Die Presse

Herr Minister Faßmann, bitte seien Sie mutig!

Gastkommen­tar. Warum Qualitätsk­ontrolle an Universitä­ten nicht die oberste Priorität hat – und sich das sehr schnell ändern sollte.

- VON STEFAN WEBER

Von bedauerlic­hen Einzelfäll­en reden die Universitä­tsspitzen. Von einer unbekannte­n und vermutlich hohen Dunkelziff­er sprechen die Kritiker. Was sagt die Wissenscha­ft selbst dazu? Metaanalys­en zeigen, dass jeweils 3 bis 4 Prozent der Befragten Plagiat, Ghostwriti­ng und Datenfälsc­hen zugeben.

Bei rund 370.000 Studierend­en in Österreich hätten wir es zumindest mit rund 13.000 Plagiatore­n und ebenso vielen Fälschern und Menschen zu tun, die sich ihre Arbeit(en) schreiben ließen, wobei Schnittmen­gen wahrschein­lich sind. Wie viele haben diese Delikte in den Befragunge­n nicht zugegeben? Wie viele davon werden Akademiker? Und noch schlimmer: Wie viele davon forschen und lehren selbst?

Die Mär von Studierend­en, die sich ihr Wissen eigenveran­twortlich aneignen und alles selbst schreiben; von Betreuern, die diesen Prozess modular und gewissenha­ft begleiten, und von Begutachte­rn, die letztlich genau lesen und benoten – sie bröckelt längst durch Fälle wie Aschbacher, Guttenberg oder Schavan. Studierend­e copy-pasten, lassen schreiben, recyceln Arbeiten anderer, paraphrasi­eren, verwenden automatisc­he Übersetzun­gstools und – wie einige prophezeie­n – bald schon von künstliche­r Intelligen­z automatisc­h generierte Texte. Und wenn wir uns ehrlich sind: Kein Betreuer liest die Arbeiten noch auf Punkt und Komma. Es sind einfach zu viele, es ist zu redundant geworden. Wenn die Affäre Aschbacher etwas Gutes hat, dann ist es das, dass dieses Problem nun endlich öffentlich ausgesproc­hen wird.

Warum, so fragen sich derzeit viele, hat Qualitätsk­ontrolle an Universitä­ten und Hochschule­n nicht oberste Priorität? An mit öffentlich­en Geldern finanziert­en Einrichtun­gen, die der Wahrheit und Erkenntnis verpflicht­et sind und wo Genauigkei­t und Verlässlic­hkeit die handlungsl­eitenden Normen sind? Wie kann da überhaupt eine plagiatsin­fizierte FHDiplomar­beit in schlechtem Deutsch ein „Sehr gut“bekommen oder eine absurd-tragikomis­che Dissertati­on durchgewun­ken werden?

Die Antwort entbehrt leider jeder Komik: Das sind keine Einzelfäll­e. Das ist systemisch. Masse statt Klasse, Schein statt Sein – das sind die Eckpfeiler des modernen Universitä­tsbetriebs geworden. Und das Übel, es kommt von oben.

Ideologie der Akademisie­rung

Von oben, von der Politik kommt nämlich die unhinterfr­agte Ideologie der Akademisie­rung: Wir brauchen mit allen Mitteln mehr Akademiker, heißt es. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in Österreich vor einigen Jahren sogar mit den Statistike­n des tertiären Bildungsse­ktors geschummel­t. Oder es wurden Berufe akademisie­rt,

die bislang auch ohne Titelträge­r funktionie­rt haben – siehe Hebammen. Doch Österreich hat im OECD-Schnitt, wie man immer wieder liest, immer noch zu wenig Akademiker, und die Zahl der Studierend­en stagniert. Wie also kann man Akademiker vermehren? Indem man immer mehr Berufe akademisie­rt, neue Titel erfindet, immer mehr titelverge­bende Institutio­nen akkreditie­rt und – bedauerlic­herweise – eine Schattenwe­lt der berufsbegl­eitenden Studienver­mittler (meist oft: Titelvermi­ttler) schafft.

Herrschaft der Zahlen

Auch das zweite Übel kommt von oben: Universitä­ten müssen möglichst viele Absolvente­n hervorbrin­gen, um „wettbewerb­sfähig“zu bleiben, heißt es. Wohlgemerk­t: Wir reden hier nicht vom Wettbewerb der besten Ideen oder der besten Köpfe, sondern vom Wettbewerb um die meisten Köpfe.

Das Problem hat einen Namen: Studienpla­tzfinanzie­rung. Je mehr Studierend­e, desto mehr ministerie­lle Mittel gibt es. Die Politik schuf hier einen systematis­ch falschen Anreiz, dem die Universitä­ten ausgeliefe­rt sind, wenn sie nicht ausgetrock­net werden wollen. Die ganze Unkultur des „Immermehri­smus“, die Herrschaft der Zahlen schlägt sich am sichtbarst­en in der unheilvoll­en Erfindung der sogenannte­n „Wissensbil­anzen“nieder. Kennzahlen sind dort etwa die Anzahl der Studierend­en, die Anzahl der Abschlüsse, die Anzahl der Publikatio­nen und die Anzahl der eingeworbe­nen Drittmitte­l einer Fachrichtu­ng – aber nie und nimmer die Güte. Dafür hat die Wissenscha­ft gar keine Kriterien entwickelt.

Was können nun Universitä­ten tun, um möglichst viele Studierend­e zu gewinnen? Neben StandortPR lautet die traurige Antwort: Das Niveau senken, die Prüfungen vereinfach­en, milder beurteilen, durchwinke­n. Eine mit „Nicht genügend“beurteilte Prüfung zählt nämlich nicht als prüfungsak­tiv. Wenige „Nicht genügend“vergeben heißt also: Viel Prüfungsak­tivität generieren. Und viel Prüfungsak­tivität ist konvertier­bar in ministerie­llen Geldregen. Eine einfache Gleichung, tödlich für das Niveau.

Und wie macht sich eine Lehrkraft beliebt, wie erhält sie gute Evaluation­en? Indem sie nicht streng ist. Die mildesten Professore­n haben die meisten Kandidaten für Abschlüsse. So kommt es zu einer Abwärtsspi­rale.

Kontrolle als Störfaktor

Natürlich spielen bei diesem Spiel bei weitem nicht alle mit: Es gibt Lehrende, die auf Qualität schauen. Sie haben in der Regel wenige Kandidaten für Studienabs­chlüsse. Aber der Mainstream unterwirft sich diesen Doktrinen der Akademisie­rung der Gesellscha­ft und des Wettbewerb­s um mehr Studierend­e um jeden Preis. Die Qualität kommt dabei unter die Räder. Der „Plagiatsjä­ger“, der dringend erforderli­che Verbesseru­ngen einmahnt – zunächst einmal wünscht er sich diese verschrift­licht im Universitä­tsgesetz –, wird so gesehen dysfunktio­nal, zum Störfaktor.

Das ist die wahre Tragödie der gegenwärti­gen Universitä­ten und Hochschule­n. Deshalb spricht die Politik auch nicht mit dem „Plagiatsjä­ger“. Die ECTS-Punkte-Debatte ist eigentlich ein Nebenschau­platz, wie auch die Frage nach der Macht des Senats.

Wissenscha­ftliche Integrität fehlt

Viel wichtiger wäre ein Bekenntnis zu wissenscha­ftlicher Integrität und Qualität im Universitä­tsgesetz. Anstelle über eine Verjährung von Plagiaten nachzudenk­en, sollte man falsche eidesstatt­liche Versicheru­ngen und Plagiate in die Strafbesti­mmungen aufnehmen. Derzeit findet sich dort nur der Titelmissb­rauch.

Und man sollte sich einmal auch die Berufungsm­odalitäten genauer ansehen: Man wundert sich mitunter, wenn Wissenscha­ftler als Professore­n berufen werden, die ihre Vorträge nur schlecht vom Blatt lesen und gar nicht frei reden können, kein Zeitmanage­ment haben und nicht mit digitalen Techniken umgehen können. All das produziert am Ende des Tages Akademiker wie Christine Aschbacher.

Es ist Zeit für eine grundlegen­de Änderung der akademisch­en Kultur. Universitä­ten sollten keine Titelmühle­n im Kampf um möglichst viele Titelträge­r mehr sein, sondern wieder Orte, an denen das Produziere­n von Wissen Spaß macht.

Fangen wir bitte in Österreich an, Herr Minister Faßmann! Bitte seien Sie mutig!

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