Wie Burma in einen Bürgerkrieg schlittert
Eskalation. Während Soldaten Demonstranten in Städten erschießen, greifen ethnische Minderheiten Militärs wieder mit Waffen an: Die Junta antwortet mit Bomben. Und in der Opposition wächst der Traum einer nationalen Partisanenarmee.
Yangon/Wien. Der Tod kommt in der Nacht. Meist wird er vom Getöse der Kampfflugzeuge angekündigt, die oft paarweise über die Dörfer am Rand des Dschungels im östlichen Burma (Myanmar) fliegen. Die Jets werfen ihre Bomben direkt auf die armseligen Holzhütten, auf Spitäler und Schulen ab. Oder aber sie nähern sich im Tiefflug – und Soldaten schießen mit Maschinengewehren direkt auf ihre Opfer.
Rund 20.000 Bewohner des ostburmesischen Bundesstaats Karen-State verstecken sich derzeit im Dschungel, viele versuchen, über gefährliche Schleichwege Thailand zu erreichen. Ihre Häuser, ihre Äcker, ihr Vieh haben sie zurückgelassen. „Diese Flüchtlinge überleben nur dank des Notproviants, aber dieser neigt sich dem Ende zu. Sie brauchen dringend Nahrungsmittel, denn um ihre Felder können sie sich ja nicht mehr kümmern“, warnt die in der Gegend aktive Hilfsorganisation Free Burma Rangers vor einer imminenten humanitären Katastrophe.
Im Guerillakrieg seit 1949
Mit dem Militärputsch Anfang Februar wurde nicht nur der Demokratietraum jäh zerstört und der Widerstand von Demokratie-Aktivisten brutal niedergeschlagen. Sondern Burmas ethnische Minderheiten, wie die Karen, wurden von ihrer blutigen Geschichte wieder eingeholt. In dieser Gegend tobt der Krieg wieder – und zwar noch heftiger als zuvor. Zur Eskalation kam es Ende März, nachdem die Guerillagruppe Karen National Liberation Army (KNLA) ein Militärcamp angriffen hatte. Seitdem zieht die Armee auf der Suche nach Rebellen wieder durch die Dörfer, plündert, mordet, vertreibt die Bewohner. Und erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder wird die Gegend von der Luft aus bombardiert. Eine nicht verheilte Wunde wurde mit aller Wucht plötzlich wieder weit aufgerissen: In einem der längsten Bürgerkriege überhaupt hatten Karen-Guerillagruppen ab 1949 gegen Burmas Generäle und für einen unabhängigen Staat gekämpft. Zur fragilen Ruhe kam es erst im Zuge der zögerlichen Demokratisierung der vergangenen Jahre. Dank eines Waffenstillstands 2012 und einer nationalen Feuerpause 2015 ruhten die Waffen. Die meisten KarenGruppen unterstützten Aung San Suu Kyi, die ihnen weitreichende Autonomie versprochen hatte.
Abkehr vom Pazifismus
Doch diese Hoffnung wurde – ebenso wie jene nach Frieden – durch den Putsch zerschlagen. Zwar kündigte die Junta einen „Waffenstillstand“Anfang April an, am selben Tag noch bombardierte sie aber Dörfer. Zugleich baut die Armee Militärcamps aus und planiert Straßen. Für die NGO Free Burma Rangers sind das alles bedrohliche Zeichen: „Es droht ein Krieg bis zum bitteren Ende.“
Erst vergangene Woche hat die UNO davor gewarnt, Burma drohe ein Bürgerkrieg und ein „Blutbad“.
Die Lage im Karen-Gebiet ist ein eklatantes Beispiel dafür, dass dieses Szenario im Land, dessen Geschichte von blutigen ethnischen Konflikten gezeichnet ist, längst wieder eingetreten ist. Auch in anderen sensiblen Gegenden herrschen wieder die Waffen – etwa in Rakhine, Heimat der auch unter Suu Kyi unterdrückten muslimischen Rohingya.
Gekämpft wird seit März zudem an der nordöstlichen Grenze zu China, wo die mehrheitlich christlichen Kachins leben. Nach zwei Jahren relativer Ruhe liefern dort einander Guerilleros der KIA (Kachin Independence Army) und der Armee wieder tödliche Gefechte. Angespannt ist die Lage auch im Gebiet der Shan-Ethnie.
Brisant ist aber vor allem, dass es offenbar weit entwickelte Pläne gibt, eine nationale bewaffnete „Widerstandstruppe“aus allen Oppositionsgruppen zu organisieren. Zustimmung kommt von den beiden größten Guerilla-Armeen des Landes, der KIA im KachinStaat und der KNLA im Karen-Gebiet. Eine Gruppe Ex-Abgeordneter gab ebenfalls ihren Segen: Gemeinsam wolle man den Kampf für eine neue demokratische Verfassung mit Autonomierechten für die Minderheiten fortsetzen.
Die Idee einer nationalen Widerstandsarmee zeigt Wirkung auf die bisher friedlichen Proteste in den Städten. Dort zeichnet sich angesichts der Brutalität der Junta und der bisher mehr als 500 Toten, darunter Kinder, eine Abkehr von der rein pazifistischen Gegenwehr ab. Jugendliche Aktivisten reisen nun an die Landesgrenzen, um sich dort ethnischen Guerillagruppen anzuschließen – in der Hoffnung, bald Teil einer nationalen Partisanentruppe zu sein. Denn: „Wir können nicht weiter junge Menschen auf die Straße zum Sterben schicken, ohne einen Mechanismus zur Selbstverteidigung zu entwickeln“, sagt ein Burmese, der anonym bleiben will, im Gespräch mit dem US-Magazin „Times“.