Nieder mit dem Sultan, Ursula auf den Thron!
Während der Zorn um Erdo˘gans „Sofagate“verraucht, fragen wir: Sollen uns Sitzordnungen so erregen? Zu Zeiten der Nibelungen hatten Rangstreite noch sehr handfeste Folgen.
Ähem! Ein kleines Wort, ein großes Ärgernis. Europa empört sich im grimmigen Chor mit Ursula von der Leyen darüber, dass seine Kommissionspräsidentin von einem türkischen MöchtegernDespoten beim Staatsbesuch auf das protokollarisch minderwertige Sofa verwiesen wurde. Zu zwei Männern aufschauen zu müssen, die sich auf protzigem Gestühl platzieren, gleich Königen auf Thronen: Wie frauenfeindlich ist das denn! Machos wie im Mittelalter! Wohlig weiche Polstermöbel in allen Ehren, aber dieser west-östliche Diwan ist ein Affront.
Obgleich: Von der Leyen konnte es sich darauf sicher bequemer machen als Erdogan˘ und Ratspräsident Michel auf ihren harten und nicht minder stillosen Stilmöbeln. Und nachdem die erste Aufregung über „Sofagate“verraucht ist, sei die generelle Frage erlaubt, ob unserem emotionalen Attachment an rigorose Sitzordnungen nicht auch etwas leicht Mittelalterliches anhaftet.
In jenen dunklen Zeiten hätte es freilich mit diplomatischer Verstimmung nicht sein Bewenden gehabt. Wir wissen, wohin es führte, dass sich Kriemhild und Brünhild nicht einigen konnten, wer von ihnen beiden auf dem Hochsitz einer Halle in Worms sitzen durfte: Ihr Game of Thrones endete in einem massenmörderischen Gemetzel. Solch etwas überzogen wirkende Reaktionen sind nicht den Fantasien der Autoren des Nibelungenlieds entsprungen. Folgenreiche Rangstreite waren real: Als sich ein Bischof von Fulda und ein Abt von Goslar 1062 ob der Frage in die grauen Haare gerieten, wer von ihnen berechtigt war, sich nebst dem Erzbischof von Mainz niederzulassen, ließ sich diese kniffelige Frage leider nur kriegerisch lösen.
Seien wir also froh, dass heute niemand mehr auf die Idee kommt, die verletzte Ehre des Abendlandes durch einen Waffengang gegen den
Sultan von Ankara zu sanieren. Im Geschäftsleben und im Fernsehen geht es ja schon längst entspannter zu. Runde Tische garantieren Gleichrangigkeit, Bosse mischen sich unters Fußvolk. Außer in Japan: Dort wäre es ein unverzeihlicher Fauxpas, den Ranghöchsten mit dem Rücken zur Türe zu platzieren – ein Relikt aus Zeiten, als Samurais und Tennos noch eindringende Feinde und in den Rücken gerammte Tanto-¯ Kampfmesser fürchten mussten.
Auch mit Scheichs ist nicht zu scherzen. Ein solcher aus Katar verzögerte vor einigen Jahren den Abflug einer Linienmaschine um drei Stunden, weil er es ablehnte, dass Damen seines Gefolges neben unbekannten Männern Platz nehmen. Am Ende warf der Pilot den Herrscher samt Hofstaat hinaus. Es sei uns eine Lehre. Machen wir uns locker, setzen wir uns freiwillig zu den Hinterbänklern und an den Katzentisch. Dort hat man am meisten Spaß.
karl.gaulhofer@diepresse.com