Herr Minister Faßmann, bitte seien Sie mutig!
Gastkommentar. Warum Qualitätskontrolle an Universitäten nicht die oberste Priorität hat – und sich das sehr schnell ändern sollte.
Von bedauerlichen Einzelfällen reden die Universitätsspitzen. Von einer unbekannten und vermutlich hohen Dunkelziffer sprechen die Kritiker. Was sagt die Wissenschaft selbst dazu? Metaanalysen zeigen, dass jeweils 3 bis 4 Prozent der Befragten Plagiat, Ghostwriting und Datenfälschen zugeben.
Bei rund 370.000 Studierenden in Österreich hätten wir es zumindest mit rund 13.000 Plagiatoren und ebenso vielen Fälschern und Menschen zu tun, die sich ihre Arbeit(en) schreiben ließen, wobei Schnittmengen wahrscheinlich sind. Wie viele haben diese Delikte in den Befragungen nicht zugegeben? Wie viele davon werden Akademiker? Und noch schlimmer: Wie viele davon forschen und lehren selbst?
Die Mär von Studierenden, die sich ihr Wissen eigenverantwortlich aneignen und alles selbst schreiben; von Betreuern, die diesen Prozess modular und gewissenhaft begleiten, und von Begutachtern, die letztlich genau lesen und benoten – sie bröckelt längst durch Fälle wie Aschbacher, Guttenberg oder Schavan. Studierende copy-pasten, lassen schreiben, recyceln Arbeiten anderer, paraphrasieren, verwenden automatische Übersetzungstools und – wie einige prophezeien – bald schon von künstlicher Intelligenz automatisch generierte Texte. Und wenn wir uns ehrlich sind: Kein Betreuer liest die Arbeiten noch auf Punkt und Komma. Es sind einfach zu viele, es ist zu redundant geworden. Wenn die Affäre Aschbacher etwas Gutes hat, dann ist es das, dass dieses Problem nun endlich öffentlich ausgesprochen wird.
Warum, so fragen sich derzeit viele, hat Qualitätskontrolle an Universitäten und Hochschulen nicht oberste Priorität? An mit öffentlichen Geldern finanzierten Einrichtungen, die der Wahrheit und Erkenntnis verpflichtet sind und wo Genauigkeit und Verlässlichkeit die handlungsleitenden Normen sind? Wie kann da überhaupt eine plagiatsinfizierte FHDiplomarbeit in schlechtem Deutsch ein „Sehr gut“bekommen oder eine absurd-tragikomische Dissertation durchgewunken werden?
Die Antwort entbehrt leider jeder Komik: Das sind keine Einzelfälle. Das ist systemisch. Masse statt Klasse, Schein statt Sein – das sind die Eckpfeiler des modernen Universitätsbetriebs geworden. Und das Übel, es kommt von oben.
Ideologie der Akademisierung
Von oben, von der Politik kommt nämlich die unhinterfragte Ideologie der Akademisierung: Wir brauchen mit allen Mitteln mehr Akademiker, heißt es. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in Österreich vor einigen Jahren sogar mit den Statistiken des tertiären Bildungssektors geschummelt. Oder es wurden Berufe akademisiert,
die bislang auch ohne Titelträger funktioniert haben – siehe Hebammen. Doch Österreich hat im OECD-Schnitt, wie man immer wieder liest, immer noch zu wenig Akademiker, und die Zahl der Studierenden stagniert. Wie also kann man Akademiker vermehren? Indem man immer mehr Berufe akademisiert, neue Titel erfindet, immer mehr titelvergebende Institutionen akkreditiert und – bedauerlicherweise – eine Schattenwelt der berufsbegleitenden Studienvermittler (meist oft: Titelvermittler) schafft.
Herrschaft der Zahlen
Auch das zweite Übel kommt von oben: Universitäten müssen möglichst viele Absolventen hervorbringen, um „wettbewerbsfähig“zu bleiben, heißt es. Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht vom Wettbewerb der besten Ideen oder der besten Köpfe, sondern vom Wettbewerb um die meisten Köpfe.
Das Problem hat einen Namen: Studienplatzfinanzierung. Je mehr Studierende, desto mehr ministerielle Mittel gibt es. Die Politik schuf hier einen systematisch falschen Anreiz, dem die Universitäten ausgeliefert sind, wenn sie nicht ausgetrocknet werden wollen. Die ganze Unkultur des „Immermehrismus“, die Herrschaft der Zahlen schlägt sich am sichtbarsten in der unheilvollen Erfindung der sogenannten „Wissensbilanzen“nieder. Kennzahlen sind dort etwa die Anzahl der Studierenden, die Anzahl der Abschlüsse, die Anzahl der Publikationen und die Anzahl der eingeworbenen Drittmittel einer Fachrichtung – aber nie und nimmer die Güte. Dafür hat die Wissenschaft gar keine Kriterien entwickelt.
Was können nun Universitäten tun, um möglichst viele Studierende zu gewinnen? Neben StandortPR lautet die traurige Antwort: Das Niveau senken, die Prüfungen vereinfachen, milder beurteilen, durchwinken. Eine mit „Nicht genügend“beurteilte Prüfung zählt nämlich nicht als prüfungsaktiv. Wenige „Nicht genügend“vergeben heißt also: Viel Prüfungsaktivität generieren. Und viel Prüfungsaktivität ist konvertierbar in ministeriellen Geldregen. Eine einfache Gleichung, tödlich für das Niveau.
Und wie macht sich eine Lehrkraft beliebt, wie erhält sie gute Evaluationen? Indem sie nicht streng ist. Die mildesten Professoren haben die meisten Kandidaten für Abschlüsse. So kommt es zu einer Abwärtsspirale.
Kontrolle als Störfaktor
Natürlich spielen bei diesem Spiel bei weitem nicht alle mit: Es gibt Lehrende, die auf Qualität schauen. Sie haben in der Regel wenige Kandidaten für Studienabschlüsse. Aber der Mainstream unterwirft sich diesen Doktrinen der Akademisierung der Gesellschaft und des Wettbewerbs um mehr Studierende um jeden Preis. Die Qualität kommt dabei unter die Räder. Der „Plagiatsjäger“, der dringend erforderliche Verbesserungen einmahnt – zunächst einmal wünscht er sich diese verschriftlicht im Universitätsgesetz –, wird so gesehen dysfunktional, zum Störfaktor.
Das ist die wahre Tragödie der gegenwärtigen Universitäten und Hochschulen. Deshalb spricht die Politik auch nicht mit dem „Plagiatsjäger“. Die ECTS-Punkte-Debatte ist eigentlich ein Nebenschauplatz, wie auch die Frage nach der Macht des Senats.
Wissenschaftliche Integrität fehlt
Viel wichtiger wäre ein Bekenntnis zu wissenschaftlicher Integrität und Qualität im Universitätsgesetz. Anstelle über eine Verjährung von Plagiaten nachzudenken, sollte man falsche eidesstattliche Versicherungen und Plagiate in die Strafbestimmungen aufnehmen. Derzeit findet sich dort nur der Titelmissbrauch.
Und man sollte sich einmal auch die Berufungsmodalitäten genauer ansehen: Man wundert sich mitunter, wenn Wissenschaftler als Professoren berufen werden, die ihre Vorträge nur schlecht vom Blatt lesen und gar nicht frei reden können, kein Zeitmanagement haben und nicht mit digitalen Techniken umgehen können. All das produziert am Ende des Tages Akademiker wie Christine Aschbacher.
Es ist Zeit für eine grundlegende Änderung der akademischen Kultur. Universitäten sollten keine Titelmühlen im Kampf um möglichst viele Titelträger mehr sein, sondern wieder Orte, an denen das Produzieren von Wissen Spaß macht.
Fangen wir bitte in Österreich an, Herr Minister Faßmann! Bitte seien Sie mutig!