Die Presse

Nieder mit dem Sultan, Ursula auf den Thron!

Während der Zorn um Erdo˘gans „Sofagate“verraucht, fragen wir: Sollen uns Sitzordnun­gen so erregen? Zu Zeiten der Nibelungen hatten Rangstreit­e noch sehr handfeste Folgen.

- VON KARL GAULHOFER

Ähem! Ein kleines Wort, ein großes Ärgernis. Europa empört sich im grimmigen Chor mit Ursula von der Leyen darüber, dass seine Kommission­spräsident­in von einem türkischen Möchtegern­Despoten beim Staatsbesu­ch auf das protokolla­risch minderwert­ige Sofa verwiesen wurde. Zu zwei Männern aufschauen zu müssen, die sich auf protzigem Gestühl platzieren, gleich Königen auf Thronen: Wie frauenfein­dlich ist das denn! Machos wie im Mittelalte­r! Wohlig weiche Polstermöb­el in allen Ehren, aber dieser west-östliche Diwan ist ein Affront.

Obgleich: Von der Leyen konnte es sich darauf sicher bequemer machen als Erdogan˘ und Ratspräsid­ent Michel auf ihren harten und nicht minder stillosen Stilmöbeln. Und nachdem die erste Aufregung über „Sofagate“verraucht ist, sei die generelle Frage erlaubt, ob unserem emotionale­n Attachment an rigorose Sitzordnun­gen nicht auch etwas leicht Mittelalte­rliches anhaftet.

In jenen dunklen Zeiten hätte es freilich mit diplomatis­cher Verstimmun­g nicht sein Bewenden gehabt. Wir wissen, wohin es führte, dass sich Kriemhild und Brünhild nicht einigen konnten, wer von ihnen beiden auf dem Hochsitz einer Halle in Worms sitzen durfte: Ihr Game of Thrones endete in einem massenmörd­erischen Gemetzel. Solch etwas überzogen wirkende Reaktionen sind nicht den Fantasien der Autoren des Nibelungen­lieds entsprunge­n. Folgenreic­he Rangstreit­e waren real: Als sich ein Bischof von Fulda und ein Abt von Goslar 1062 ob der Frage in die grauen Haare gerieten, wer von ihnen berechtigt war, sich nebst dem Erzbischof von Mainz niederzula­ssen, ließ sich diese kniffelige Frage leider nur kriegerisc­h lösen.

Seien wir also froh, dass heute niemand mehr auf die Idee kommt, die verletzte Ehre des Abendlande­s durch einen Waffengang gegen den

Sultan von Ankara zu sanieren. Im Geschäftsl­eben und im Fernsehen geht es ja schon längst entspannte­r zu. Runde Tische garantiere­n Gleichrang­igkeit, Bosse mischen sich unters Fußvolk. Außer in Japan: Dort wäre es ein unverzeihl­icher Fauxpas, den Ranghöchst­en mit dem Rücken zur Türe zu platzieren – ein Relikt aus Zeiten, als Samurais und Tennos noch eindringen­de Feinde und in den Rücken gerammte Tanto-¯ Kampfmesse­r fürchten mussten.

Auch mit Scheichs ist nicht zu scherzen. Ein solcher aus Katar verzögerte vor einigen Jahren den Abflug einer Linienmasc­hine um drei Stunden, weil er es ablehnte, dass Damen seines Gefolges neben unbekannte­n Männern Platz nehmen. Am Ende warf der Pilot den Herrscher samt Hofstaat hinaus. Es sei uns eine Lehre. Machen wir uns locker, setzen wir uns freiwillig zu den Hinterbänk­lern und an den Katzentisc­h. Dort hat man am meisten Spaß.

karl.gaulhofer@diepresse.com

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