„Österreicher beklagen sich auf hohem Niveau“
Der englische Politologe Kurt Richard Luther hat jahrzehntelang zur österreichischen Innenpolitik geforscht. Was er nun zum Aufstieg der FPÖ zu sagen hat und wie er die künftigen Chancen der Volkspartei einschätzt.
Die österreichische Innenpolitik ist nicht das typische Forschungsfeld eines englischen Professors. Für den Politologen Kurt Richard Luther von der University of Keele wurde sie zu einem Leibthema. Luther, der fließend Deutsch spricht, traf während seiner Forschung zahlreiche österreichische Politiker, darunter FPÖ-Größen wie Jörg Haider. Den Blauen widmete der Engländer ein besonderes Augenmerk.
„Dass ich anfing, über die FPÖ zu recherchieren, war reiner Zufall“, sagt er. 1985 habe ein internationales Forschungsprojekt über liberale Parteien Westeuropas jemanden gebraucht, der über die FPÖ schrieb: „Sie war damals ja Mitglied der Liberalen Internationalen.“Er habe nichts über die Partei gewusst: „Ich begann aber sofort mit dem, was zu einer jahrzehntelangen Recherche wurde.“
In der derzeitigen FPÖ-Politik kann Luther Parallelen in der Strategie von Haider und Parteichef Herbert Kickl erkennen. „Haider hat mir bereits 1988 gesagt, dass seine Partei so lang attackieren und sich nicht arrangieren wird, bis kein Weg an ihr vorbeiführt“, sagt Luther. Diesen Weg verfolge nun Kickl, der öffentlich bekundet hat, bei einem starken Abschneiden der FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl werde der Konkurrenz nichts anderes übrig bleiben, als zu verhandeln. Eine Koalition mit der FPÖ stellen derzeit aber weder SPÖ noch ÖVP in Aussicht.
Auch unter Haider betonten ÖVP und SPÖ, dass sie nicht mit der FPÖ koalieren werden. Es kam anders – zu Schwarz-Blau unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Haider wurde von der Konkurrenz zuvor als unzumutbar bezeichnet und Kontakte zwischen den Parteien wurden bestritten. „Während dieser Zeit haben ÖVP und SPÖ Gespräche hinter den Kulissen mit Haider geführt“, so Luther. Die Gespräche hätten damals den Grundstein für Schwarz-Blau gelegt, etwa dadurch, dass die FPÖ in ihr Programm die Verteidigung christlicher Werte aufgenommen habe.
Es würde ihn wundern, wenn solche Gespräche heute nicht geführt werden, so Luther. Allerdings könnte es aufgrund der radikalen Rhetorik Kickls, der oft persönliche Attacken gegen andere Politiker reitet, schwieriger werden, Brücken für eine Regierungsbeteiligung zu bauen. Im Umgang mit Menschen sei Haider deutlich geschickter gewesen als Kickl.
Keine Struktur nach Krieg
Der blaue Erfolg bei den Landtagswahlen in Niederösterreich ist für Luther umso auffälliger, als die FPÖ dort stets schwach vertreten war: „Sie hat es nie geschafft, Fuß zu fassen.“Seine Wurzeln habe das in der Nachkriegszeit, als die russische Besatzung verhinderte, dass das dritte Lager Parteistrukturen aufbaute. Auch nach dem Abzug der Russen blieb die FPÖ im Land unbedeutend. Erst unter Haider gingen auch die Wahlergebnisse in Niederösterreich nach oben. Zum blauen Kernland wurde das
Bundesland aber nie. Dennoch gelang der FPÖ am Sonntag bei der Landtagswahl mit 24,2 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis.
Als Grund macht Luther einen „perfekten Sturm an Themen“für die FPÖ aus – von Corona und der Migration über die Inflation bis hin zu Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP. Die FPÖ konnte aber neben der ÖVP- auch von der SPÖSchwäche profitieren. Die Sozialdemokraten konnten bei Themen wie Inflation und Energiekrise nicht reüssieren, sie verloren sogar Stimmen. Es sei der FPÖ besser als der SPÖ gelungen, auch mit ihrer rücksichtslosen Diktion die Themen Inflation und Migration unter die Wähler zu bringen, sagt Luther. Dabei handle es sich nicht um ein österreichisches Problem der Sozialdemokraten, sondern ein europaweites. Bei der Analyse der Wahlschlappe 2019 in England sei etwa die Labour-Partei zum Schluss gekommen, dass sie sich zur sehr vom „normalen Arbeiter“distanziert habe und es nicht gut angekommen sei, dessen Sorgen aufgrund der Migration als Rassismus abzutun. „Labour überlegt daher gerade, eine härtere Linie in Migrationsfragen zu fahren.“
Sollte die SPÖ dem Beispiel folgen und Landeshauptmann Hans Peter Doskozil als Parteichef installieren? Dieser Kurs könne erfolgreich sein, wie die ÖVP unter Sebastian Kurz, der FPÖ-Wähler zum Überlaufen brachte, zeigte. Das sei aber eher die Ausnahme, sagt Luther. Untersuchungen würden nahelegen, dass Versuche etablierter Parteien, populistisch das Migrationsthema zu nutzen, meist scheiterten. Das jüngste Beispiel ist die derzeitige ÖVP, die zwar einen harten Migrationskurs demonstrieren will, ohne Kurz jedoch wieder in Richtung FPÖ ausläuft.
„ÖVP-Chancen nicht gut“
Die Chancen der ÖVP schätzt Luther als „nicht gut“ein. Sich nun auf die Wirtschafts- und eine striktere Budgetpolitik zu fokussieren sei bei der Themenlage rund um die Teuerung schwierig. Dass der ÖVP nun ein unrühmliches Ende droht, glaubt Luther aber nicht. Die Parteiorganisation mit ihrem Klientelismus sei ein Grund dafür, „warum die ÖVP so schlecht dasteht“. Zugleich würde sie das Überleben der Partei sichern, bis die Ausgangslage für die ÖVP nach den Krisen wieder günstiger sei.
Aus der Außenperspektive sei zu beobachten, dass „man in Österreich geneigt ist, sich auf sehr hohem Niveau zu beklagen“. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien bei Weitem nicht so schlimm wie befürchtet. Das zeige die niedrige Arbeitslosigkeit. Im Vergleich dazu „ist Großbritannien das einzige Land in der G7, für das heuer kein Wirtschaftswachstum erwartet wird“.