Liz Truss soll es nun richten
Großbritannien. Die Außenministerin, die den angeschlagenen Premier Johnson beerben will, wird zur Ansprechpartnerin der EU.
London. Dafür, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU nach offizieller britischer Lesart erledigt ist, dreht sich das Brexit-Personalkarussell nach wie vor erstaunlich schnell. Nach dem überraschenden Rücktritt des für die EU verantwortlichen Kabinettsmitglieds David Frost am Samstagabend landeten die Europaagenden am Sonntag bei Außenministerin Liz Truss. Damit vollzieht Premier Boris Johnson einen Schwenk und verankert die Beziehungen zum Kontinent erneut im Foreign Office.
Seit dem Brexit-Referendum im Sommer 2016 ist Truss die bereits sechste Ansprechperson für Brüssel. Vor ihr versuchten sich David Davis, Dominic Raab, Stephen Barclay, Michael Gove und zuletzt Frost an der Quadratur des Kreises – nämlich der Beibehaltung möglichst vieler Vorteile der EUMitgliedschaft bei gleichzeitigem EU-Austritt. In den Verhandlungen musste London wiederholt die Bedingungen der EU für den Zugang zu ihrem Binnenmarkt akzeptieren. An einer dieser Bedingungen – dem Sonderstatus für die Provinz Nordirland – biss sich zuletzt Frost die Zähne aus. Sein offizieller Rücktrittsgrund bezieht sich zwar auf die Unzufriedenheit mit Johnsons Coronapolitik, doch davor wurde der Hardliner, der das Nordirland-Sonderabkommen einseitig aufkündigen wollte, offenbar von seinem Vorgesetzten in der Downing Street 10 zurückgepfiffen, der wegen Nordirland keinen Handelskrieg mit der EU riskieren wollte.
Im Kostüm der „Eisernen Lady“
Die Rochade hat auch eine innenpolitische Komponente. Denn Johnson ist parteiintern schwer beschädigt. Unter den Konservativen ist ein informeller Kampf um dessen Nachfolge entbrannt – und Außenministerin Truss, die sich geschickt als Wiedergängerin der „Eisernen Lady“, Margaret Thatcher, präsentiert, zählt zu den Lieblingen der Parteimitglieder. Sollte Johnson an den Herausforderungen der Omikron-Welle scheitern und die Regionalwahl im Mai 2022 schlecht für die Tories ausgehen, wäre eine Palastrevolte kaum aufzuhalten.
Insofern lässt sich die Aufwertung der beliebten Außenministerin als Versuch Johnsons deuten, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sollte auch Truss die Erwartungen der Brexit-Fundamentalisten hinsichtlich eines möglichst harten Bruchs mit Brüssel nicht erfüllen, wäre sie bei den Konservativen ein Stück entzaubert. Und dass die EU von ihren Forderungen abrückt, ist nicht zu erwarten. Kommissar Marosˇ Šefčovič, der Ansprechpartner der Briten, hielt zuletzt erneut fest, dass die EU von den Briten die vollumfängliche Einhaltung des BrexitVertrags – Nordirland-Protokoll eingeschlossen – erwarte.