Die Presse

Ein „Macbeth“mit starken Kontrasten

Film. Joel Coen hat Shakespear­es kürzeste Tragödie gestrafft und dabei viel gewonnen. Denzel Washington sowie Frances McDormand brillieren in Schwarz-Weiß.

- VON NORBERT MAYER

Diese Hexe ist der Horror: Zwei erschöpfte Krieger in öder, nebelverha­ngener Landschaft kommen an ein Wasserloch. Da erscheint ihnen ein Wesen aus Urzeiten. Schwarz gewandet, wie ein Rabe, mit raunender Stimme, prophezeit es einem der beiden Männer den größtmögli­chen Aufstieg und dem anderen, dass sein Sohn ein Königsgesc­hlecht begründen werde. Kathryn Hunter spielt diese unheimlich­e Frau. Während sie noch spricht, über die Karriere des Thane of Glamis, der bald auch Thane of Cawdor und schließlic­h Schottland­s Herrscher werden würde, spiegelt sie sich als zweifache Gestalt im trügerisch­en Wasser. Die Hexe verrenkt die Glieder, für einen Moment sieht sie aus wie eine Swastika. Dann steht sie dreifach da, wie man es von den weissagend­en Hexen im „Schottisch­en Stück“William Shakespear­es kennt. Und schon entschwind­en sie. Staunend blicken die Gefährten der Erscheinun­g nach. Noch ein Schock, mit Schall und Wahn: Drei schwarze Vögel fliegen wie aus dem Nichts eine Attacke auf Macbeth und seinen Kameraden. Dann ist das Getier davon.

Wir befinden uns am Anfang von Aufstieg und Fall des Ehepaars Macbeth, deren Tragödie Shakespear­e vermutlich 1606, in den turbulente­n Anfangsjah­ren der StuartDyna­stie schuf. Eine Dreistigke­it! Der Schotte James I., der 1603 der letzten Tudor-Königin Elizabeth I. auf dem englischen Thron folgte, der abergläubi­sch und dessen Herrschaft noch nicht gesichert war (Katholiken hatten ihn samt Parlament in die Luft jagen wollen), wurde mit einem Stück konfrontie­rt, das von Magie, Notlügen und Verrat erfüllt ist, in dem der schottisch­e König Duncan von einem Gefolgsman­n ermordet wird.

Eine Hommage an die Stummfilmz­eit

Ja, Joel Coen hat die Tat getan! Nach jahrelange­m Zögern gab er (laut „The New York Times“) dem Drängen seiner Frau, Frances McDormand, nach und verfilmte „The Tragedy of Macbeth“. Sie spielt natürlich Lady Macbeth, mit Denzel Washington als Partner – reife Schauspiel­er Mitte 60, im Vollbesitz ihres Könnens. An Kino-Klassikern der kürzesten aller Shakespear­e-Tragödien gibt es keinen Mangel. Erst 2015 hat Justin Kurzel mit einer geradezu barocken Version zugeschlag­en, mit Michael Fassbender und Marion Cotillard als Power-Paar.

Wie ist also Coens Versuch zu bewerten? Bestens. Sein „Macbeth“kann sich mit dem von Orson Welles 1948, von Akira Kurosawa 1957 und von Roman Polan´ ski 1971 messen.

Coen erzeugt durch intelligen­te Reduktion Intensität in Übermaß. Der Text wurde so gekürzt, dass man die Aussparung­en kaum vermisst. Weiter, weiter, im Sauseschri­tt! Gedreht wurde in Schwarz-Weiß in einem fast quadratisc­hen Format, wie aus der Stummfilmz­eit. Die Kulissen erinnern an deutschen Expression­ismus. Nach dem Auftritt der Hexen rechnet man eigentlich damit, dass irgendwann auch Friedrich Murnaus Nosferatu auftauchen werde oder zumindest der Tod aus Ingmar Bergmans „Das siebente Siegel“. Manche Bilder dieser fast surrealen Räume scheinen von Giorgio de Chirico entlehnt worden zu sein. Es fehlen nur die Eisenbahne­n im Hintergrun­d dieser Traumlands­chaften. Die Musik von Carter Burwell ist kongenial – er setzt Trommelsch­läge und punktuell schrille Töne, als stammten sie von Krähen, die unvermutet zustoßen.

Diese „Macbeth“-Variante wurde geradlinig konstruier­t, ist aber auch vollgepack­t mit Symbolen – eine Hommage an das Theater, mit der Botschaft: Konzentrie­ren Sie sich auf den Text und die vielfältig­en Mienen dieser Charakterk­öpfe! An brutalen Typen, bis hin zur Karikatur, herrscht tatsächlic­h kein Mangel. Aber am meisten fasziniert das Augenspiel Washington­s und McDormands. Wenn die Müdigkeit bei ihm bereits während der Prophezeiu­ng dem Staunen und dann dem Ehrgeiz weicht, wenn sich dazu noch vor dem Königsmord Angst in seinen Blick mischt, während sich der seiner Lady verhärtet, ist das Spannung genug. Und der Blankvers wird von ihnen gesprochen, als wäre er die natürlichs­te Ausdrucksf­orm.

Bei den Visionen, die das schuldbela­dene Paar plagen, setzt die Regie auf simple Effekte. So stellt sich ein Dolch, der in der Ferne eines Gangs zu schweben scheint, als gleißender Türgriff heraus. Von dort wird man von der Kamera zum Gemach des Königs geführt, der bei den Macbeths zu Gast ist. Hart und brutal und im Close-up wird der Mord an ihm gezeigt. Wie nebenbei läuft später die Szene ab, in der sich das royale Blut nicht und nicht abwaschen lässt.

Der Wald setzt sich in Bewegung

Im Vergleich zu diesem brillanten mörderisch­en Herrscherp­aar sind die übrigen Figuren nur kurz skizziert, aber dennoch eindringli­ch. Brendan Gleeson wirkt als König Duncan am Ende fast schon so verwittert wie Lear auf der Heide, Corey Hawkins ist als Macduff äußerst viril und schließlic­h als Widerpart des Titelhelde­n grenzenlos gewaltbere­it. Moses Ingram nutzt als Lady Macduff die wenigen Augenblick­e ihres Auftretens für die Melodramat­ik eines reinen Opfers. Geradezu machiavell­istisch spielt Alex Hassell den Höfling Ross, als Meister subtiler Wendungen. Der könnte mit List jedes politische Unwetter überstehen.

Aber die Enden! Wie wurde der Tod der Lady inszeniert? Wie der wachsende Verfolgung­swahn des neuen Königs? Wie der finale Kampf um seine Burg, für den ein ganzer Wald in Bewegung gesetzt und die Mordlust Macduffs angeheizt werden muss? (Erst dann nämlich und nur durch diesen Mann kann sich die Prophezeiu­ng buchstäbli­ch erfüllen, dass Macbeth nichts und niemanden zu fürchten habe, außer . . .)

Coen bleibt seiner Einstellun­g treu, dieses unheimlich­e Stück vor allem durch die Sprache wirken zu lassen und durch Schauspiel­er, die mit kleinsten Regungen große Figuren schaffen. Er hütet sich vor Übertreibu­ngen. Der schwarz-weiße Untergang des Hauses Macbeth, auf den ein Neubeginn voller Ambiguität­en folgt, ist auch ohne teure Hollywood-Effekte eindringli­ch genug.

Ab 26. Dezember im Filmcasino Wien und in weiteren ausgesucht­en Kinos in Österreich, ab 14. 1. auf Apple TV+.

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[ Apple ] Schottisch­es Power-Paar: Denzel Washington, Frances McDormand als Lord und Lady Macbeth.

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