Ihr Arbeitstag beginnt, sobald die Stadt schläft
Nachtschicht.
Michelle Schneider und Ksenija Dimitrijevic zählen zu den jungen Frauen, die sich für einen technischen Job entschieden haben. Bei den ÖBB Train Tech gehören späte Arbeitszeiten für sie zum Alltag, erstaunte Blicke mitunter auch.
Weitläufige Schienen deuten bereits beim Toreingang der Ruthnergasse 2A in Floridsdorf darauf hin, dass es sich um einen Arbeitsplatz handelt, der selten im Rampenlicht steht. Obwohl Fahrgäste – im wahrsten Sinn des Wortes – oft damit in Berührung kommen. Vor Ort werden Nahverkehrszüge der
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ÖBB und externer Betreiber, wie etwa der Raaberbahn, für den Nahverkehr geprüft, repariert und zur Weiterfahrt regelrecht „auf Schiene gebracht“.
Dafür zeichnen unter anderem Michelle Schneider und Ksenija Dimitrijevic verantwortlich. Beide haben sich bereits jung dazu entschlossen, in technischen Berufen Fuß zu fassen und eine Lehre zu absolvieren: Erstere zur Anlagenbetriebstechnikerin, Dimitrijevic zur Maschinenbautechnikerin.
Jobs, die als typische Frauenberufe gelten, haben sie nie interessiert, wie aus den Gesprächen hervorgeht. „Das Technische hat mich schon in der Volksschule mehr fasziniert, als zu nähen oder zu kochen“, sagt Schneider, und Dimitrijevic ergänzt: „Nach zwei Jahren an der HTL hab ich gemerkt, dass ich in die Praxis gehöre.
Gesagt, getan. Hier anzufangen war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt die 24-Jährige. Auch aufgrund der Arbeitsatmosphäre: Sie spricht weniger von Kollegen und einem Arbeitsplatz als vom Zusammenleben „einer kleinen Familie“. Dadurch sei es auch keine Überwindung, nachts zu arbeiten. Anfangs sei es schwierig gewesen, einen Rhythmus zu finden. Doch: „Sobald man sich daran gewöhnt, hat es sogar schöne Seiten, so spät zu werken. Es ist ruhiger, und man kann entspannt arbeiten. Die Konzentration ist gesteigert und der Chef oft nicht da“,
scherzt Schneider. Aber vor allem bekommen sie einen Einblick, der anderen meist verwehrt bleibt: Züge von unten zu sehen. Die 145 Tonnen schweren und 75 Meter langen Cityjets wirken bedrohlich, wenn man näher kommt, doch Angst vor Unfällen oder davor, nicht stark genug zu sein, haben die Frauen nicht: „Es gibt nichts, was wir nicht machen können.“
Mit dieser Haltung sei es auch keine große Herausforderung, in einer männerdominierten Branche tätig zu sein, ist Dimitrijevic überzeugt, aber: Anfangs werde man als Frau oft unterschätzt.
„Insbesondere in der Lehrzeit wird man erstaunt angeschaut und mit Samthandschuhen behandelt. Aber wenn man sich gut anstellt, ist es sogar leichter als Frau, Respekt zu bekommen und den Sprung nach oben zu schaffen“, erklärt die zukünftige Elektrotechnikerin. Auf die Frage, ob sie sich mehr weibliche Mitarbeitende wünsche, ist ihre Antwort eindeutig: „Auf jeden Fall. Wenn sich Frauen für diesen Beruf interessieren, beeindrucken sie oft mit einem Hang zur Detailtreue und zum Perfektionismus. Das macht sie unerlässlich.“So verfolge man im Konzern das Ziel, den Frauenanteil bis 2026 von aktuell rund 14 Prozent auf 17 Prozent zu erhöhen. Diese Offensive freut auch Standortleiter Christian Deiretsbacher, denn: Vom aktuellen Lehrgang für Fahrzeugtechniker habe er bereits mehr Frauen als Männer in sein Team übernommen.
Teile reparieren, nicht ersetzen
Was die beiden besonders stolz macht: Ihre Leistung angreifen zu können. Saubere, funktionierende Züge, die tagsüber genutzt und nachts untersucht werden. Und dabei auf Reparatur statt auf Neuanschaffung zu setzen: So könnten mehr als 90 Prozent aller Bauteile moderner Schienenfahrzeuge wieder instand gesetzt werden. Insgesamt investiere ÖBB Train Tech rund 600 Mio. Euro in 22 Standorte. Allein in Floridsdorf werden davon 80 Millionen benötigt. Apropos 80: Intern setze man bereits auf 80.000 Jahre Eisenbahnerfahrung von 4000 Mitarbeitenden, sagt Deiretsbacher, „wenn man alle Berufsjahre zusammenzählt“.
AUF EINEN BLICK
Michelle Schneider (29) und Ksenija Dimitrijevic (24) haben sich dazu entschlossen, eine Lehrausbildung bei den ÖBB zu absolvieren. Sie verantworten u. a. die Instandhaltung der Cityjets, auch wenn es um die Beschädigungen durch Graffiti geht: Die Schadenssumme stieg im Vergleichszeitraum 2020 von 1,2 Millionen auf rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr.