Sogenannte Zwangsimpfung: Ein stichhaltiges Gerücht
Was schwebt der blauen Vizeclubchefin vor? Fröhliches Virengestöber in der heiligen Nacht? Interfamiliäre Covid-19-Ansteckungspartys unterm Tannenbaum?
Unser Hund verbringt wegen der Covid-Erkrankung von uns Futterspendern seine Herbstferien beim Hundeflüsterer in Kärnten: Berge, Wiesen, Seen, leinenfreier Auslauf ohne Ende. Ich hingegen tappe kurzatmig und mit Fatigue-Syndrom durchs globale Dorf. So habe ich unlängst auch den Verein zur Verzögerung der Zeit wiederentdeckt: „In einer Zeit, in der wir immer mehr dahin gedrängt werden, zu beschleunigen und mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, gehört schon eine große Portion Mut dazu, dem Beschleunigungs- und Gleichzeitigkeitswahn entgegenzusteuern und Zeit zu verzögern“, steht auf der Zeitverzögerungs-Homepage. „Oft fangen wir dann erst an, zu spüren, was eigentlich um uns herum abläuft.“
Ja, die Pandemie verwandelt den Advent in eine unheimlich stille Zeit. Bremst die Wirtschaft. Hemmt das Gesellschaftsleben. Macht krank. Und mitunter sehr blöd, wie die verschwörungstheoretischen
Dummsprüche auf Anticoronademos beweisen. Wobei, genauer gesagt, nicht gegen die Krankheit, sondern gegen die Maßnahmen protestiert wird.
Das tun, mit mehr oder weniger argumentativer Güte, auch etliche Parlamentarier. So warnte FP-Vizeclubchefin Dagmar Belakowitsch vor Massentestungen als „Probegalopp für die sogenannte Zwangsimpfung“, wobei die Wortkombination „sogenannt“und „Zwangsimpfung“einen Spitzenplatz in der Kategorie „stichhaltiges Gerücht“verdient. Sie richtete einen eindringlichen Appell „an alle Österreicher: Wenn Sie Weihnachten in Ruhe feiern wollen, dann lassen Sie sich nicht testen“, wer positiv getestet würde, könne nicht mit seiner Familie Weihnachten feiern oder Verwandte besuchen, sondern müsse genau zu den Feiertagen in Quarantäne. Abgesehen davon, dass die Tests vorgezogen werden: Eh. Was sonst? Interfamiliäre Covid-19-Ansteckungspartys unterm Tannenbaum? Großzügige Weitergabe der nigelnagelneuen Coronavirusgeschenke in Mitternachtsmetten? Fröhliches Virengestöber auf den Skipisten? Für die Pistengaudi (und gegen alle Vernunft) werfen sich bekanntlich vor allem türkise Regierungsmitglieder ins Zeug.
Apropos Gaudi und Corona: Nachdem mein Mann und ich uns nach vier Wochen in strikter Isolation immer noch krank fühlten, erkundigten wir uns bei 1450, wie lange man als infektiös gilt. Ein Arzt empfahl sicherheitshalber einen neuerlichen PCR-Test. Zwei nette Rotkreuzmänner kamen und stocherten in Rachen und Nasen, nach drei Tagen trudelten die Testergebnisse ein: Positiv. Basierend auf Erkenntnissen des RobertKoch-Instituts empfiehlt das Sozialministerium allerdings ab einem Cycle-threshold(Ct)Wert von 30 aufwärts, die Absonderung zu beenden. Doch in unseren Befunden fand sich kein Ct-, sondern ein RLU-Wert. Über „Relative Lichteinheit“, kurz RLU, in Zusammenhang mit Corona weiß Dr. Google wenig. Auch Befundabfrage oder 1450 waren eher ratlos. Im auswertenden Pilzambulatorium in der Schlösselgasse war am Freitag um 16:30 Uhr keine Auskunftsperson mehr da. Ein Oberarzt der Coronastation am Kaiser-Franz-Joseph-Spital, dem Krankenhaus mit der vermutlich größten Covid-19-Expertise Österreichs, konnte zwar auch nicht sagen, was der RLU-Wert genau über Infektiosität aussagt. Er erklärte, dass Tests noch Monate nach Ausbruch der Krankheit positiv sein, auch Müdigkeitssyndrom, Kurzatmigkeit und Geschmacksveränderungen lange andauern könnten, dennoch sei ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr infektiös.
Ich schrieb der Ages, ob es nicht sinnvoll wäre, PCR-Tests zwecks Vergleichbarkeit und Maßnahmen auf Ct-Werte zu kalibrieren. Franz Allerberger antwortete sofort: „Danke, sehe ich auch so, verlässliches und vergleichbares Zahlenmaterial ist ganz in unserem Interesse.“Liebe Gesundheitspolitiker aus Bund, Ländern und Gemeinden: Bitte übernehmen Sie! Wir übernehmen am Wochenende übrigens wieder unseren Hund.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
Ja, die Pandemie verwandelt den Advent in eine unheimlich stille Zeit. Bremst die Wirtschaft. Macht krank.