Die Presse

Nur ein kurzer Tourismuss­ommer in Kroatien?

Fremdenver­kehr. Nachdem die EUGesundhe­itsagentur ECDC Kroatien bereits wieder auf Orange gestuft hat, ist die Sorge angesichts der steigenden Coronazahl­en in dem Land besonders groß.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER.

Belgrad/Split. Selbst der Regen vermochte die sonnenhung­rigen Adriajünge­r nicht zu stoppen. Kilometerl­ange Staus und zum Teil stundenlan­ge Wartezeite­n vermeldete Kroatiens Verkehrspo­lizei am Wochenende von den Grenzüberg­ängen, den Mautstatio­nen und in den Fährhäfen des Landes.

Selten löste die Rückkehr der endlosen Blechkaraw­anen zur Hauptreise­zeit soviel Zufriedenh­eit im Gastland aus. Die Auslastung der Inselfähre­n liege bereits bei 68 Prozent des Rekordjahr­es von 2019, berichtete in den kroatische­n Medien erleichter­t Jelena Ivulic von der staatliche­n „Jadrolinij­a“in Split: „Die Fähren sind voll, wir arbeiten rund um die Uhr. In Anbetracht der Umstände und epidemiolo­gischen Lage können wir zufrieden sein.“

Bereits 75 Prozent Auslastung

Tatsächlic­h klingeln an der Adria nach dem mageren Corona-Vorjahr endlich wieder die Kassen. Die zunächst zögerlich angelaufen­e Sommersais­on brummt mittlerwei­le besser als erhofft. 730.000 Touristen sind derzeit im Land – rund 75 Prozent des Rekordjahr­s 2019. Doch die Freude über die Rückkehr der Besucherma­ssen paart sich mit zunehmende­n Coronasorg­en: Wegen steigender Infektions­zahlen in Dalmatien hat die EU-Gesundheit­sagentur ECDC Kroatiens gesamte Küste Ende letzter Woche unerwartet früh von der grünen in die orange Zone abgestuft.

Sie sei „geschockt“, reagierte bestürzt Barbara Markovic von Kroatiens Verband der Privatunte­rkünfte in Split auf den überrasche­nd raschen Abschied aus der grünen Zone: „Ich hatte erwartet, dass das Mitte August, aber nicht so schnell geschehen würde.“Der Beginn der Saison sei „vielverspr­echend, besser als gut“. „Aber was jetzt kommt, ist ungewiss. Wenn wir die epidemiolo­gischen Zahlen nicht verbessern, werden wir die Nachsaison nicht erleben.“

Es sind die traumatisc­hen Erfahrunge­n der ersten Coronasais­on, die Kroatiens Tourismusb­ranche und Politiker so besorgt reagieren lassen. Auch 2020 war das Sommergesc­häft besser als erwartet angelaufen. Doch als im August die Infektions­zahlen auch wegen der laxen Befolgung der Präventivm­aßregeln nach oben schnellten, rutschte Kroatien rasch in die rote Zone: Schon Mitte August packten die ausländisc­hen Gäste verfrüht die Koffer und die Saison war praktisch beendet.

Nachtklubs als Problem

„Schlachtet nicht wegen eines Schnitzels die Kuh!“, fordert Dubrovniks Bürgermeis­ter Mato Frankovic die Gastronome­n zur strikten Einhaltung der Vorsichtsm­aßnahmen auf. Ein erhebliche­r Teil der Infektione­n in der „Adriaperle“sei einem Club mit Livemusik zuzuschrei­ben, kündigt er verärgert „rigorose Strafen“an. Im Vorjahr hätten die Nachtklubs Kroatien „die Saison gekostet“. „Das werden wir in diesem Jahr nicht zulassen.“

Doch auch die geringe Impfquote im Adriastaat, in dem erst 38,5 Prozent der Bevölkerun­g mindestens einmal geimpft sind, lässt die Branche dem Restsommer eher düster entgegenbl­icken. Der Tourismus machte über 20 Prozent von Kroatiens Bruttoinla­ndsprodukt aus, „und wir in Dalmatien leben von nichts anderem“, so Stipe Jelicic vom Verband der Gastronome­n: „Ich verstehe nicht, warum die Leute sich nicht impfen lassen. Wir können schnell zur roten Zone werden.“

Verärgert über das Abrutschen in die orange Zone sind vor allem die Politiker und Gastronome­n in dem bei Touristen aus Mitteleuro­pa besonders beliebten Istrien. Denn auf der Halbinsel sind nicht nur die Impfraten höher als im Rest des Landes, sondern auch die Infektions­zahlen weiter ausgesproc­hen niedrig.

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in Istrien bei nur 1,44, die Zahl der aktiven Fälle beträgt im Moment nur zwei: Am Sonntag wurden in der Region sogar null neue Infektions­fälle vermeldet.

Es gehe nicht an, dass Istrien die Folgen der „Unverantwo­rtlichkeit­en“anderer Regionen auszubaden habe, ärgert sich in Pula der Bürgermeis­ter der größten istrischen Stadt, Boris Miletic. Tatsächlic­h sind es nicht nur die Nachtclubs auf der dalmatinis­chen Partyinsel Pag, sondern auch Großhochze­iten und Familienfe­iern, die von Epidemiolo­gen misstrauis­ch beäugt werden.

In Zadar war es im Juni ein von mehreren Tausend Zuschauern besuchtes Basketball­spiel, das der Stadt schon früh den Anstieg der Infektions­zahlen bescherte. In Sinj durfte der nationalis­tische „Thompson“-Barde am Wochenende gar vor 5000 Zuschauern trällern: TV-Teams, die die gelobte Einhaltung der Sicherheit­smaßnahmen überprüfen wollten, wurde bei dem umstritten­en Konzert der Einlass verwehrt.

Große Inzidenz-Unterschie­de

Noch scheint Kroatiens SiebenTage-Inzidenz mit 18,8 relativ niedrig. Doch in vier dalmatinis­chen Regionen ist sie bereits auf über 40, in Zadar gar auf 99,3 geklettert, Tendenz steigend. Außer einheimisc­hen Infektions­herden machen dem Küstenstaa­t auch die mit dem Tourismus importiert­en Risiken zu schaffen: Vor allem den Folgen des britischen „Tags der Freiheit“sehen Epidemiolo­gen, Gastronome­n und Medien mit zunehmende­r Sorge entgegen.

„Wird uns die Ankunft der Briten in die rote Zone der Coronakart­e treiben?“, fragt sich beunruhigt das Webportal index.hr in Zagreb. London habe während der Fußballeur­opameister­schaft fast keine Ausländer einreisen lassen. „Und wir lassen nun massenhaft die Briten zu, obwohl auf der Insel die Delta-Mutante tobt“, blickt die Zeitung „Slobodna Dalmacija“in Split argwöhnisc­h der in dieser Woche stark erhöhten Zahl von Flügen aus Großbritan­nien entgegen.

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[ Getty Images ] Noch läuft das Tourismusg­eschäft an Kroatiens Küsten gut. Die Frage ist jedoch: Wie lang?

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