Warum wir die ÖVP Brauchen
Eine seriöse bürgerliche Partei als Schutzwall gegen „Österreich zuerst“-Hetze ist dringend notwendig.
ÖVP gegen SPÖ, das ist wie Rapid gegen Austria. Zwar befinden sich beide Teams nur mehr im Mittelfeld, aber das macht nichts. Es ist unser Derby, und das Herz ist immer noch dabei. Das Hirn nicht mehr.
Denn mittlerweile ist nicht zu übersehen, dass ein anderes Team das Spielfeld beherrscht. Die FPÖ ist ein merkwürdiges Team, simpel, nicht rätselhaft. Rätselhaft sind ihre Wähler. Diese Mischung aus Wut und Hoffnung, die sie immer wieder dieser Partei zutreibt. Zuerst zu Haider. Wie ein Messias schien er manchen. Dann der Absturz, weil Haider nicht aufhörte, zu quengeln und zu querulieren, und schließlich die Partei sprengte. Bittere Enttäuschung und Abkehr. Dann bei Strache – kein Messias mehr – der allmähliche Wiederaufstieg zur früheren Stärke, bis der sich in Ibiza um Kopf und Kragen schwadronierte. Und obendrein die Gucci-Handtasche seiner Frau. Wenn’s wahr ist. Enttäuschung und Absturz. Und jetzt mit Kickl – die Parteichefs werden immer mickriger – wieder der Aufstieg. Und wieder sieht es so aus, als wäre die FPÖ nicht aufzuhalten. Bis sie sich selbst ins Knie schießt. Was sie verlässlich tut.
So viel Hetze war noch nie
Daran ist nichts erstaunlich. Erstaunlich sind die Wähler der FPÖ. (Wählerinnen gibt es auch, aber weniger.) Menschen, die immer wieder davonlaufen und gläubig zurückkehren. Voraussetzung ist, dass die FPÖ nach jedem Absturz ein Schäuferl nachlegt. So viel Hetze war nie. Obwohl die Vermutung, früher sei es besser gewesen, bekanntlich eine Falle ist, trotzdem: So jenseits, so abseitig war die FPÖ früher nicht. Dass das so viele nicht stört, dass sie es vielleicht gar nicht bemerken, kann die Mehrheit im Land zutiefst besorgt machen.
Aber ÖVP und SPÖ schenken dem keine besondere Aufmerksamkeit. Die sind vor allem miteinander, das heißt, gegeneinander beschäftigt. Und überdies die ÖVP mit sich selbst, mit ihrer fragwürdigen Vergangenheit. Und die SPÖ noch viel mehr mit sich selbst und ihrer fragwürdigen Zukunft. Wer wird was wann? Da bleibt nicht genügend Zeit, sich um das Land und enttäuschte Wähler zu kümmern.
Niederösterreich hat gezeigt: Die ÖVP verliert exakt so viele Stimmen, wie die FPÖ dazugewinnt. Und das wird so weitergehen, je mehr sich die ÖVP an die FPÖ anschmiegt und diese in ihrem Toben solcherart legitimiert – statt eine andere Politik zu machen. Die ÖVP war zwar nicht immer auf der Höhe der Zeit, war aber eine selbstbewusste bürgerliche Partei. Und eine seriöse bürgerliche Partei als Schutzwall gegen Rechtsextremismus, nationalistische „Österreich zuerst“-Hetze, Europafeindlichkeit und Ablehnung unseres Demokratiemodells braucht Österreich dringend. Natürlich ist das auch Aufgabe von SPÖ, Grünen und Neos, aber der ÖVP kommt besondere Bedeutung zu, weil hier der Wähleraustausch mit der FPÖ so signifikant ist. Doch das könnte sich ändern, wenn sich die Politik der ÖVP ändert.
Das Experiment Kurz hat den Erfolg der FPÖ vorübergehend abgefangen, aber um den Preis, dass deren Politik gleichzeitig bestätigt wurde, weil die von Kurz in vielem zum Verwechseln ähnlich
ausgesehen hat. Das hat mit massivem Korruptionsverdacht und diesem Scherbenhaufen geendet, vor dem die ÖVP jetzt steht.
Und wo ist das Selbstbewusstsein dieser Partei geblieben? Die Angst regiert. Jetzt überschüttet die von ihr geführte Regierung die Bevölkerung mit Geld, obwohl praktisch alle, die etwas davon verstehen, gebetsmühlenartig darauf hinweisen, dass das Gießkannenprinzip nicht zielführend ist, weil es den einen zu wenig gibt und den anderen, was sie nicht brauchen. Und weil – jedenfalls in der ÖVP-Logik – irgendwann deswegen auch wieder auf Teufel komm raus gespart werden muss. Und weil diese Art des Ausgebens öffentlicher Mittel die Inflation anheizt. Warum das alles? Um eine überreizte, überforderte, übellaunige, teilweise zu Recht angsterfüllte oder in Not geratene
Bevölkerung gnädig zu stimmen. Aber es nützt nichts. Man könnte es sogar positiv sehen: Die Menschen lassen sich nicht kaufen. Sie nehmen das Geld, aber der Daumen zeigt weiter nach unten.
Ein verheerendes Bild
Die Schuld auf die Medien zu schieben reicht nicht – obwohl: So, wie manche Sebastian Kurz hineingekrochen sind, tun sie das bei dieser Regierung nicht. Korrekterweise wäre hier anzumerken, dass diese Regierung unter schwersten Bedingungen – Corona, Klimakrise, Krieg, Inflation – zögernd auch wichtige Beschlüsse gefasst hat. Aber das wird kaum zur Kenntnis genommen, weil die Regierung in ihrer Zerrissenheit ein verheerendes Bild abgibt.
Und wenn sich die ÖVP jetzt darauf besinnt, dass sie eine Wirtschaftspartei ist, besteht die Gefahr, dass sich der dümmere Flügel, der antiökologische, durchsetzen könnte. Und dass die Grünen den Aufstand dagegen nicht wagen. Dann erhalten beide Parteien bei der Wahl die Rechnung. Die FPÖ würde stärkste Partei, und wir werden uns anschauen. Es sei denn, diese Regierung schüttelt die Angst ab und wagt Entscheidungen, die empören und begeistern. Zum Beispiel in der Klimakrise.