„Mathis der Maler“ist endlich auch zu sehen!
Paul Hindemiths bedeutendstes Musiktheaterwerk ist, mitgeschnitten 2012 im Theater an der Wien, erstmals nicht nur auf CD, sondern auch auf DVD greifbar: Keith Warners Produktion überzeugt.
Das Wort vom „Schlüsselwerk“ist rasch gebraucht. Im Falle von Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ist es freilich am Platz: Die Symphonie gleichen Namens, kompiliert aus Musik, die später in die Oper Eingang fand, wurde zu einem der meistgespielten Stücke der sogenannten klassischen Moderne. Die Oper firmiert in Lexika – ja eben: als Schlüsselwerk, wird aber kaum gespielt. Umso schöner, dass eine der besten jüngeren Produktionen nun auf DVD greifbar ist.
So lässt sich endlich im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich demonstrieren, welche zwiefach historische Stellung „Mathis der Maler“zukommt. Zum einen: An dieser Musik entzündete sich Anno 1934 die letzte Diskussion, die im Dritten Reich über die zeitgenössische Musik geführt wurde. War sie tauglich für die NS-Kulturpolitik? Die Antwort der Machthaber lautete: Nein.
Und das, obwohl Hindemith hier seine sogar von Hitler selbst inkriminierte Bürgerschreck-Attitüde abgelegt hatte und höchst eingängige, einleuchtend der Handlung und dem Text abgelauschte Musik komponiert hatte. So wurde – zum andern – „Mathis“historisch bedeutsam auch im musikologischen Sinn: Die Partitur wies einen Weg, der den fortschrittlichen Kommentatoren – voran Adorno – nach 1945 fatal rückschrittlich erschien, der sich aber in der Ära der Postmoderne als zukunftsträchtig erwies.
Insofern war es längst an der Zeit, dass sich auch Wien über den „Mathis“wagte, als Bertrand de Billy im Theater an der Wien 2012 den Taktstock hob, um am Pult der Wiener Symphoniker die Premiere von Keith Warners Inszenierung zu dirigieren; mit einem teils großartigen (Kurt Streit, Franz Grundheber), teils soliden Ensemble, angeführt vom grandiosen Wolfgang Koch, der die Zerrissenheit des Künstlers in Zeiten der Bedrängnis vokal wie darstellerisch packend – und wie sich jetzt zeigt: filmreif gestaltete; hin und her geworfen zwischen politischen Ränkespielen, (religions-)kriegerischen Parteiungen und der Sehnsucht nach freier, einsamer künstlerischer Betätigung.
Dank Warners kluger Regie, die sich in hinreißend suggestiven Bildern von Johan Engels vollkommen auf die Umsetzung von Hindemiths hochwertigem Text konzentriert, ergibt das auch daheim großes Opernkino. Bedenkt man, dass ganz zuletzt, nach den schweren seelischen Prüfungen der vom Isenheimer Altar inspirierten „Versuchung des Heiligen Antonius“, der Heilige Paulus in seiner Klause dem Antonius/Mathis jegliche politische Parteinahme verbietet und ihm entgegenschleudert: „Dem Volk entzogst du dich, als du zu ihm gingst. Du bist zum Bilden übermenschlich begabt. Geh hin und bilde.“
Wie gut, denkt man, dass die Nationalsozialisten einst ihre Chance nicht ergriffen, einen solchen Spruch für sich zu vereinnahmen. Er hätte ihnen erlaubt, den Künstlern durch die Einbindung eines der führenden Komponisten jener Ära einen „Maulkorb“umzuhängen. Hindemith ging ins Exil – und die Nachgeborenen dürfen, nachdem die notorischen Auseinandersetzungen um die Frage, wie dissonant Neue Musik sein müsse, zugunsten des Cis-Dur-Akkords entschieden wurde, mit dem „Mathis der Maler“sanft schließt, die Botschaft dieser bedeutenden Oper hören, wie sie gedacht war: Als unbedingtes Bekenntnis zur Humanität.