Am Pranger der guten Gesellschaft
Wie mit der Plagiatscausa Aschbacher umgegangen wird, wirft die Frage auf: Wohin sind Maß und Ziel verschwunden?
Vorweg sei gesagt: Ich habe weder ein Naheverhältnis zur ÖVP noch zur scheidenden Familien- und Arbeitsministerin Christine Aschbacher, die ihren Posten in der Regierung aufgrund einer Plagiatsaffäre rund um zwei Studienabschlussarbeiten verloren hat. Aber die Art und Weise, wie mit der Causa in der Öffentlichkeit umgegangen wird, bzw. welche Attacken auf die Ex-Politikerin auch medial geritten werden, lässt mich fragen: Wohin sind Maß und Ziel, Sinn und Verstand und so manche Tugend verschwunden?
Die Schlagzeile war noch nicht getrocknet, schon wurde allenthalben gefordert, Ministerin Aschbacher müsse ihren Rücktritt einreichen und sich zudem reumütig in Sack und Asche hüllen, damit ihr von Volkes Gnaden für das vermeintlich unfaire und unwissenschaftliche Gebaren verziehen werden könne, weil Österreich nicht nur eine Insel der Seligen, sondern ein Land der Heiligen ist, die weder Fehl noch Tadel auf sich ziehen, dafür aber alles Recht der Empörung haben, den ersten, zweiten und dritten Stein zu werfen, unabhängig davon, ob ein akademisches Vergehen tatsächlich vorliegt oder derzeit nur von einem Plagiatsjäger moniert wird.
Trotzdem: Fest steht allemal, dass die beiden Abschlussarbeiten (nochmals) auf Herz und Nieren geprüft werden müssen und Aschbacher die universitäre Entscheidung darüber konsequent tragen soll, weil es tatsächlich nicht angeht, dass akademische Würden erkauft oder erschlichen werden. Doch aus dieser generellen Selbstverständlichkeit heraus darf es zu keinen persönlichen Angriffen auf den Menschen (die öffentliche Person) und dessen Familie kommen, wenn unsere aufgeklärte Gesellschaft nicht ins Mittelalter zurückfallen möchte, wo bereits auf das kleinste Vergehen der Pranger stand, dessen vorrangige Strafe nicht im Volksspott lag, sondern vor allem in der Verunmöglichung eines normal fortlaufenden Gesellschaftslebens.
Diese Gesellschaft zeigt sich im aktuellen Fall jedoch als besonders unversöhnlich, denn liest man die mittlerweile ins Kraut schießenden Kommentare zur Aschbacher-Crux, dann überkommt einen das Grausen vor so viel Niedertracht, Boshaftigkeit und Wadelbeißertum. Inzwischen hat die Diskussion das eng gesteckte akademische Umfeld verlassen und sich auf die unteren Ebenen der Weinhausdebatte verlagert, wo Herkunft und allfällige Privilegien der Exministerin inkriminiert werden, als wäre es ein Verbrechen, auch andere PolitikerInnen in der Verwandtschaft zu haben, in deren Fußstapfen man getreten ist, und wäre es nicht auch in anderen Berufsgruppen üblich, dass die jüngere Generation ins Betätigungsfeld der älteren einsteigt usw. Insbesondere darüber lässt sich der Volksmund nun aber gern aus und verschweigt dabei nicht seine ekelhafte Schadenfreude, dass es „einer von dort oben“jetzt schlecht ergeht, die „so und so nur dorthin gekommen ist, weil sie die Tochter, Enkelin oder Nichte von dem und der ist“.
Müde Toleranzversprechen
An dieser Stelle kann und will ich nichts über die wissenschaftliche Leistung von Christine Aschbacher schreiben, denn wie die meisten habe ich weder ihre Diplomarbeit noch ihre Dissertation gelesen oder bin Experte in „Industrial Engineering and Management“. Aber als Beobachter und Mitglied einer Gesellschaft, die sich nach außen hin als tolerant, vorurteilsfrei und auf die Würde und Rechte des/der Einzelnen bedacht gibt, stelle ich fest, dass das Meiste davon nur müde Versprechen, leere Worthülsen und ohne eine Gültigkeit für diejenigen ist, die auf der anderen Seite einer ideologischen Demarkationslinie stehen.
Martin Kolozs (* 1978) ist Autor und kathol. Publizist; www.martinkolozs.at.