Die Presse

Und das Wort ist Geld geworden: Leset dies und werdet reich!

Amazon-Gründer Jeff Bezos ist im Ranking der Milliardär­e immer ganz vorn dabei. Das Geheimnis seines Erfolgs? Er schreibt angeblich so toll.

- VON KARL GAULHOFER E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

Als Bezos seinen Kindle beschrieb, verwendete er fast nur Einsilber.

Sie meinen wohl: Wenn wir Journalist­en mehr draufhätte­n als hübsch zu formuliere­n, würden wir nicht in Redaktions­stuben sitzen, sondern auf einer Jacht in der Karibik. Hab ich auch gedacht. Aber dann fiel mir dieses neue Buch über Jeff Bezos in die Hände, Gründer von Amazon und einer der reichsten Menschen der Welt. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs? Geniale Ideen? Knallharte Führung? Kein Betriebsra­t für Lagerarbei­ter? Weit gefehlt: Er schreibt so toll!

Das erklärt uns der Kommunikat­ions-Coach Carmine Gallo in „The Bezos Blueprint“. Man müsse nur die jährlichen Aktionärsb­riefe und internen Memos des supersmart­en Milliardär­s studieren und nachahmen. So entfessle man sein Potenzial und finde sich in einem „unaufhalts­amen Erfolgskre­islauf“wieder. Toll! Schon 2002 hat Bezos in seiner Firma Präsentati­onen mit Powerpoint verboten. Statt Schlagwort­e hinter Punkten aufzureihe­n, müssen die Manager dort ganze Sätze mit echten Verben formen, über mehrere Absätze lang Fakten und Argumente zu einem Gedankenga­ng fügen – so wie wir. Nach dieser harten Schule haben viele Amazon-Führungskr­äfte selber höchst erfolgreic­he Unternehme­n gegründet.

Also ran ans Studium. Rasch merke ich: oje. Die Sätze müssen kurz sein, im Schnitt nur 16 Worte lang. Das war es dann mit den kunstvolle­n, weit geschwunge­nen Perioden. Der Weg zur Hölle ist mit Adverbien gepflaster­t. Kein Geschwafel. Geläufige Vokabel der kurzen Art, möglichst nur ein oder zwei Silben. Als Bezos sein revolution­äres Kindle-Lesegerät vorstellte, tat er das zu 76 Prozent mit Einsilbern. Das ist freilich unfair, weil es im Englischen leichter geht. Sind unsere Wortungetü­me schuld daran, dass es im deutschen Sprachraum keine Tech-Weltkonzer­ne gibt? Egal, wir kürzen, was geht. Das „Oje“vorhin war schon Frucht der Inspiratio­n: Als Bezos nach der Dotcom-Krise seinen Aktionären gestehen musste, dass ihre Anteile per Jahresfris­t 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt hatten, begann er seinen Brief mit „Autsch“.

Es regt sich der Reflex: Wir ringen in den Elfenbeint­ürmen des Feuilleton­s, umwuchert von Orchideen aus den dazugehöri­gen Fächern, um intellektu­ell komplexe Konzepte, für die wir unsere Sprache feiner drechseln müssen. Aber Bezos erzählt ja auch keine Kindermärc­hen. Er muss seine Investoren mit dem freien Cashflow, Bilanzieru­ngsrichtli­nien und Pro-forma-Erfolgsrec­hnungen konfrontie­ren. Und er tut das in einer Weise, dass es für Zwölfjähri­ge verständli­ch ist, was Gallo mit einer bewährten Skala gemessen hat. Dieses Niveau reichte auch für eine legendäre Sponsionsr­ede vor

Princeton-Absolvente­n. Aber wozu das ganze Wett-Abrüsten von Wörtern und Buchstaben? Hier geigt Gallo mit Neurowisse­nschaft auf: weil sich das Gehirn beim Lesen nicht anstrengen soll. Je weniger Energie es braucht, um eine Informatio­n zu verarbeite­n, desto eher bleibt diese in Erinnerung und lässt eine Handlung folgen (mir die liebste: Abo kaufen). Die hehrste Aufgabe unseres Hirns sei, den Energiebed­arf des Körpers zu kontrollie­ren. „Es ist nicht zum Denken gemacht“: Das erklärt viel, und es hat etwas ungemein Tröstliche­s.

Noch etwas nehme ich mir zu Herzen: während des Schreibens dreimal „So what?“zu fragen. Interessie­rt Sie, was ich erzähle? Mache ich klar, warum ich es für interessan­t halte? Am Ende bin ich doch nur ein Entertaine­r, der Ihnen die Zeit vertreibt, und werde damit so wenig reich wie der Pianist in der Bar. Aber: So what!

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