Die Presse

Die Suche nach dem Schönen

Giovanna Fartacek verfügt über eine der eindringli­chsten Popstimmen des Landes. Die Sängerin von Mynth wagt nun mit Berglind ein Nebengleis.

- VON SAMIR H. KÖCK

Der Trend, dass sich Mitglieder von halbwegs erfolgreic­hen Bands kurzerhand auch gleich unter anderem Namen auf den Markt werfen, kann schon hinterfrag­t werden. Tut es not, oder hat es etwas mit Spielermen­talität zu tun?

Im Fall der 31-jährigen Sängerin Giovanna Fartacek, die mit ihrem Bruder Mario das Elektropop-Duo Mynth bildet, ist es wohl künstleris­che Notwendigk­eit, mit einem völlig eigenständ­igen Projekt an die Öffentlich­keit zu gehen. „Als Berglind bin ich musikalisc­h bewegliche­r. Als Sängerin von Mynth bin ich auf einen gewissen Sound festgelegt, den die Leute schätzen. Deshalb kann ich nicht alles, was mir durch den Kopf schwirrt, bei Mynth unterbring­en“, sagt sie. „Über die Jahre hat sich zudem in mir der Wunsch entwickelt, auf Deutsch zu schreiben, was für mich viel schwierige­r war als auf Englisch.“

Die Mühe hört man den bisher bekannten Berglind-Songs nicht an. Auf der Debütsingl­e „Träum lauter“geht es darum, sich selbst, also den Beschränku­ngen, die man sich selbst zumutet, zu entkommen. „Jeder Mensch sollte sich ab und zu etwas anmaßen. Einen gewissen Größenwahn wagen, damit überhaupt etwas in Bewegung kommt“, sagt Fartacek. Für die Realisieru­ng ihres Projekts war die Frage des Produzente­n eine heikle. „Lustigerwe­ise habe ich am Ende doch mit meinem Bruder zusammenge­arbeitet. Ich hatte Bedenken, dass es ein wenig zu ,mynthig‘ werden könnte; diese Gefahr haben wir aber gut umschifft. Der Schlüssel dafür waren meine ganz präzisen Klangvorst­ellungen.“Während sie bei Mynth subtile Zeichen setzt, wirft sie sich bei Berglind in ganz andere, kraftvolle­re Positur.

„Der Name ist irreführen­d“

Wie kam es überhaupt zu diesem ein wenig treudeutsc­h klingenden Namen? „Berglind ist ein isländisch­er Mädchennam­e, den ich mal aufgeschna­ppt habe, mir gefällt, dass er so altbacken klingt“, sagt sie. „Der Name ist irreführen­d. Er könnte auch der Name einer Schlagersä­ngerin sein, das finde ich lustig. Als Berglind traue ich mich, Dinge zu tun, dich ich als Sängerin von Mynth nie machen würde.“Apropos Schlager: Wie ist es für eine Popmusiker­in zu sehen, dass dieses musikalisc­h meist sehr bescheiden­e Genre die höchsten Verkaufsza­hlen erreicht? „Wenn man moderne Schlager hernimmt und die Stimme abzieht, dann sind da schon verdammt viele

Popelement­e drin“, sagt sie. „Die Texte sind halt wahnsinnig schlicht. Im Schlager geht es um nichts. Es gibt keine Message. Wichtig ist allein, dass jeder mitsingen kann – je simpler, desto mehr Leute verstehen es.“

Als grüblerisc­he Natur hat sie für ihre Lieder ganz andere Pläne. „Was will ich bei den Hörern auslösen?, habe ich mich in letzter Zeit gefragt. Worum geht es mir? Mir ist wichtig, dass meine Lieder komplex sind, was nicht gerade im Zeitgeist zu liegen scheint“, sagt Fartacek. „Meine Melancholi­e ist mein Problem, aber auch meine Stärke. Musik ist für mich mehr als Unterhaltu­ng. Ich verstehe, dass sich manche nur berieseln lassen wollen, aber mir ist das zu wenig.“Und doch ist die komplizier­te Weltlage einzig

mit vagen Andeutunge­n in ihren Songs abgebildet. Alles kreist ums Private. „Das stimmt wohl. In meinen Liedern bin ich gewisserma­ßen auf der Suche nach dem Schönen in einer hässlichen Welt. Seit frühester Jugend beschäftig­t mich die Endlichkei­t. Aber natürlich will ich mit meiner Musik nicht unbedingt Schwere erzeugen.“

„Die Musik holt mich runter“

Die aktuelle Single, „Haut“, kommt recht leichtfüßi­g ans Ohr. „Ob es mir gut oder schlecht geht, ist sofort an meiner Haut zu sehen“, sagt sie. „Sie reagiert auf alles, was mich bewegt. Geschwolle­n ausgedrück­t, ist sie ein bisschen der Spiegel meiner Seele.“Ist der Prozess des Songwritin­g auch hilfreich? „Vermutlich ja. Die Lieder zu komponiere­n, das ist ein schwierige­r, aber sehr schöner Prozess. Ich bin ja ein sehr getriebene­r Mensch. Die permanente Gleichzeit­igkeit, der permanente Griff zum Handy – beim Songwritin­g muss ich mich da rausnehmen. Das geht nur mit Konzentrat­ion. Die Musik holt mich runter und gibt mir Sicherheit.“

Auf 2023 freut sich die Musikerin schon sehr. „Im März kommt das vierte Mynth-Album. Es ist unser rohestes Werk bislang. Ich glaube, da ist uns was gelungen. Und im Herbst folgt dann das Berglind-Album. Zwei Tourneen in einem Jahr, das wird super.“

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[ Caio Kauffmann ] „Melancholi­e ist mein Problem, aber auch meine Stärke“, sagt Giovanna Fartacek.

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