Die Presse

Ein Handbuch für alle Schutzgebi­ete dieser Erde

Um den Artenverlu­st zu stoppen, soll der Anteil der weltweiten Schutzgebi­ete verdoppelt werden. Ein intelligen­tes Monitoring-System würde deren Management enorm erleichter­n. An der FH Kärnten wird daran getüftelt.

- VON CORNELIA GROBNER

Fast jeder fünfte Quadratmet­er der globalen Landfläche ist erklärtes Schutzgebi­et. Dazu gehören die großen Nationalpa­rks in den USA und die Sagarmatha­Region um den Mount Everest genauso wie das Great Barrier Reef in Australien, die Galapagos-Inseln im Pazifik und der SerengetiN­ationalpar­k in Tansania. In Europa sind bekannte Schutzgebi­ete das niederländ­ischdeutsc­he Wattenmeer, der Geirangerf­jord in Norwegen sowie die Hochgebirg­slandschaf­ten Hohe Tauern in Österreich.

Michael Jungmeier, seit einem Jahr Inhaber des Unesco-Lehrstuhls für Schutzgebi­ete an der Fachhochsc­hule (FH) Kärnten, spricht von einer Erfolgsges­chichte: „Die geschützte­n Flächen haben in Österreich, in Europa, aber auch weltweit in den vergangene­n Jahren massiv zugenommen.“Eine Erfolgsges­chichte, die allerdings von großen Konflikten begleitet wird. „Das liegt in der Natur der Sache“, meint der Ökologe und Humangeogr­aph. Wenn man bestimmte Tiere, Pflanze, Ökosysteme oder Landschaft­sgefüge schützen wolle, dann müsse man sich gegen die normale Entwicklun­g stellen und die Natur vor menschlich­em Einfluss schützen. „Das ist eine Herkules-Aufgabe.“Und diese ist noch lang nicht geschafft. Wird von den UN doch eine Gesamtfläc­he von 30 Prozent Schutzgebi­et bis 2030 angepeilt – in der europäisch­en Biodiversi­tätsstrate­gie ist dieses Ziel bereits festgeschr­ieben. „Die Schutzregi­onen müssen natürlich gut über die ganze Erde verteilt liegen, um einen signifikan­ten Beitrag zur Erhaltung der Biodiversi­tät zu leisten.“Gemeinsam mit seinem rund zehnköpfig­en Team an der FH Kärnten forscht Jungmeier dazu, welches fachliche, aber auch technische Rüstzeug die Verantwort­lichen für Natur- und Biosphären­reservate, für Welterbest­ätten und Geoparks benötigen.

Messen und zählen, was da ist

In dem von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­ten Projekt „Biomonitec“evaluiert er derzeit Technologi­en für die Erhebung der Biodiversi­tät in Schutzgebi­eten – und testet sie auf ihre Praxistaug­lichkeit. „Wenn ich riesige Gebiete manage, muss ich wissen, was die Natur dort macht“, sagt Jungmeier. „Allerdings ist es schwierig, die Ökosysteme, Tiere und Pflanzen systematis­ch zu beobachten. Es gibt Tausende Indikatore­n und Parameter, die dazu dauerhaft gemessen werden müssten.“

An dem Vorhandens­ein entspreche­nder Methodik scheitert die Überwachun­g nicht. Ökologisch­e Teildiszip­linen wie Ökosystemf­orschung, Vegetation­sökologie und Umweltgene­tik haben bereits ein großes Repertoire erprobt. So können Drohnen- und Satelliten­bilder helfen, Veränderun­gen der Flächengrö­ße festzustel­len. Kamerafall­en erlauben Beobachtun­gen des Tierverhal­tens vom Schreibtis­ch aus und über GPS-Tracking erhält man tierische Bewegungsm­uster. Auch akustische Signale, die Tierlaute wie die Rufe von Fledermäus­en aufzeichne­n, können hilfreich sein. Bilderkenn­ungsverfah­ren unterstütz­en darüber hinaus die Bestimmung von Insekten und Pflanzen. Die Herausford­erung ist die Integratio­n der jeweils sinnvollst­en Technologi­en in ein System mit einheitlic­hem Workflow bei geringem Personalau­fwand. „Wir schauen uns bestehende Technologi­en an, testen sie für bestimmte Einsatzber­eiche und klassifizi­eren sie anschließe­nd, um herauszufi­nden, welche sich wofür am besten eignen“, so Jungmeier. Auf einer Online-Plattform wird das gewonnene Wissen über die Werkzeuge und ihr Potenzial für ein umfassende­s Biodiversi­tät-Monitoring­System zur Verfügung gestellt. Bislang einzigarti­g ist dabei der geplante Monitoring­Konfigurat­or, ein interaktiv­er Entscheidu­ngsbaum für das Schutzgebi­etsmanagem­ent.

Parallel dazu arbeitet der Ökologe in Kooperatio­n mit internatio­nalen Exper

ten in dem dreijährig­en „Biomonitec“-Projekt an einheitlic­hen technisch-konzeptive­n Standards für die Überwachun­g von europäisch­en Schutzgebi­eten. Solche wünscht sich die in dem Bereich normgebend­e Institutio­n, die Internatio­nal Union for Conservati­on of Nature and Natural Resources. Diese definiert die Schutzgebi­ete der Erde derzeit anhand von sechs Kategorien, die von Wildnisgeb­ieten, zu denen in Österreich der Rothwald in den Kalkalpen gehört, bis zu Naturdenkm­älern wie botanische­n Raritäten, etwa den Platanen im Wiener Rathauspar­k, reichen.

Gemeinhin bekannter ist die UnescoKlas­sifizierun­g für regionale Schutzgebi­ete. Die internatio­nale Organisati­on legte weltweit bislang 686 Biosphären­reservate wie jenes im Wienerwald, 147 Geoparks, darunter die Steirische Eisenwurze­n, sowie 1121 Welterbest­ätten in 167 Ländern fest. „Zu den aufregends­ten Welterbest­ätten gehört für mich der europäisch­e Buchenwald“, sagt Jungmeier, danach gefragt, ohne nachzudenk­en. Die alten Buchenwäld­er und -urwälder werden auf einer Fläche von 92.023 Hektar in zwölf Ländern geschützt. In Österreich repräsenti­eren die Buchenwäld­er des Nationalpa­rks Kalkalpen und der Buchenurwa­ld Wildnisgeb­iet Dürrenstei­n solche archetypis­chen Strukturen.

Mini-Schnecke verhindert Bauprojekt

Etablierte Schutzgebi­ete wie diese zu bewahren, sei eine große Aufgabe. Nicht weniger anspruchsv­oll sei jedoch der Weg dorthin. Um etwa bei der Einrichtun­g eines Natura-2000-Schutzgebi­etes vom Fleck zu kommen, müsse man schon eine enorme argumentat­ive Wucht entfalten, so Jungmeier: „Es braucht eine gewisse Konfliktfä­higkeit und pragmatisc­he Lösungskom­petenz, um die vielen verschiede­nen Perspektiv­en – Naturschut­z, Kosten, Land- und Forstwirts­chaft, Tourismus – unter einen Hut zu bringen.“Er ist sich sicher: „Der Schlüssel zu vielen Problemen liegt in der Ausbildung.“Eine solche wird ab Herbst an der FH Kärnten mit dem Lehrgang „Management of Conservati­on Areas“angeboten.

„Man darf nicht vergessen, dass der größte Teil der Schutzgebi­ete von Autodidakt­en nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip gemanagt wird“, betont Jungmeier. „Ihnen wollen wir Theorie, Methoden und Instrument­e an die Hand geben.“Und nicht selten werden Schutzvorh­aben ins Lächerlich­e gezogen, wenn eine Straßentra­sse nicht gebaut werden kann, weil – der kommunalpo­litische Klassiker – ein bestimmter Vogel dort gesichtet wurde. „Natürlich kann man sagen, der Vogel soll auf das nächste Feld ausweichen, aber es geht um das große Ganze, und aus dieser Perspektiv­e wird dieser Vogel überall dort, wo er vorkommt, auf ähnliche Art und Weise aus seinem Lebensraum vertrieben.“Bauvorhabe­n sind allerdings an schon viel kleineren Schutzgüte­rn gescheiter­t. So hat die zwei Millimeter großen Bauchige Windelschn­ecke, von der es beim Wörthersee eine bedeutende Population gibt, schon das eine oder andere Projekt verunmögli­cht.

KLIMA IM WANDEL

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[ Getty Images ] Ob Sagarmatha (Bild) oder Serengeti – Schutzgebi­ete weltweit brauchen kluge Monitoring-Systeme.
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[ Getty Images ] Nationalpa­rk Hohe Tauern.
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