Biograf Blasius: „Laschet kann keine Führungskompetenz vermitteln“
Interview. Laschet-Biograf Tobias Blasius über Stärken und Schwächen des CDU-Chefs und Vielleicht-Kanzlerkandidaten.
Die Presse: Armin Laschet gilt als Vertrauter von Angela Merkel. Worin würde sich denn ein Kanzler Laschet von einer Kanzlerin Merkel überhaupt unterscheiden? Tobias Blasius: Inhaltlich kaum. Aber zwei größere Unterschiede könnte man bemerken. Erstens: Laschet ist in Europa-Fragen ein Mann des heißen Herzens. Er ist da mehr „Kohlianer“und weniger, wie Merkel, ein Machtpragmatiker. Laschet sieht Deutschland also in der Tradition Helmut Kohls als ehrlichen Makler in Europa, der zwischen kleinen und großen Ländern ausgleicht und auch einmal das große Ganze über die eigenen nationalen Interessen stellt.
Laschets Heimat Aachen liegt im Dreiländereck mit den Niederlanden und Belgien. Hat das sein Europa-Bild geprägt?
Ja. Es gibt diese Anekdote, dass er mit seinen
Eltern als Kind immer auf der grünen Grenze zwischen Deutschland und Belgien spazieren gegangen ist, und sie damals so ein familiäres Spiel daraus gemacht haben: „Haben wir schon einen Fuß in Deutschland? Oder schon einen in Belgien?“Laschet ist ein glühender Europäer. Das steckt ganz tief in ihm drinnen.
Was ist der zweite Unterschied zu Merkel? Die Machttechnik. Laschet ist überhaupt kein präziser politischer Handwerker wie Angela Merkel. Er ist viel sprunghafter als die Kanzlerin und hat manchmal diesen rheinischen Zugang: Man muss auch mal Fünfe gerade sein lassen.
Laschet wirkt manchmal auch dünnhäutig und reizbar in öffentlichen Diskussionen. Fehlt ihm Merkels Selbstbeherrschung?
Er ist immer schon ein sehr emotionaler Typ gewesen. Die Opposition muss bei Laschet während einer Rede nur beharr
lich dazwischenrufen, dann fährt er aus der Haut. Und wenn ihn, wie neulich, Markus Lanz aus dem Konzept bringt, dann fällt rasch die Fassade. Ihm fehlt das abgezockte „Pokerface“, wie es auch Merkel hat. Aber diese Emotionalität hilft Laschet auch, persönliche Loyalitäten zu schaffen. Er kann sich in andere hineinversetzen. Kohl hat ja immer von seinen „europäischen Freunden“gesprochen und damit Politik gemacht. So ähnlich könnte auch Laschet agieren.
Wenn man mit Deutschen über Laschet spricht, fällt meistens auch die Zuschreibung, er sei ein bisschen langweilig.
Ja, er hat wegen seines Auftretens das Image des rheinischen Normalos, ja fast schon eines Biedermanns. Er ist deshalb auch immer wieder unterschätzt worden.
Die Deutschen trauen Laschet das Kanzleramt in großer Mehrheit nicht zu. Seine Umfragewerte sind miserabel. Warum?
Die Deutschen suchen bei einem Kanzlerkandidaten auch nach Hinweisen auf Führungskompetenz. Laschet kann das nicht vermitteln. Meine These ist, dass ihm schlicht das Handwerk dazu fehlt, sich als Führungsfigur darzustellen. Und in der Coronakrise hat ihm sein fahriger Kurs geschadet.
Laschet hat in der Coronakrise früh darauf gedrängt, auch die Kollateralschäden zu berücksichtigen und stärker abzuwägen. Was ist daran falsch?
Das Problem ist, dass er dieser Linie nicht treu geblieben ist. Ich kenne Krankenhausbedienstete, die sagen, sie müssen jeden Tag das Radio einschalten, um zu wissen, welche Linie Laschet heute wieder fährt.
Sie haben die Führungskompetenz angesprochen. Söder wird diese Fähigkeit zugeschrieben.
Ja, aber die Pointe ist, dass Laschet vermutlich integrer, auch inhaltlich verlässlicher ist als Söder. Aber Söder beherrscht perfekt die Kunst, den Leuten zu vermitteln, dass er eine Führungsfigur sei, der man das Land anvertrauen könne. Und genau das kann Laschet überhaupt nicht.
Laschet kontert Zweifel an seinen Wahlchancen gern mit dem Hinweis, dass die CDU unter seiner Führung das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands, Nordrhein-Westfalen (NRW) von der SPD zurückerobert hat.
Das stimmt. Aber Laschet ist nie aktiv gewählt worden. Er war nie ein Umfragekönig. Seine ganze Karriere beruht darauf, dass er immer da war, wenn sich jemand anderer unmöglich gemacht hat oder wenn es darum ging, eine freundliche Alternative zu jemandem zu suchen. Und den „Armin“mochte man ja auch irgendwie. Es gibt ja die Mär, der in Umfragen unterschätzte Laschet habe bei der NRW-Wahl 2017 in einem starken Endspurt die sehr beliebte SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geschlagen. Die Wahrheit ist: Laschet hatte damals das zweitschlechteste CDU-Landesergebnis eingefahren. Das war keine aktive LaschetWahl, sondern eine Kraft-Abwahl. Das können Sie so durchgehen bis in die Achtziger. Immer war Laschet die freundliche Alternative. Doch bei dieser Bundestagswahl müsste er zum ersten Mal aktiv gewählt werden. Das ist das Problem.
Könnte Laschet noch zurückziehen, also auf die Kanzlerkandidatur verzichten?
Also ich glaube, er zieht das durch. Er hat trotz aller Emotionalität ein ziemlich unerschütterliches Selbstvertrauen. Das liegt auch an einem starken persönlichen Umfeld. Laschet zählt zu den wenigen Spitzenpolitikern, die in ihrer Heimatstadt noch über ein intaktes persönliches Umfeld verfügen, zu dem auch nicht politische Freunde aus Kindheitstagen zählen. Auch das Verhältnis zu seinen drei Brüdern und seinem Vater ist sehr eng. Das stärkt ihm den Rücken.