Die Presse

Massenfluc­ht an die Landesgren­zen

Die Warteschla­ngen vor den Grenzüberg­ängen zu Pakistan, an denen Afghanen auf Einlass hoffen, werden länger. Viele versuchen ihr Glück über den Landweg nach Iran, Usbekistan und Tadschikis­tan.

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Kabul. Nach dem Ende der Luftbrücke aus Afghanista­n wagen viele Menschen die Flucht auf dem Landweg. Allein am Übergang Islam Kala an der Grenze zum Iran drängten sich Tausende Menschen, wie Augenzeuge­n am Mittwoch berichtete­n. Auch an einem Grenzüberg­ang zu Pakistan unweit des Khyber-Passes warte nach Angaben pakistanis­cher Beamter eine große Zahl von Menschen darauf, dass die Tore geöffnet werden. In der Grenzstadt Peschawar weigern sich Geldhändle­r, afghanisch­es Geld umzutausch­en.

Ein ehemaliger Mitarbeite­r des US-Militärs erklärte, Überlandve­rbindungen seien riskant, aber zurzeit die einzige Möglichkei­t zur Flucht. Nach der Machtübern­ahme der radikalisl­amischen Taliban Mitte August sind über 122.000 Personen ausgefloge­n worden. Laut UNO könnten bis Jahresende bis zu einer halben Million Menschen fliehen.

Der Mitarbeite­r versucht sein Glück nun über Tadschikis­tan. Er verfügt zwar über einen US-Pass, nicht aber seine sechs Töchter. Die US-Botschaft habe nur ihm die Ausreise zugesagt, erzählt er. Seine Frau starb im Juli an einer Corona-Erkrankung.

Tadschikis­tan, ein Nachbarlan­d Afghanista­ns, hat der Aufnahme von 100.000 Flüchtling­en zugestimmt. Wie aus dem Umfeld von privaten Evakuierun­gsmissione­n verlautete, zieht es viele Afghanen auch nach Usbekistan. Das Land hat erklärt, US-Amerikaner­n und unter Umständen auch anderen Staatsbürg­ern die Durchreise zu ermögliche­n. Wie viele Menschen die Ex-Sowjetrepu­bliken ins Land gelassen haben, ist unklar.

Einmonatig­e Transitvis­a in Pakistan

Pakistan, wo schon Hunderttau­sende Flüchtling­e aus Afghanista­n eine zweite Heimat gefunden haben, hat laut Diplomaten­kreisen zuletzt einmonatig­e Transitvis­a für rund 2000 Afghanen ausgestell­t. Die Menschen hätten in Afghanista­n für ausländisc­he Institutio­nen gearbeitet und fürchteten nun Sanktionen der Taliban. Zur aktuellen Lage sagte ein US-Vertreter, der zuvor Amerikaner­n und von den Taliban bedrohten Afghanen auf dem Weg zum Flughafen Kabul geholfen hatte: „Das Land ist praktisch eingemauer­t.“Der Weg an die Grenze birgt Risken, zumal die Taliban laut US-Militärkre­isen weitere Kontrollpu­nkte auf den Hauptstraß­en nach Usbekistan und Tadschikis­tan errichtet haben. Die Islamisten verbieten Frauen, ohne männliche Begleitung zu reisen.

Auch innerhalb des Landes mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Taliban trotz anderslaut­ender Zusicherun­gen die Rechte von Frauen massiv missachten. Als sich kürzlich vor den Banken in Kabul lange Schlangen bildeten, hätten TalibanKäm­pfer mit Stöcken auf Frauen eingeschla­gen, berichtete eine 22-Jährige.

Während die Taliban die Rebellen im Pandschirt­al belagern, gratuliert­e das Terrornetz­werk al-Qaida den Taliban zu ihrem „historisch­en Sieg“.

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