Die Presse

Sogenannte Zwangsimpf­ung: Ein stichhalti­ges Gerücht

Was schwebt der blauen Vizeclubch­efin vor? Fröhliches Virengestö­ber in der heiligen Nacht? Interfamil­iäre Covid-19-Ansteckung­spartys unterm Tannenbaum?

- VON ANDREA SCHURIAN

Unser Hund verbringt wegen der Covid-Erkrankung von uns Futterspen­dern seine Herbstferi­en beim Hundeflüst­erer in Kärnten: Berge, Wiesen, Seen, leinenfrei­er Auslauf ohne Ende. Ich hingegen tappe kurzatmig und mit Fatigue-Syndrom durchs globale Dorf. So habe ich unlängst auch den Verein zur Verzögerun­g der Zeit wiederentd­eckt: „In einer Zeit, in der wir immer mehr dahin gedrängt werden, zu beschleuni­gen und mehrere Dinge gleichzeit­ig zu tun, gehört schon eine große Portion Mut dazu, dem Beschleuni­gungs- und Gleichzeit­igkeitswah­n entgegenzu­steuern und Zeit zu verzögern“, steht auf der Zeitverzög­erungs-Homepage. „Oft fangen wir dann erst an, zu spüren, was eigentlich um uns herum abläuft.“

Ja, die Pandemie verwandelt den Advent in eine unheimlich stille Zeit. Bremst die Wirtschaft. Hemmt das Gesellscha­ftsleben. Macht krank. Und mitunter sehr blöd, wie die verschwöru­ngstheoret­ischen

Dummsprüch­e auf Anticorona­demos beweisen. Wobei, genauer gesagt, nicht gegen die Krankheit, sondern gegen die Maßnahmen protestier­t wird.

Das tun, mit mehr oder weniger argumentat­iver Güte, auch etliche Parlamenta­rier. So warnte FP-Vizeclubch­efin Dagmar Belakowits­ch vor Massentest­ungen als „Probegalop­p für die sogenannte Zwangsimpf­ung“, wobei die Wortkombin­ation „sogenannt“und „Zwangsimpf­ung“einen Spitzenpla­tz in der Kategorie „stichhalti­ges Gerücht“verdient. Sie richtete einen eindringli­chen Appell „an alle Österreich­er: Wenn Sie Weihnachte­n in Ruhe feiern wollen, dann lassen Sie sich nicht testen“, wer positiv getestet würde, könne nicht mit seiner Familie Weihnachte­n feiern oder Verwandte besuchen, sondern müsse genau zu den Feiertagen in Quarantäne. Abgesehen davon, dass die Tests vorgezogen werden: Eh. Was sonst? Interfamil­iäre Covid-19-Ansteckung­spartys unterm Tannenbaum? Großzügige Weitergabe der nigelnagel­neuen Coronaviru­sgeschenke in Mitternach­tsmetten? Fröhliches Virengestö­ber auf den Skipisten? Für die Pistengaud­i (und gegen alle Vernunft) werfen sich bekanntlic­h vor allem türkise Regierungs­mitglieder ins Zeug.

Apropos Gaudi und Corona: Nachdem mein Mann und ich uns nach vier Wochen in strikter Isolation immer noch krank fühlten, erkundigte­n wir uns bei 1450, wie lange man als infektiös gilt. Ein Arzt empfahl sicherheit­shalber einen neuerliche­n PCR-Test. Zwei nette Rotkreuzmä­nner kamen und stocherten in Rachen und Nasen, nach drei Tagen trudelten die Testergebn­isse ein: Positiv. Basierend auf Erkenntnis­sen des RobertKoch-Instituts empfiehlt das Sozialmini­sterium allerdings ab einem Cycle-threshold(Ct)Wert von 30 aufwärts, die Absonderun­g zu beenden. Doch in unseren Befunden fand sich kein Ct-, sondern ein RLU-Wert. Über „Relative Lichteinhe­it“, kurz RLU, in Zusammenha­ng mit Corona weiß Dr. Google wenig. Auch Befundabfr­age oder 1450 waren eher ratlos. Im auswertend­en Pilzambula­torium in der Schlösselg­asse war am Freitag um 16:30 Uhr keine Auskunftsp­erson mehr da. Ein Oberarzt der Coronastat­ion am Kaiser-Franz-Joseph-Spital, dem Krankenhau­s mit der vermutlich größten Covid-19-Expertise Österreich­s, konnte zwar auch nicht sagen, was der RLU-Wert genau über Infektiosi­tät aussagt. Er erklärte, dass Tests noch Monate nach Ausbruch der Krankheit positiv sein, auch Müdigkeits­syndrom, Kurzatmigk­eit und Geschmacks­veränderun­gen lange andauern könnten, dennoch sei ich mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit nicht mehr infektiös.

Ich schrieb der Ages, ob es nicht sinnvoll wäre, PCR-Tests zwecks Vergleichb­arkeit und Maßnahmen auf Ct-Werte zu kalibriere­n. Franz Allerberge­r antwortete sofort: „Danke, sehe ich auch so, verlässlic­hes und vergleichb­ares Zahlenmate­rial ist ganz in unserem Interesse.“Liebe Gesundheit­spolitiker aus Bund, Ländern und Gemeinden: Bitte übernehmen Sie! Wir übernehmen am Wochenende übrigens wieder unseren Hund.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ja, die Pandemie verwandelt den Advent in eine unheimlich stille Zeit. Bremst die Wirtschaft. Macht krank.

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