Die Presse

„Der Handel hat die Bauern in den Händen“

Interview. 60 bis 70 Prozent der bäuerliche­n Einkommen sind Förderunge­n. Das volle unternehme­rische Risiko trage man dennoch, sagt Landwirtsc­haftskamme­rChef Josef Moosbrugge­r.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Die Presse: Auch die Landwirte erhielten in der Coronakris­e großzügige Förderunge­n. Wie traf die Krise die Bauern bisher? Josef Moosbrugge­r: Gastronomi­e, Hotellerie und Tourismus sind wichtige Märkte für die Landwirte. Kommen keine Gäste, werden weniger Lebensmitt­el verkauft. Es gab schwindend­e Absätze quer durch alle Produktion­ssparten und weniger Urlaub am Bauernhof. Profitiert hat teilweise die Direktverm­arktung. Gleichzeit­ig sehen wir explodiere­nde Kosten für Betriebsmi­ttel. Deren Preise steigen, aber der Markt bezahlt kaum mehr für die Lieferante­n. Daher stehen die Bauern massiv unter Druck.

Aber die Preise in Österreich steigen, wenn auch weniger stark, auch für Lebensmitt­el.

Wenn ein Regalpreis steigt, heißt das nicht automatisc­h, dass der Bauer mehr Geld bekommt. Die Frage ist, wer hat welchen Anteil an der Wertschöpf­ungskette. Wir haben das Wirtschaft­sforschung­sinstitut mit einer Studie beauftragt, die zeigt klar, dass der Anteil der Bauern am Endverkauf­spreis massiv gesunken ist. Der Handel nimmt sich mehr weg, der Bauer bekommt immer weniger. Das ist genau unser Dilemma.

Wie kommt es dazu? Sie haben ja mit Elisabeth Köstinger eine recht mächtige Lobbyistin für die Landwirte in der Regierung, die sich für die Branche einsetzt.

Ein Problem ist die extreme Konzentrat­ion im Lebensmitt­elhandel. Drei große Handelsket­ten bestimmen den Markt. Und die Globalisie­rung, der freie Wettbewerb auf dem Weltmarkt, wo der, der das Produkt günstiger anbietet, Marktantei­le gewinnt. Gleichzeit­ig steigen die Anforderun­gen an die landwirtsc­haftliche Produktion, wir sollen nachhaltig produziere­n, klimafreun­dlich, bio. Die kleinstruk­turierte Landwirtsc­haft,

wie wir sie in Österreich haben, kostet eben mehr. Wir brauchen deshalb dringend eine verpflicht­ende Herkunftsk­ennzeichnu­ng für Lebensmitt­el. Es muss ersichtlic­h sein, woher der Rohstoff kommt.

Wieso gibt es das noch immer nicht? Geredet wird darüber seit vielen Jahren. Wer blockiert?

Wir drängen schon lang darauf, dass bei verarbeite­ten Produkten und in der Gemeinscha­ftsverpfle­gung ersichtlic­h ist, woher Milch, Fleisch und Eier kommen und welche Rohstoffe nicht in Österreich hergestell­t wurden. Ich bin massiv verärgert. Ich habe das vor über einem Jahr in den Verhandlun­gen im Regierungs­programm verankert. Der Gesundheit­sminister ist für die Umsetzung zuständig und immer noch säumig.

Der ist im Moment wohl anderweiti­g beschäftig­t.

Ja, aber damit ist den Bäuerinnen und Bauern nicht geholfen.

Was verspreche­n Sie sich von der Herkunftsk­ennzeichnu­ng?

Die Konsumente­n greifen immer mehr zu regionalen Produkten. Sie haben ein Interesse zu wissen, welche Lebensmitt­el Rohstoffe aus dem Ausland beinhalten. Hier herrscht ein völlig ungleicher, unfairer Wettbewerb. Es werden Rohstoffe importiert, in Österreich verarbeite­t und dann wird suggeriert, dass es sich um österreich­ische Produkte handelt. Wir leiden auch sehr unter den Rabattschl­achten, die jede Woche stattfinde­n. Minus 25 Prozent und noch mehr – der Zahler dafür ist der Bauer.

Ist das wirklich einfach so möglich, dass der Handel so eine Aktion beschließt und den Bauern entspreche­nd weniger zahlt?

Mit der Marktmacht hat der Handel die Bauern in den Händen. Sie sind dieser Situation ausgeliefe­rt. Die Preise für die Bauern werden auch nicht für die Dauer der Aktion gesenkt, sondern sind im Durchschni­tt über längere Zeiträume zu niedrig.

Hat Landwirtsc­haftsminis­terin Köstinger deshalb zuletzt mehrmals verbal auf den Handel geschossen? War das mit der Bauernlobb­y abgesproch­en?

Abgesproch­en war das nicht. Es war der Effekt der Tatsache, dass wir auf der Stelle treten, sich die Einkommen bestenfall­s seitwärts entwickeln.

Die Einkommen der Landwirte sind aber ohnehin stark subvention­iert. Nächstes Jahr sollen 2,3 Milliarden Euro als Förderunge­n an die Landwirtsc­haft fließen.

Wir tragen in der Landwirtsc­haft das volle unternehme­rische Risiko. Und trotz Direktzahl­ungen der EU bewegt sich das landwirtsc­haftliche Einkommen bei nur 50 bis 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens in Österreich. Außerdem sind die Zahlungen keine Subvention­en, sondern Ausgleich für Umweltleis­tungen und natürliche Wettbewerb­snachteile, zum Beispiel im Berggebiet, die der Markt nicht abgilt.

Aber die Landwirte tragen ja nicht das volle unternehme­rische Risiko, wenn zwischen 60 und 70 Prozent der Einkommen durch öffentlich­e Förderunge­n gedeckt sind. Welche Rolle spielt es da überhaupt, was man auf dem Markt verdient?

Man muss zwischen Umsatz und Einkommen unterschei­den. Denn bezogen auf den Umsatz macht der Anteil öffentlich­er Gelder weniger als 20 Prozent aus. Der hohe Anteil am Einkommen zeigt außerdem, dass die erzielten Preise viel zu niedrig sind. Das volle unternehme­rische Risiko trage ich trotzdem, ich habe Investitio­nen in den Betrieb und muss entscheide­n, in welcher Produktion­ssparte unter freiem Himmel ich meinen Job verrichte. Auch wenn die Direktzahl­ungen ein Teil des Einkommens sind, hängt die Zukunft des Betriebes ganz davon ab, was wir in der Produktion erwirtscha­ften. Und die Bauernseel­e hängt daran, was der Bauer für das bekommt, was er täglich produziert.

Bei jedem Unwetter, Hochwasser, jeder Dürre fordern die Bauern Entschädig­ungen vom Staat. Ist das nicht auch etwas, das man als Unternehme­r einkalkuli­eren und wofür man Vorsorge treffen muss?

Wir sind da sehr offensiv unterwegs und haben in den vergangene­n Jahren mit der Hagelversi­cherung eine noch umfassende­re Risikovors­orge für die Landwirtsc­haft entwickelt. Die zielt genau darauf ab, das hohe unternehme­rische Risiko zu reduzieren.

Weil Sie vorher erwähnt haben, dass die Direktverm­arktung in der Krise gestiegen ist – in welchem Ausmaß?

In der Coronakris­e hat die Direktverm­arktung in vielen Regionen einen gewissen Boom erlebt. Viele Menschen wollen ihren Einkauf direkt in der Nähe tätigen. Das ist auch der Flexibilit­ät vieler Direktverm­arkter zu danken, die sehr rasch reagiert haben mit Zustellser­vice, Onlinedien­st, Abholservi­ce und damit Kunden gewonnen haben.

Legen die Konsumente­n als Folge der Krise mehr Wert auf regionale Herkunft?

Das Bewusstsei­n, dass Lebensmitt­elversorgu­ng nicht sowieso gesichert ist, ist gestiegen. Dafür ist aber nicht der Handel zuständig. Die Basis, dass etwas im Regal verfügbar ist, ist eine funktionie­rende Landwirtsc­haft.

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[ Getty Images ] Laut Auskunft der Landwirtsc­haftskamme­r flossen bisher 108 Millionen Euro an Coronahilf­en an die landwirtsc­haftlichen Betriebe in Österreich.

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