Vorsichtige Hoffnung auf Frieden in Libyen
Analyse. In Genf beraten die libyschen Streitparteien über die Zukunft des Landes. Bisher sind alle Versuche, eine Lösung für das Land zu finden, gescheitert. Dieses Mal stehen die Chancen besser. Doch es gibt viele Quertreiber.
Tunis/Tripolis. Für Libyen könnte dieser Februar zum historischen Monat werden. Vor zehn Jahren, am 17. Februar 2011, erhob sich das Volk gegen Diktator Muammar al-Gaddafi. Diese Woche trifft sich in Genf das 75-köpfige Politische Dialogforum Libyens, um endlich einen Schlussstrich zu ziehen unter das blutige Chaos, das die nordafrikanische Nation seit ihrem Versuch der Selbstbefreiung plagt. Unter der Ägide der Vereinten Nationen wollen die verfeindeten Seiten über die bisherigen Frontlinien hinweg eine nationale Interimsführung küren, bestehend aus einem dreiköpfigen Präsidialrat und einem Premierminister.
Mehrere Anläufe hat es in den zurückliegenden Jahren bereits gegeben, alle sind gescheitert. Jedes Mal schlitterte das Land tiefer in den Bürgerkrieg hinein, der bis vor die Tore der Hauptstadt, Tripolis, kam. Nun existiert zum ersten Mal eine Chance, dass das Einigungswerk tatsächlich in Gang kommt – trotz der vielen Blockierer und Heckenschützen. Die libysche Bevölkerung hat die Nase voll von den endlosen Kämpfen, der permanenten Misere und dem rücksichtslosen Treiben der Milizen. Ägypten will endlich Ruhe bei seinem turbulenten Grenznachbarn. Und mit dem Amtsantritt von Joe Biden sind die USA wieder zurück auf der libyschen Bühne und scheinen entschlossen, auch die übrigen ausländischen Kriegstreiber in die Schranken zu weisen.
Söldner blieben im Land
Das diplomatische Fundament wurde vor einem Jahr in Berlin gelegt. Jetzt sind die Kandidatenlisten für Genf fertig. Auch bei dem Wahlmechanismus wurden sich die Rivalen einig. Jede der drei Großregionen des Landes – Westen, Süden und Osten – soll einen Repräsentanten zum Präsidialrat an der Staatsspitze beisteuern. Die Regierungsgeschäfte in der heiklen Übergangsphase führt ein neuer gemeinsamer Premierminister.
Auf das Quartett warten jedoch Herkulesaufgaben: Es muss das tief gespaltene Land zusammenführen und Ende des Jahres, am 24. Dezember, landesweite Parlaments- und Präsidentenwahlen organisieren. Zudem mangelt es nicht an Quertreibern. Kriegsherren beider Seiten verdienen kräftig an dem Chaos und haben viel zu verlieren. Genauso zäh reagieren ihre ausländischen Komplizen. Zwar hält die Waffenruhe. Das Datum für den Abzug ihrer 20.000 Söldner am 23. Jänner aber ließen alle Kriegsparteien verstreichen. Und um das UN-Waffenembargo schert sich sowieso niemand.
Trotzdem haben sich die Gewichte in jüngster Zeit verschoben. Erstmals seit Beginn des Bürgerkriegs reiste eine ägyptische Delegation nach Tripolis und nahm direkte Gespräche mit dem bisherigen Erzfeind auf. Vergangene Woche meldeten sich die USA nach den nebulösen Trump-Jahren zu Libyen wieder mit einer klaren Ansage zu Wort, die alle Beteiligten im Weltsicherheitsrat aufhorchen ließ. Washington mahnte nicht nur Russland und die Türkei dazu, ihre Kämpfer abzuziehen, sondern auch die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Kriegstreiben in der Region von Donald Trump niemals beanstandet worden war. Gegen Kritik schützte sich der ölreiche Golfstaat bisher durch enorme Waffenkäufe. Nun liegt seine jüngste 25-Milliarden-Bestellung in den USA erst einmal auf Eis.
Türkische Regierung schweigt
Sofort nach dem US-Auftritt lenkten die Emirate ein und schworen, sich künftig an dem UN-Prozess zu beteiligen. Moskau rückte von seinen Wagner-Söldnern ab und mimt nun den Unbeteiligten. Einzig die wirtschaftlich angeschlagene Türkei schweigt bisher. Doch auch Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ wird keinen offenen Kollisionskurs mit der Biden-Administration riskieren. Er weiß, dann könnte der neue Mann im Weißen Haus die harten Sanktionen in Kraft setzen, die der US-Kongress bereits fertig in der Schublade hat.
Nun liegt es auch in der Hand der libyschen Politiker, die fünf Februartage in Genf zu nutzen – für eine historische Wende in Libyen.