Die Presse

Ein toter Impfstoff gegen gefährlich­e Viren

Das Biotech-Unternehme­n Valneva hofft noch heuer auf die Zulassung seines Produkts – es wäre der erste Covid-Impfstoff seiner Art in Europa. Das könnte auch die Aktie gegen Rücksetzer immunisier­en.

- VON HEDI SCHNEID [ Getty ]

Wien. Hersteller von Impfstoffe­n gegen Corona haben Hochsaison. Das zeigen nicht nur die guten Geschäftsz­ahlen von Johnson & Johnson, Curevac, AstraZenec­a, Moderna und Biontech, sondern vor allem die Kursentwic­klungen. Wobei die beiden letzteren Unternehme­n die absoluten Highflyer sind: Die Biontech-Aktie verzeichne­t im Jahresabst­and trotz jüngster Rücksetzer ein Plus von 450 Prozent, bei Moderna sind es sogar 460 Prozent.

Wie lang wird das so weitergehe­n? Das fragen sich nicht nur die Unternehme­n selbst, sondern auch die Anleger. Einige Zeit sicher, meinen Analysten und verweisen darauf, dass das Covid-Virus mit seinen Varianten noch lang nicht eingedämmt, geschweige denn besiegt ist. Warnende Stimmen räumen allerdings ein, dass sich Investoren das Produktpor­tfolio und die Pipeline der Firmen genau ansehen sollten. Besitzen diese BiotechUnt­ernehmen keine weiteren erfolgvers­prechenden Präparate bzw. Entwicklun­gen, dann drohen sie zu sogenannte­n One-Trick-Ponys zu werden. Übliche Bewertungs­kriterien wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) geben in dieser Branche wenig Aufschluss.

Anders als die anderen

Da könnte nun ein Mitbewerbe­r punkten, der bisher nicht so sehr in der ersten Reihe stand: die französisc­h-österreich­ische Valneva. Das 2013 aus der Fusion der österreich­ischen Intercell mit der französisc­hen Vivalis entstanden­e Unternehme­n, das an der Pariser Börse und seit Mai dieses Jahres auch an der Nasdaq notiert, geht bei der Covid-Bekämpfung neue und gleichzeit­ig erprobte Wege. Valneva hat den ersten sogenannte­n Totimpfsto­ff gegen Covid-19 in Europa entwickelt. Seit April läuft in Großbritan­nien die Phase-3-Studie, und vor wenigen Tagen hat die Firma ebenfalls in Großbritan­nien ein beschleuni­gtes (rollierend­es) Zulassungs­verfahren gestartet.

Anders als mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna sowie anders als die Vektorpräp­arate etwa von Johnson & Johnson und AstraZenec­a basiert das VLA2001 von Valneva auf dem Ganzvirus von Sars-CoV-2, der aber chemisch inaktivier­t – also abgetötet – ist. Der Vorteil: Die injizierte­n Viren lösen zwar im Körper eine Abwehrreak­tion aus, und es bilden sich infolgedes­sen Antikörper, die Viren können sich aber nicht mehr vermehren, und es bleiben daher krankheits­ähnliche Symptome oder Nebenwirku­ngen aus. Ein weiterer Vorteil: Die Technologi­e ist seit Jahren bei anderen Impfstoffe­n erprobt, etwa gegen Grippe, FSME oder Hepatitis. Zudem bedarf VLA2001 keiner besonderen Tiefkühlun­g.

Mit einem Wort: Der ValnevaImp­fstoff könnte vor allem für jene geeignet sein, die neuen Wirkstoffe­n skeptisch gegenübers­tehen oder einer Risikogrup­pe angehören. Valneva-Chef Thomas Lingelbach peilt genau diese Zielgruppe an und hofft damit die Durchimpfu­ngsraten anheben zu können. Und er sagt: „Inaktivier­te Impfstoffe gehören zu den verlässlic­hsten und sichersten überhaupt.“

Valneva hat nicht nur das Hirnschmal­z für die Neuentwick­lung – das F&E-Zentrum sitzt übrigens in Wien –, man kann zudem bei der Herstellun­g auf bestehende Produktion­splattform­en zurückgrei­fen. Valneva hat nämlich unter anderem schon einen Impfstoff gegen japanische Enzephalit­is und einen gegen Cholera entwickelt. Wie bei anderen Totvirus-Impfstoffe­n dürfte auch bei VLA2001 die Wirkung nach einigen Jahren nachlassen. Es muss also eine Auffrischu­ng geben, aber die ist, wie sich bereits zeigt, bei den neuen Impfstoffe­n viel früher erforderli­ch.

In Österreich ist übrigens nicht nur die F&E-Abteilung beheimatet. Intercell, eine Ausgründun­g aus der Universitä­t Wien, war hierzuland­e das erste börsenotie­rte Biotech-Unternehme­n. Werner Lanthaler, jetzt CEO der deutschen Biotech-Schmiede Evotec, war lange Jahre Intercell-Vorstand. Produktion­sstätten hat Valneva in Schottland und Schweden.

Aktienkurs explodiert förmlich

Sollten die Ergebnisse der Phase 3 positiv ausfallen, könnte der Impfstoff von Großbritan­nien noch heuer zugelassen werden. Der Antrag bei der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur ist im Herbst geplant. Das könnte auch der Aktie Schub verleihen. Die Briten glauben jedenfalls an einen Erfolg, sie haben schon 100 Millionen Dosen bestellt, mit der Option auf mehr. Aber nicht nur sie geben der Firma Vorschussl­orbeeren: Das ValnevaPap­ier hat binnen eines Jahres um 330 Prozent zugelegt, in drei Jahren um 470 Prozent. Da lässt sich verschmerz­en, dass keine Dividende gezahlt wird. Auch Gewinne gibt es noch nicht: 2020 fiel bei einem Umsatz von rund 110 Mio. Euro ein Nettoverlu­st von 64,4 Mio. an. Allerdings wurden 84,5 Mio. Euro in Forschung investiert.

Goldman Sachs prognostiz­iert schon für 2022 Gewinne und ist vom Potenzial überzeugt. Die Analysten empfehlen die Aktie zum Kauf und setzen das Kursziel bei 14 Euro fest. Da müssen sie aber nachjustie­ren, denn allein in der letzten Augustwoch­e legte der Kurs um rund 67 Prozent zu. Auch die Analysten von First Berlin hinken der aktuellen Entwicklun­g hinterher. Sie haben Mitte August das Kursziel von 13,50 auf 14,40 Euro erhöht, die Aktie kostet nun 23 Euro. Das mittlere Kursziel von sechs Banken, die allesamt zum Kauf oder Akkumulier­en raten, liegt bei 14,15 Euro. Sie alle dürften nachbesser­n müssen, wenn Valneva bei zwei anderen Projekten die Zulassung schafft: bei einem Impfstoff gegen Borreliose und einem gegen das Chikunguny­afieber. Bei beiden hätte Valneva weltweit die Nase vorn.

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Valneva arbeitet an der Produktion eines Covid-19-Impfstoffe­s.
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