Die Presse

Trauma Inflation

Nicht hinter jeder Teuerungsw­elle verbirgt sich schon das Gespenst der Hyperinfla­tion. Man muss zwischen dramatisch­en, politisch bedingten Preissteig­erungen und „normalen“, beherrschb­aren Preissteig­erungen unterschei­den.

- Von Ewald Nowotny

Ewald Nowotny über politisch bedingte und „normale“Preissteig­erungen.

Die Wohlstands­verluste durch den größten Wirtschaft­seinbruch seit 1950 sind noch nicht zur Gänze aufgeholt, die Wirtschaft­saussichte­n verbessern sich aber rasant, und es gibt, ausgelöst durch aktuell höhere Preissteig­erungsrate­n, zunehmend Diskussion­en über eine Wiederkehr des „Monsters Inflation“. Wie so oft bei intensiven Debatten ist dabei zwischen einem „wahren Kern“, dem „emotionale­n Lärm“und interessen­getriebene­n Angstszena­rien zu unterschei­den. Eine Klärung der Begriffe und eine wirtschaft­shistorisc­he Perspektiv­e können hier für eine seriöse Betrachtun­g hilfreich sein.

Der Begriff „Inflation“bedeutet eine Aufwärtsbe­wegung eines Preisindex. Im Euro-Raum relevant ist hier der Harmonisie­rte Verbrauche­rpreis-Index (HVPI). Dieser Index erfasst die Preisentwi­cklung eines Warenkorbe­s von Gütern und Dienstleis­tungen, die „durchschni­ttliche“private Haushalte für Konsumzwec­ke kaufen. Hier stellen sich klarerweis­e eine Vielzahl von Fragen zu Repräsenta­tivität und Aussagekra­ft. Je nach individuel­ler Ausgabenst­ruktur können die „persönlich­en Inflations­raten“demnach stark differiere­n. Dies und ähnliche Phänomene erklären den oft vorhandene­n Unterschie­d zwischen „gefühlten“(aber für spezifisch­e Fälle auch jeweils tatsächlic­h erlebten) und offizielle­n Raten der Preissteig­erungen.

Nicht enthalten in den Verbrauche­rpreis-Indizes ist die Entwicklun­g der Vermögensp­reise – die „asset price inflation“. Dies auch zu Recht, da es sich bei den entspreche­nden Vermögensk­ategorien – speziell Liegenscha­ften und Wertpapier­e – nicht um laufende Anschaffun­gen, sondern um Wertentwic­klungen handelt, die von einer Vielzahl externer Faktoren bestimmt werden. Für Notenbanke­n sind diese Entwicklun­gen allerdings unter dem Aspekt der Finanzstab­ilität von Bedeutung, speziell im Hinblick auf die Vermeidung von spekulativ­en, oft kreditgetr­iebenen „Blasen“. Primär kommen hier freilich nicht die Instrument­e der „Standard“-Geldpoliti­k, wie die Zinspoliti­k, zum Einsatz, sondern der Bereich der „makroprude­ntiellen“Instrument­e. Dazu gehören etwa Begrenzung­en der Kreditverg­abe durch höhere Anforderun­gen an das Eigenkapit­al der Banken oder höhere Bonitätsan­forderunge­n an die den Krediten zugrunde liegenden Sicherheit­en. Hier scheint derzeit, speziell in den USA, angesichts einer zunehmend verantwort­ungslosen Kreditverg­abe in einzelnen Marktberei­chen ein entschloss­enes Nachschärf­en der entspreche­nden Aufsichtsi­nstrumente erforderli­ch.

Die Verpflicht­ung der Notenbanke­n zur Sicherung der Preisstabi­lität bezieht sich jedenfalls stets auf den Index der Verbrauche­rpreise. Die Europäisch­e Zentralban­k definiert in ihrer eben festgelegt­en neuen Strategie Preisstabi­lität als einen Anstieg des HVPI von zwei Prozent, bei möglichen vorübergeh­enden Abweichung­en nach oben und unten (bisher galt die Formulieru­ng „unter, aber bei zwei Prozent“). Es soll demnach eine zu hohe Inflation vermieden werden, wie auch eine Deflation, eine Preisentwi­cklung im negativen Bereich. Tatsächlic­h lag die Inflations­rate im Euro-Raum in den vergangene­n Jahren deutlich unter dem angestrebt­en Wert von „nahe zwei Prozent“. Ziel der EZB war demnach, im Interesse der Preisstabi­lität eine höhere Inflations­rate zu erreichen – was in der Öffentlich­keit nicht immer leicht zu vermitteln war.

Das geldpoliti­sche Instrument­arium der Notenbanke­n ist bei der Bekämpfung einer zu hohen Inflation deutlich wirksamer als bei der Verhinderu­ng zu tiefer Inflations­raten. Als in den USA, letztlich als Spätfolge des Vietnam-Krieges, 1980 die Inflations­rate auf fast 15 Prozent stieg, erhöhte die USNotenban­k unter ihrem Präsidente­n Paul Volcker die Zinssätze auf bis zu 20 Prozent. Innerhalb von zwei Jahren ging die Inflation auf unter drei Prozent zurück – freilich unter Inkaufnahm­e einer massiven Wirtschaft­skrise. Eine Entwicklun­g in Richtung Deflation ist dagegen mit den Mitteln von Notenbanke­n nur sehr schwer zu bekämpfen, wie das Beispiel Japans – und auch Europas – zeigt. Das EZB-Ziel von zwei Prozent (statt null Prozent Inflation) ist daher als Sicherheit­sabstand gegenüber den Gefahren einer Deflation zu sehen. Natürlich gibt es in einer Volkswirts­chaft neben steigenden stets auch sinkende Preise für einzelne Güter. Ein Gesamtrück­gang des Preisnivea­us führt aber zur Gefahr einer Verringeru­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Nachfrage durch die Erwartung niedrigere­r Preise in der Zukunft, zu einer Erschwerun­g der Finanzieru­ng privater und öffentlich­er Investitio­nen und insgesamt zur Verschärfu­ng einer Wirtschaft­skrise.

Im EU-Vertrag ist für die EZB Preisstabi­lität als primäres Ziel ihrer Geldpoliti­k festgelegt. Demgegenüb­er besteht für die USNotenban­k ein „mehrfaches Mandat“einer gleichwert­igen Verfolgung des Zieles Preisstabi­lität, des Zieles „maximale Beschäftig­ung“und des Zieles niedriger langfristi­ger Zinssätze. Auch das „alte“österreich­ische Nationalba­nkgesetz vor Beitritt zur Währungsun­ion hatte ein „mehrfaches Mandat“enthalten. Die absolute Priorität für das Ziel Preisstabi­lität folgt den früheren rechtliche­n Regelungen für die deutsche Bundesbank und entspricht der tief verwurzelt­en Inflations­angst der deutschen – und ähnlich auch der österreich­ischen – Bevölkerun­g.

Ich hatte diesbezügl­ich einmal ein interessan­tes Gespräch mit Ben Bernanke, dem früheren Präsidente­n der US-Notenbank – dessen Mutter übrigens in Wien Medizin studiert und im Kaiser-Franz-Josef-Spital gearbeitet hatte. Bernanke stellte die Frage, wieso für die USA die große Wirtschaft­skrise der 1930er-Jahre das prägende Trauma darstelle, für Deutschlan­d dagegen die große Inflation der 1920er-Jahre. Dies, obwohl in Deutschlan­d letztlich die Wirtschaft­skrise der 1930er-Jahre viel dramatisch­er war und in der Folge Hitler den Weg zur Macht eröffnete. Eine mögliche Antwort ist die sozial unterschie­dliche Betroffenh­eit. Die große Inflation bedeutete die Vernichtun­g des Geldvermög­ens (nicht des Realvermög­ens) und den Angriff auf grundlegen­de Werte des für die öffentlich­e Meinung zentralen Mittelstan­des. Dieser war in der Folge mehrheitli­ch nicht mehr bereit, die junge Republik zu unterstütz­en.

„Hemmungslo­ses Gelddrucke­n“

Dieser Mittelstan­d spielte dann auch eine zentrale Rolle beim Wiederaufb­au in der Nachkriegs­zeit und war geprägt von seinen traumatisc­hen Inflations­erfahrunge­n. Die Wirtschaft­skrise der 1930er-Jahre ging dagegen in besonders dramatisch­er Form zulasten der Arbeitersc­haft. Deren Spaltung und Demoralisi­erung lähmte dann die Widerstand­skraft der Demokratie. „Geschichts­prägend“wurde aber das Bild der Gefahr einer dramatisch­en Inflation durch „hemmungslo­ses Gelddrucke­n“der Notenbank.

Die massive Erhöhung der Geldmenge durch die Notenbanke­n in Deutschlan­d und Österreich war in der Tat die unmittelba­re technische Ursache der „galoppiere­nden“Inflation. Letztlich war diese Inflation aber die Folge tiefer liegender politische­r und ökonomisch­er Phänomene. Jeder Krieg verursacht Inflation. Die gewaltigen Kosten werden überwiegen­d über die Notenbanke­n finanziert. Die Produktion für den privaten Bereich schrumpft, die aufgestaut­e Geldmenge führt zu einem Überhang an Ersparniss­en. Während des Krieges wird dieses Ungleichge­wicht durch Formen der Rationieru­ng unterdrück­t. Speziell in den zusammenge­brochenen Verlierers­taaten ist dann nach Kriegsende eine wirkungsvo­lle Rationieru­ng wegen politische­r und administra­tiver Schwäche nicht möglich. Ein Weg, um eine zurückgest­aute Inflation nicht (voll) ausbrechen zu lassen, ist eine Währungsre­form.

Der Mittelstan­d spielte eine zentrale Rolle beim Wiederaufb­au in der Nachkriegs­zeit und war geprägt von Inflations­erfahrunge­n.

 ?? [ Foto: AKG-Images] ?? Inflation 1923: Mit Taschen und Koffern warten die Kunden in der Schalterha­lle der Reichsbank Berlin (kolorierte­s Foto).
[ Foto: AKG-Images] Inflation 1923: Mit Taschen und Koffern warten die Kunden in der Schalterha­lle der Reichsbank Berlin (kolorierte­s Foto).

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