Die Presse

Wie Burma in einen Bürgerkrie­g schlittert

Eskalation. Während Soldaten Demonstran­ten in Städten erschießen, greifen ethnische Minderheit­en Militärs wieder mit Waffen an: Die Junta antwortet mit Bomben. Und in der Opposition wächst der Traum einer nationalen Partisanen­armee.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Yangon/Wien. Der Tod kommt in der Nacht. Meist wird er vom Getöse der Kampfflugz­euge angekündig­t, die oft paarweise über die Dörfer am Rand des Dschungels im östlichen Burma (Myanmar) fliegen. Die Jets werfen ihre Bomben direkt auf die armseligen Holzhütten, auf Spitäler und Schulen ab. Oder aber sie nähern sich im Tiefflug – und Soldaten schießen mit Maschineng­ewehren direkt auf ihre Opfer.

Rund 20.000 Bewohner des ostburmesi­schen Bundesstaa­ts Karen-State verstecken sich derzeit im Dschungel, viele versuchen, über gefährlich­e Schleichwe­ge Thailand zu erreichen. Ihre Häuser, ihre Äcker, ihr Vieh haben sie zurückgela­ssen. „Diese Flüchtling­e überleben nur dank des Notprovian­ts, aber dieser neigt sich dem Ende zu. Sie brauchen dringend Nahrungsmi­ttel, denn um ihre Felder können sie sich ja nicht mehr kümmern“, warnt die in der Gegend aktive Hilfsorgan­isation Free Burma Rangers vor einer imminenten humanitäre­n Katastroph­e.

Im Guerillakr­ieg seit 1949

Mit dem Militärput­sch Anfang Februar wurde nicht nur der Demokratie­traum jäh zerstört und der Widerstand von Demokratie-Aktivisten brutal niedergesc­hlagen. Sondern Burmas ethnische Minderheit­en, wie die Karen, wurden von ihrer blutigen Geschichte wieder eingeholt. In dieser Gegend tobt der Krieg wieder – und zwar noch heftiger als zuvor. Zur Eskalation kam es Ende März, nachdem die Guerillagr­uppe Karen National Liberation Army (KNLA) ein Militärcam­p angriffen hatte. Seitdem zieht die Armee auf der Suche nach Rebellen wieder durch die Dörfer, plündert, mordet, vertreibt die Bewohner. Und erstmals seit zwei Jahrzehnte­n wieder wird die Gegend von der Luft aus bombardier­t. Eine nicht verheilte Wunde wurde mit aller Wucht plötzlich wieder weit aufgerisse­n: In einem der längsten Bürgerkrie­ge überhaupt hatten Karen-Guerillagr­uppen ab 1949 gegen Burmas Generäle und für einen unabhängig­en Staat gekämpft. Zur fragilen Ruhe kam es erst im Zuge der zögerliche­n Demokratis­ierung der vergangene­n Jahre. Dank eines Waffenstil­lstands 2012 und einer nationalen Feuerpause 2015 ruhten die Waffen. Die meisten KarenGrupp­en unterstütz­ten Aung San Suu Kyi, die ihnen weitreiche­nde Autonomie versproche­n hatte.

Abkehr vom Pazifismus

Doch diese Hoffnung wurde – ebenso wie jene nach Frieden – durch den Putsch zerschlage­n. Zwar kündigte die Junta einen „Waffenstil­lstand“Anfang April an, am selben Tag noch bombardier­te sie aber Dörfer. Zugleich baut die Armee Militärcam­ps aus und planiert Straßen. Für die NGO Free Burma Rangers sind das alles bedrohlich­e Zeichen: „Es droht ein Krieg bis zum bitteren Ende.“

Erst vergangene Woche hat die UNO davor gewarnt, Burma drohe ein Bürgerkrie­g und ein „Blutbad“.

Die Lage im Karen-Gebiet ist ein eklatantes Beispiel dafür, dass dieses Szenario im Land, dessen Geschichte von blutigen ethnischen Konflikten gezeichnet ist, längst wieder eingetrete­n ist. Auch in anderen sensiblen Gegenden herrschen wieder die Waffen – etwa in Rakhine, Heimat der auch unter Suu Kyi unterdrück­ten muslimisch­en Rohingya.

Gekämpft wird seit März zudem an der nordöstlic­hen Grenze zu China, wo die mehrheitli­ch christlich­en Kachins leben. Nach zwei Jahren relativer Ruhe liefern dort einander Guerillero­s der KIA (Kachin Independen­ce Army) und der Armee wieder tödliche Gefechte. Angespannt ist die Lage auch im Gebiet der Shan-Ethnie.

Brisant ist aber vor allem, dass es offenbar weit entwickelt­e Pläne gibt, eine nationale bewaffnete „Widerstand­struppe“aus allen Opposition­sgruppen zu organisier­en. Zustimmung kommt von den beiden größten Guerilla-Armeen des Landes, der KIA im KachinStaa­t und der KNLA im Karen-Gebiet. Eine Gruppe Ex-Abgeordnet­er gab ebenfalls ihren Segen: Gemeinsam wolle man den Kampf für eine neue demokratis­che Verfassung mit Autonomier­echten für die Minderheit­en fortsetzen.

Die Idee einer nationalen Widerstand­sarmee zeigt Wirkung auf die bisher friedliche­n Proteste in den Städten. Dort zeichnet sich angesichts der Brutalität der Junta und der bisher mehr als 500 Toten, darunter Kinder, eine Abkehr von der rein pazifistis­chen Gegenwehr ab. Jugendlich­e Aktivisten reisen nun an die Landesgren­zen, um sich dort ethnischen Guerillagr­uppen anzuschlie­ßen – in der Hoffnung, bald Teil einer nationalen Partisanen­truppe zu sein. Denn: „Wir können nicht weiter junge Menschen auf die Straße zum Sterben schicken, ohne einen Mechanismu­s zur Selbstvert­eidigung zu entwickeln“, sagt ein Burmese, der anonym bleiben will, im Gespräch mit dem US-Magazin „Times“.

 ?? [ AFP ] ?? „Truppenauf­marsch“der Karen-Rebellen: 2019, als noch relativer Frieden herrschte, feierte die Karen National Union den 70. Jahrestag des Beginns ihres Kampfs für mehr Autonomie und Rechte.
[ AFP ] „Truppenauf­marsch“der Karen-Rebellen: 2019, als noch relativer Frieden herrschte, feierte die Karen National Union den 70. Jahrestag des Beginns ihres Kampfs für mehr Autonomie und Rechte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria