Nur ein kurzer Tourismussommer in Kroatien?
Fremdenverkehr. Nachdem die EUGesundheitsagentur ECDC Kroatien bereits wieder auf Orange gestuft hat, ist die Sorge angesichts der steigenden Coronazahlen in dem Land besonders groß.
Belgrad/Split. Selbst der Regen vermochte die sonnenhungrigen Adriajünger nicht zu stoppen. Kilometerlange Staus und zum Teil stundenlange Wartezeiten vermeldete Kroatiens Verkehrspolizei am Wochenende von den Grenzübergängen, den Mautstationen und in den Fährhäfen des Landes.
Selten löste die Rückkehr der endlosen Blechkarawanen zur Hauptreisezeit soviel Zufriedenheit im Gastland aus. Die Auslastung der Inselfähren liege bereits bei 68 Prozent des Rekordjahres von 2019, berichtete in den kroatischen Medien erleichtert Jelena Ivulic von der staatlichen „Jadrolinija“in Split: „Die Fähren sind voll, wir arbeiten rund um die Uhr. In Anbetracht der Umstände und epidemiologischen Lage können wir zufrieden sein.“
Bereits 75 Prozent Auslastung
Tatsächlich klingeln an der Adria nach dem mageren Corona-Vorjahr endlich wieder die Kassen. Die zunächst zögerlich angelaufene Sommersaison brummt mittlerweile besser als erhofft. 730.000 Touristen sind derzeit im Land – rund 75 Prozent des Rekordjahrs 2019. Doch die Freude über die Rückkehr der Besuchermassen paart sich mit zunehmenden Coronasorgen: Wegen steigender Infektionszahlen in Dalmatien hat die EU-Gesundheitsagentur ECDC Kroatiens gesamte Küste Ende letzter Woche unerwartet früh von der grünen in die orange Zone abgestuft.
Sie sei „geschockt“, reagierte bestürzt Barbara Markovic von Kroatiens Verband der Privatunterkünfte in Split auf den überraschend raschen Abschied aus der grünen Zone: „Ich hatte erwartet, dass das Mitte August, aber nicht so schnell geschehen würde.“Der Beginn der Saison sei „vielversprechend, besser als gut“. „Aber was jetzt kommt, ist ungewiss. Wenn wir die epidemiologischen Zahlen nicht verbessern, werden wir die Nachsaison nicht erleben.“
Es sind die traumatischen Erfahrungen der ersten Coronasaison, die Kroatiens Tourismusbranche und Politiker so besorgt reagieren lassen. Auch 2020 war das Sommergeschäft besser als erwartet angelaufen. Doch als im August die Infektionszahlen auch wegen der laxen Befolgung der Präventivmaßregeln nach oben schnellten, rutschte Kroatien rasch in die rote Zone: Schon Mitte August packten die ausländischen Gäste verfrüht die Koffer und die Saison war praktisch beendet.
Nachtklubs als Problem
„Schlachtet nicht wegen eines Schnitzels die Kuh!“, fordert Dubrovniks Bürgermeister Mato Frankovic die Gastronomen zur strikten Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen auf. Ein erheblicher Teil der Infektionen in der „Adriaperle“sei einem Club mit Livemusik zuzuschreiben, kündigt er verärgert „rigorose Strafen“an. Im Vorjahr hätten die Nachtklubs Kroatien „die Saison gekostet“. „Das werden wir in diesem Jahr nicht zulassen.“
Doch auch die geringe Impfquote im Adriastaat, in dem erst 38,5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft sind, lässt die Branche dem Restsommer eher düster entgegenblicken. Der Tourismus machte über 20 Prozent von Kroatiens Bruttoinlandsprodukt aus, „und wir in Dalmatien leben von nichts anderem“, so Stipe Jelicic vom Verband der Gastronomen: „Ich verstehe nicht, warum die Leute sich nicht impfen lassen. Wir können schnell zur roten Zone werden.“
Verärgert über das Abrutschen in die orange Zone sind vor allem die Politiker und Gastronomen in dem bei Touristen aus Mitteleuropa besonders beliebten Istrien. Denn auf der Halbinsel sind nicht nur die Impfraten höher als im Rest des Landes, sondern auch die Infektionszahlen weiter ausgesprochen niedrig.
Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in Istrien bei nur 1,44, die Zahl der aktiven Fälle beträgt im Moment nur zwei: Am Sonntag wurden in der Region sogar null neue Infektionsfälle vermeldet.
Es gehe nicht an, dass Istrien die Folgen der „Unverantwortlichkeiten“anderer Regionen auszubaden habe, ärgert sich in Pula der Bürgermeister der größten istrischen Stadt, Boris Miletic. Tatsächlich sind es nicht nur die Nachtclubs auf der dalmatinischen Partyinsel Pag, sondern auch Großhochzeiten und Familienfeiern, die von Epidemiologen misstrauisch beäugt werden.
In Zadar war es im Juni ein von mehreren Tausend Zuschauern besuchtes Basketballspiel, das der Stadt schon früh den Anstieg der Infektionszahlen bescherte. In Sinj durfte der nationalistische „Thompson“-Barde am Wochenende gar vor 5000 Zuschauern trällern: TV-Teams, die die gelobte Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen überprüfen wollten, wurde bei dem umstrittenen Konzert der Einlass verwehrt.
Große Inzidenz-Unterschiede
Noch scheint Kroatiens SiebenTage-Inzidenz mit 18,8 relativ niedrig. Doch in vier dalmatinischen Regionen ist sie bereits auf über 40, in Zadar gar auf 99,3 geklettert, Tendenz steigend. Außer einheimischen Infektionsherden machen dem Küstenstaat auch die mit dem Tourismus importierten Risiken zu schaffen: Vor allem den Folgen des britischen „Tags der Freiheit“sehen Epidemiologen, Gastronomen und Medien mit zunehmender Sorge entgegen.
„Wird uns die Ankunft der Briten in die rote Zone der Coronakarte treiben?“, fragt sich beunruhigt das Webportal index.hr in Zagreb. London habe während der Fußballeuropameisterschaft fast keine Ausländer einreisen lassen. „Und wir lassen nun massenhaft die Briten zu, obwohl auf der Insel die Delta-Mutante tobt“, blickt die Zeitung „Slobodna Dalmacija“in Split argwöhnisch der in dieser Woche stark erhöhten Zahl von Flügen aus Großbritannien entgegen.