Depressionen und Ängste
Wie die Stimmung von Lockdown zu Lockdown schlechter wurde – und was entgegenzuhalten ist.
Die psychische Gesundheit hat sich seit dem ersten Lockdown verschlechtert: Experten halten die Situation für alarmierend.
Wien. Müde, angespannt, deprimiert, mitunter ängstlich: Haben vor einem Jahr, bevor die Coronakrise voll losgegangen ist, fünf Prozent der Befragten depressive Symptome oder Angstsymptome gezeigt und sieben Prozent unter Schlafstörungen gelitten, so hat sich die psychische Gesundheit seither von Lockdown zu Lockdown verschlechtert.
Im dritten Lockdown, der Erhebungszeitraum war um den Jahreswechsel, haben 26 Prozent der Befragten depressive Symptome gezeigt, auch Angstsymptome und Schlafstörungen sind zu Massenphänomen geworden. Das geht aus einer Studie der Donau-Uni Krems, gefördert vom Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP), hervor.
„Wir dachten bei der Erhebung im September, es sei ein Plateau erreicht, aber die Situation hat sich noch verschlechtert“, sagt Christoph Pieh, Studienautor und Leiter des Departments für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-Uni. Er hält diese Ergebnisse für „sehr alarmierend“– besonders was junge Menschen betrifft: In der Altersgruppe 18 bis 24 zeigt nun fast jeder zweite Befragte depressive Symptome.
Des Weiteren seien Frauen, Alleinstehende oder Arbeitslose besonders von den psychosozialen Folgen der Krise betroffen. Deutlich auch die Veränderung bei sehr schweren depressiven Fällen: die hätten sich seit vergangenem Jahr verzehnfacht. Im Vergleich am besten komme laut dieser Studie die Gruppe der über 65-Jährigen durch die Krise. Auch Menschen, die in einer Beziehung leben, ein gutes soziales Umfeld haben und regelmäßig Sport betreiben sind vergleichsweise weniger belastet.
Pieh spricht von unterschiedlichen Auslösern für den Anstieg psychischer Probleme: Neben Sorgen um die eigene Gesundheit können Zukunftsängste, finanzielle Sorgen, Jobverlust oder Einsamkeit eine Rolle spielen. Auch fallen viele Mittel zum Ausgleich von Belastungen derzeit weg. Der rasche Anstieg psychischer Probleme sei jedenfalls alarmierend. Werden Probleme groß, sollte rasch professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden, sagt Pieh.
Junge leiden besonders
Experten erinnern zwar, zwischen depressiven Symptomen wie zeitweisem Interessen- und Energieverlust und echten Depressionen müsse man differenzieren. Aber der Befund, dass Corona die psychische Gesundheit belaste, ist klar.
Auch Georg Psota, Psychiater und Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD) beobachtet, dass die Dauer der Krise zunehmend zur Mühsal wird: Bei jenen (im Schnitt pro Tag 35 bis 40) Menschen, die bei der Corona-Hotline der PSD anrufen ebenso wie bei den Klienten der PSD.
Wobei sich hier ein teils ambivalentes Bild zeigt: Während es oft gerade auch ältere Menschen gibt, die mit den Umständen teils überraschend gut zurechtkommen, betrifft die psychosoziale Krise junge Menschen hart, für die der soziale Austausch sehr wichtig ist und für die stabilisierende Strukturen, von Schule bis Freizeit, wegfallen und die an der langen Dauer leiden.
Psota rät, das in jedem Fall ernst zu nehmen. „Es geht da
rum, Probleme ernst zu nehmen, auch Menschen ernst zu nehmen, die diese Situation schlechter aushalten, und Hilfestellungen anzubieten. Aber es ist eine Zeit, in der man sich mit Anschuldigungen sehr zurückhalten sollte. Jeder soll sich einbringen, mit einem Gemeinschaftssinn an die Dinge herangehen. Die Challenge ist immer wieder: Machen wir das Beste daraus. Durch den Umstand, das diese Situation schon so lange dauert, gibt es sicher eine gewisse Resignation. Auch ich glaube nicht, dass wir das im Juni alles hinter uns haben. Aber es ist wahrscheinlich, dass wir in der zweiten Halbzeit sind“, sagt Psota, dem dieses Bild besser gefällt als der Vergleich mit dem Marathon – da lässt allein der Gedanke daran viele ermüden.
Neues Motto für Halbzeit zwei
Lieber schwört Psota, selbst Fußballfan, auf ein neues Motto für die zweite Halbzeit ein: „In der ersten Halbzeit hieß es, das Virus gegen uns. Jetzt ist das Match wir gegen das Virus. Wir haben die Spritze schon in der Hand, wir wissen viel mehr als vor einem Jahr, wir werden das Virus besiegen. Ich empfehle allen, dass wir in ein Gefühl des Handelns kommen, wir bewegen uns schon auf das Ende dieses mühsamen Matches zu, das gibt Hoffnung und Kraft. Auch wenn es die Mutationen nicht leichter machen, ist es wichtig zu sagen: Wir sind miteinander gefordert, schauen wir, dass wir ins Tun kommen, uns gegenseitig beflügeln statt beflegeln.“Dass der Gemeinschaftssinn mitunter brüchig ist, sich Erschöpfung, Resignation bis Rebellion und Verweigerung breitmachen, sieht aber auch er. Schließlich gab es in der Lebenszeit der jetzt aktiven Generationen keine ähnlich herausfordernde Situation.
Hier müsse man diverse Arten, wie Menschen reagieren, ernst nehmen: Suchtmittelkonsum etwa. „Alkohol wird mehr verwendet denn je. Trinkt jemand regelmäßig, um die Situation auszuhalten, bereitet mir das Sorgen.“Ebenso ernst zu nehmen seien depressive Symptome oder Schlafstörungen: Eine Schlafstörung sei häufig Symptom einer Depression. Hier sieht er die Gefahr, eine echte Depression zu übersehen und rät gegebenenfalls zu professioneller Hilfe.
Wird sich die Stimmung mit einem Ende der Pandemie lösen? Oder bleibt eine kollektive Depression, wenn eine schwere Wirtschaftskrise folgt? „Wenn wir nichts dagegen tun, dann ja“, sagt Psota. Kommt eine große Wirtschaftskrise, „sind wir gefordert, viel dagegen zu unternehmen, dass sich das nicht durchschlägt“.
Aber er sieht auch eine andere Perspektive: „Wenn das Virus wirklich besiegt ist, wird das auch für eine Menge Euphorie sorgen, dann wird die kollektive Gestimmtheit eine gute sein. Aber es schaut danach aus, dass es bis dahin noch eine zähe Zeit wird.“Und da empfiehlt er, was seit Lockdown eins gilt: eine Tagesstruktur erhalten, körperlich in Bewegung bleiben, möglichst viel im sozialen Austausch bleiben, wenn auch digital, oder „jetzt eben bei einem Spaziergang mit fünf Metern Abstand“.