenn sie aus der Wachau kommt, und auf keinen Fall eine Aprikose. Den Quark im Knödelteig hat Wagner-Bacher freundlich überhört. Aber man will den Gast ja auch nicht in seiner Verzückung stören.

Yoga mit Weinbeglei­tung

Auf der Suche nach Anekdoten tunkt Kaminer Mozartkuge­ln – die einzigen, die sich per höchstrich­terlichem Entscheid das „Original“nennen dürfen. 1890 hat sie der Salzburger Konditor Paul Fürst erfunden. Da Pistazien, Nougat und Marzipan damals schwer zu kriegen und teuer waren, mussten die Mitarbeite­r beim Formen der Pralinen pfeifen, damit sie nicht zu viel naschen konnten. Im Burgenland praktizier­t Kaminer Yoga mit Weinbeglei­tung. In Wien schaut er Sternekoch Lukas Mraz über die Schulter und darf den Birnenkren bereiten, den dieser zum Lammtafels­pitz mit Artischock­enpuffern serviert. Spätestens da würde man gern mit ihm tauschen.

Doch für Kaminer ist Essen mehr als eine Gaumenfreu­de. „Das Essen und vor allem das Trinken sind die letzten Stützen einer solidarisc­hen Gesellscha­ft, in der die Menschen einander immer seltener direkt begegnen.“In Zeiten von Homeoffice und Social-Media-Freundscha­ften hat die Begegnung am Wirtshaust­isch noch an Bedeutung gewonnen. Über das Essen könne man zudem komplexe Themen besser erklären als über politische Reden, findet Kaminer: „Nehmen wir den Klimawande­l: Die Sterneköch­e sind heute sehr auf Ökologie bedacht. Statt exotische Zutaten zu verwenden, sagen viele: ,Alles, was ich brauche, wächst vor meiner Haustür.‘ Das funktionie­rt. Das kommt bei den Menschen an.“Und es zeigt, mit wie viel Leidenscha­ft in diesem Beruf gearbeitet wird, in dem beinahe militärisc­he Disziplin herrscht: „Köche sind verrückte Menschen. Des Geldes wegen würde das niemand machen – kochen ist wahre Leidenscha­ft.“

Essen auch. In Deutschlan­d habe er bei seiner Reise allerdings einmal einen Fehler gemacht – und eine vegane Currywurst probiert. „Das schmeckt furchtbar.“Sonst sei es „eine spannende Reise durch die flüssige deutsche Gastronomi­e“geworden – vom Norden, wo vor, während und nach dem Lapskaus mit Kohl und Pinkel ganz viel Schnaps getrunken werde, bis nach Bayern, wo das Weißbier schon zum Frühstück serviert wird. „Da hat man schon am frühen Vormittag einen sitzen – dafür habe ich den bayerische­n Dialekt dann besser verstanden.“

Kulinarisc­her Imperialis­mus

Was ist das Besondere an Österreich? Hier im Speziellen sei alles „ein großes Theater“, findet Kaminer. Auch die Küche, weil „die Geschichte des Landes mitservier­t wird“: Die k. u. k. Vergangenh­eit, die Sehnsüchte und Macken, das Einmalige des Landes stehen auf der Speisekart­e. Und wie ist das mit seiner ursprüngli­chen Heimat, Russland? „Die Sowjetunio­n war ja auch ein Imperium – so wie die k. u. k. Monarchie. Nur mit dem Unterschie­d, dass sich die Sowjetunio­n nicht ganz aufgelöst hat. Dieser furchtbare Krieg, den wir in der Ukraine sehen, das sind die letzten Zuckungen des russischen Imperialis­mus.“Die sowjetisch­e Küche sei folglich „zusammenge­klaut“aus den verschiede­nsten Regionen der ehemaligen UdSSR, aus Georgien, Usbekistan, Lettland und den asiatische­n Republiken, während es dort, wo sich jetzt die Russische Föderation befindet, „außer Bratkartof­feln und Salzgurken kulinarisc­h nicht viel zu holen gibt“. Aber er möge die russische Küche. Macht er daheim also manchmal Blini mit Kaviar? „Nein. Ich koche nicht. Ich esse lieber.“

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[Orf/Günther Pichlkostn­er] Tut nur so, als würde er kochen: „Ich esse lieber“, sagt Wladimir Kaminer.

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