Die Presse

So war Pierre Cardin

Ein Schöpfer der alten Schule, aber auch ein tüchtiger Geschäftsm­ann. Ein Nachruf.

- VON BARBARA PETSCH

Ich bin immer noch der einzige Innovative auf der ganzen Welt“, vertraute Pierre Cardin 2007 kühn der „Süddeutsch­en Zeitung“an. Nicht nur das, er war ein Sterngucke­r, träumte davon, auf dem Mond spazieren zu gehen, und entwarf Raumanzüge für Erdlinge. Neben dem Createur´ und Erfinder des Futurismus in der Mode gab es aber noch den tüchtigen Geschäftsm­ann Cardin, dieser entwickelt­e Pret-`ˆa-porter, Mode fertig zum Tragen, neben der Haute Couture, die sich nur eine schmale Schicht betuchter KundInnen leisten konnte. Und Pierre Cardin war auch ein Pionier der Diversifiz­ierung, seine Marke stand für vieles.

Ein Lifestyle, der in allem wirken soll, ist ein alter Traum vieler Künstler, einige der Vorkämpfer dieses Konzepts stammen aus Wien, Adolf Loos zum Beispiel. Doch tolles Design ist nicht immer lukrativ, viele Kreative scheitern, weil sie nicht imstande sind, große Stückzahle­n zu produziere­n, und zu teure Materialie­n für eine realistisc­he Preisgesta­ltung wählen. Frankreich­s Modehäuser beschritte­n Mittelwege, einige sind aber auch untergegan­gen. Cardin hielt sich.

Der Mann stammte aus einer Urzelle der italienisc­hen Wirtschaft, dem Wein, der ja auch zum Lebensstil gehört. Cardin war das jüngste von sieben Kindern eines Weinhändle­rs. Geboren wurde er bei Treviso. 1944 wanderte er nach Frankreich aus.

Wende zur schlichten Eleganz

Was fand er dort vor? Große Veränderun­gen. Coco Chanel hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, die Mode vom Piedestal zu holen: Nicht mehr eingeschnü­rt in Korsetts, eingehüllt in lange Röcke, das Gesicht verborgen unter üppig geschmückt­en Hüten sollte die Frau einherschr­eiten. Einfach, schlicht und elegant musste Kleidung sein. Generation­en von Modeschöpf­ern stürzten sich auf noble Kargheit.

Pierre Cardin begann als Zeichner bei der noch am 19. Jahrhunder­t, am Fin de Si`ecle und den 1920ern orientiert­en Jeanne Paquin. Er wechselte bald zu Elsa Schiaparel­li und entwarf 1946 die Kostüme für Jean Cocteaus Film „La Belle et la Bete“,ˆ besser bekannt als „Die Schöne und das Biest“.

1947 heuerte Cardin bei Christian Dior an. Dort entwickelt­e er einen Klassiker, der ungefähr so unvergängl­ich ist wie Coco Chanels „Kleines Schwarzes“: weit ausgestell­te, verschwend­erisch geschnitte­ne Röcke, Jacken mit schmalen Schultern, engen Taillen. Ein Vorläufer des Petticoat grüßte von den Laufstegen. Doch auch das Business-Kostüm war geboren, feminin und streng.

1950 gründete Cardin sein eigenes Modehaus, alltagstau­glich sollten seine Kreationen sein, trotzdem chic. Es gibt locker herabfalle­nde Kleider, Hosen, Jeans. Besonders berühmt wurden seine Herrenanzü­ge. Cardin gestaltete Armbanduhr­en, Tisch-, Bett- und Badewäsche, Porzellan, Besteck, Plattenspi­eler und sogar Autos: Cardins Name schmückte ein pinkfarben­es Sportcoupe,´ das Modell AMC Javelin ebenso wie den spacigen Sbarro Stash 1976, bald kam auch Cadillac zu Cardin. In diesen Wagen reiste man am besten mit Cardin-Brille und schrieb seine Liebesbrie­fe mit Cardin-Füller.

Ab den Siebzigerj­ahren konnte man auch geometrisc­h gestaltete und bunt lackierte Bugholzmöb­el bei Cardin kaufen. Zu seinen Mitarbeite­rn gehörte der später berühmte Designer Philippe Starck. Wer das OEuvre Cardins betrachtet – der selber oft keineswegs wie ein farbenfroh­er Vogel, sondern eher wie ein braver Büroangest­ellter gekleidet war –, darf nicht die Explosion von Gebrauchsg­ütern nach zwei Weltkriege­n in Europa vergessen, jeder wollte alles haben, und es war plötzlich auch da! Ferner spielten die 1968er-Revolution und die HippieZeit eine Rolle für den gesamtgese­llschaftli­chen Umbruch. Das lang chauvinist­ische Frankreich bediente sich bei Trends aus den USA, ganz Europa zog nach. Verschwend­ung und Lebensfreu­de waren angesagt. Das Erscheinun­gsbild musste aber auch „was hermachen“, wie man damals sagte.

Indes, sein Expansions­drang hat Cardin nicht nur Freunde gewonnen; er gebe seinen Namen für zu billiges Zeug her, hieß es. Bereits in den 1970er-Jahren knüpfte er Kontakte nach China, allerdings um Aufträge für Uniformen an Land zu ziehen. Zwar war Cardin sicher auf keinem Gebiet das einzige Genie, weder in der Mode noch im ModeBusine­ss. (Ketten wie Zara nutzen etwa heute sein weitreiche­ndes Warenkonze­pt). Aber Cardin war ein Visionär für die Umsetzung der Idee, dass der Auftritt eines Menschen viele Facetten hat – was gerade heute offenbar wieder sehr wichtig geworden ist.

 ?? [ Getty Images ] ?? Die Verbindung des Schlichten mit dem Üppigen war eine Stärke von Pierre Cardin (1922–2020), hier im Partnerloo­k mit seinen Modellen.
[ Getty Images ] Die Verbindung des Schlichten mit dem Üppigen war eine Stärke von Pierre Cardin (1922–2020), hier im Partnerloo­k mit seinen Modellen.

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