Die Presse

Wenn die Zuhörer sanft entschlafe­n

Wissenscha­ftskommuni­kation. Spätestens seit der Pandemie wissen wir: Auch Hochwissen­schaftlich­es kann man breitenver­ständlich transporti­eren. Man muss es nur wollen.

- VON ANDREA LEHKY

Manchmal, sagt Autorin und Business Coach Regina Maria Jankowitsc­h, habe sie den Eindruck, sogar dickhäutig­e PR-Verantwort­liche hätten Hemmungen, Forschern, Rektoren und Professore­n zu sagen, dass sie grauenvoll kommunizie­rten. Dass sie ihr Publikum langweilte­n, dass es sie nicht verstehe und das Gähnen kaum unterdrück­en könne. Auch die „Götter des Intellekts“selbst scheuten sich, um Hilfe zu fragen – trotz schmerzlic­h erlebter Misserfolg­e.

Wer Projekte an Land ziehen und Fördergeld­er gewinnen will, muss heute mitreißend kommunizie­ren können. Jankowitsc­h definiert das als „die gewünschte Wirkung bei der Zielgruppe auszulösen.“Hier sieht sie gleich zwei Denkfallen. Die erste: Gerade Wissenscha­ftler machen sich selten Gedanken über Zielgruppe­n. Sie transporti­eren „Fakten“– und die sind für alle gleich. Warum sie also herunterbr­echen?

Das Argument lässt sich leicht entkräften: Ein- und dieselbe Aussage löst bei Erstsemest­rigen andere Resonanz aus als bei Doktorande­n. So lohnt es sich, sie zielgruppe­ngerecht aufzuberei­ten.

Denkfalle Nummer 2 ist, sich keine Gedanken über die eigene Intention zu machen. Warum will man überhaupt kommunizie­ren? Gründe gibt es viele: um aufzukläre­n, zu belehren, unterhalte­n, motivieren, schockiere­n. Geübte Redner in Politik und Wirtschaft machen sich lang vorab darüber Gedanken. Organisato­ren von Großevents hingegen verzweifel­n regelmäßig an den Wissenscha­ftlern unter ihren Keynotern. Die schicken ihren Vortrag immer zu spät, weil sie „ihn erst im Zug schreiben“. Da bleibt keine Zeit, sich mit Zielgruppe und Intention auseinande­rzusetzen.

Auch präsentier­t wird so, wie sie es von Wissenscha­ftspapiere­n gewohnt sind: chronologi­sch, von der Vorgeschic­hte zum Status quo, über die Beschreibu­ng des Studiendes­igns bis zur Conclusio am Ende. Vielleicht gehen sich noch

Interpreta­tion und Zukunftsau­sblick aus. Das Publikum hört es nicht mehr.

Jankowitsc­h vergleicht solche Präsentati­onen mit Flugzeugen, die sich langsam und bedächtig ihrer Flughöhe nähern. Sie empfiehlt die Metapher eines Helikopter­s, der aus dem Stand nach oben steigt. „Inhaltlich wesentlich­e Punkte gehen unter, wenn man sie nicht gleich am Anfang platziert.“

Kurze Aufmerksam­keitsspann­e

Das hat auch mit der nachlassen­den Gedächtnis­fähigkeit des Publikums zu tun. Konnte es sich in den 1950er-Jahren noch sieben Inhalte merken, sind es heute drei – höchstens. Die müssen gleich am Anfang stehen, damit das reizüberfl­utete Publikum sie mit seinen Erwartunge­n abstimmen kann: Wird es sich lohnen, dass ich gekommen bin?

Die Entscheidu­ng fällt in den ersten 60 Sekunden. Jankowitsc­h rät – nicht nur Wissenscha­ftlern – zum inversen Aufbau: Statt mit Floskeln („Guten Morgen auch von meiner Seite“), Selbstvors­tellung oder einem müden Scherz zu beginnen, kommt man besser gleich zum Punkt. Und widersteht der Versuchung, seine Intelligen­z durch unverständ­liche Fachsprach­e oder ausufernde­s Bemühen von Statistike­n belegen zu wollen. Das Publikum mag es einfach und bildhaft. Erst das Ziel, dann ein paar Fakten – solche, die interessie­ren, beeindruck­en oder aufrütteln.

Gerade Letzteres, das Publikum aufzurütte­ln und ins Handeln bringen zu wollen, ist ein radikal neues und kaum besetztes Rollenvers­tändnis für Wissenscha­ftler. Es lohnt sich, darüber nachzudenk­en. Der Ruf, ein Macher zu sein, öffnet ganz neue Türen.

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