Personalisierte Medizin in der Onkologie
Ein Health Economics & Outcomes Research (HEOR) Projekt analysiert mit NGS-Registerdaten den medizinischen Benefit der Präzisionsmedizin ebenso wie ökonomische Fragen neuer Therapien.
Personalisierte Medizin steht für das Konzept der richtigen Behandlung für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt. Insbesondere aus der Onkologie ist sie nicht mehr wegzudenken. Für die in Österreich rund 350.000 Menschen mit Krebserkrankung (jährlich werden 40.000 Neudiagnosen verzeichnet) hat die medizinische Forschung in den letzten Jahren Diagnoseverfahren und präzise Krebstherapien entwickelt, die Patienten zu besseren Behandlungschancen verhelfen sollen.
Analyseverfahren wie die Next Generation Sequencing (NGS)-Methode haben neue diagnostische Anwendungen ermöglicht. Mithilfe von NGS werden wesentliche molekulare Informationen des Tumors gewonnen, die sichtbar machen, ob eine bestimmte Form einer Erkrankung bzw. eine bekannte Mutation eingetreten ist, welche Biomarker essenzielle Hinweise für die richtige Behandlung geben und ob eine bestimme Therapie Erfolgsaussichten hat. Diese und andere Technologien erlauben es zudem, große Mengen relevanter, medizinischer Daten zu gewinnen und diese optimal zu nutzen.
Registerdaten-Pilotprojekt
Zum Stichwort Registerdaten hat die Gesundheitsplattform Praevenire bereits im Mai 2020 eine Diskussion über die Potenziale wissenschaftlicher Evaluierung von Registerdaten für die personalisierte Medizin in der Onkologie angeregt. Unter dem Titel „Health Services Research mit Registerdaten“fand nun im Rahmen der Seitenstettener Gesundheitstage ein weiteres Gipfelgespräch statt, bei dem es um die Verfolgung von Patientenkarrieren über Registerdaten bis hin zu klinischen Outcomes und ökonomischen Implikationen ging.
„Da rare- und ultrarare Tumore etwa 20 % der Krebserkrankungen ausmachen, wird die personalisierte Medizin in der Onkologie immer wichtiger. Um Therapien in Anbetracht der Heterogenität von molekularen Krankheitsursachen zielgerichtet fernab von Trial-and-Error-Methoden einsetzen zu können, bedarf es eines Systems der Analyse und Verfolgung von Patientendaten“, erläuterte Richard Greil, Klinikvorstand der Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, die Ausgangslage in seiner aufgrund von Pandemie-Erfordernissen per Videobotschaft eingespielten einführenden Keynote. Das Next Generation Sequencing Register (NGS Register) der Arbeitsgemeinschaft medikamentöser Tumortherapie, deren Präsident Prof. Greil ist, liefert einen wertvollen Anhaltspunkt, indem es Krankheitsverläufe im fortgeschrittenen, seltenen Stadium dokumentiert, die mittels NGS auf genetische Veränderungen im Tumor untersucht und daraufhin behandelt wurden.
Therapie & Ökonomie
„Einerseits wird mittels eines Registers ein Vergleich von konventionellen und neuen Therapien sowie ein Rückschluss auf Erfolgsraten möglich. Andererseits sollen im Rahmen dieses Pilotprojekts ökonomische Aspekte (beispielsweise stationäre/ambulante therapiebezogene Kosten) für Therapien mit personalisierter Medizin untersucht und die Kosten in Relation zum erzielten medizinischen Benefit gesetzt werden“, so Greil zu den Projektzielen. Man habe großes Interesse daran, nicht nur den klinischen Benefit zu zeigen, sondern auch sehr präzise festzustellen, was die gesundheitsökonomischen Outcomes sind.
Erste ökonomische Schlüsse
„Wir analysieren im Pilotprojekt gesundheitsökonomische Fragen auf Basis der Registerdaten. Der Grund ist, dass Daten zur effizienten Kosten-Nutzen-Abwägung essenziell sind und den Entscheidungsprozess von Gesellschaft bzw. Zahlenden unterstützen“, sagt Thomas Czypionka, Head of IHS Health Economics and Health Policy, in seiner anschließenden Eingangspräsentation. Generell sei festzuhalten, dass die Untersuchung des ökonomischen Nutzens sich in der personalisierten, zielgerichteten Medizin schwieriger darstellt als bei anderen Therapieformen – schon alleine deshalb, weil bei der Analyse von zielgerichtet behandelten Krebserkrankungen eine homogene Patientengruppe in viele Untergruppen zerfällt.
„Bei einer ersten Analyse der Registerdaten wurden daher nur 20 individuelle Fälle exemplarisch analysiert. Dieses Sample ist natürlich sehr klein. In weiterer Folge wird geprüft, ob und wie weit die Samplegröße erhöht werden kann, um multivariante Analyseverfahren anwenden zu können“, so Czypionka. Einige Schlussfolgerungen aus der ersten Datenauswertung konnten bereits gezogen werden.
Fest steht z. B., dass die Interpretation von Outcome-Daten wichtig für das Verständnis von Therapieoptionen wie auch für gesundheitsökonomische Analysen ist. Laut Czypionka zeige sich, dass die direkten Kosten in der Personalisierten Medizin fallweise höher sind, was sich aber bei längerer Therapiedauer wiederum relativiere. Tatsache ist zugleich, dass für eine tiefergreifende Analyse derzeit noch Kosteninformationen zum Krankenhausaufenthalt und zum extramuralen Bereich fehlen. Die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, die Kostendaten zusammenzuführen.
Mehr Daten & Big Data
Wie wichtig es künftig ist, mehr Daten zur Verfügung zu haben, um noch validere Schlussfolgerungen ziehen zu können, betonen in diesem Zusammenhang einhellig alle Experten. „Das Register leistet hier hervorragende Dienste, und es ist für uns Pathologen, die wir uns mit Tumoranalytik beschäftigen, auch hochinteressant, eine medizinische wie kostentechnische Analyse zu bekommen“, sagt Gerald Höfler, Vorstand des Instituts für Pathologie an der Medizinischen Universität Graz, und regt dazu an, in Zukunft auch vermehrt Diagnostikdaten (Stichwort: Bildgebung) einfließen zu lassen.
„Real-World-Daten machen eine bessere Relation zu den Kosten ersichtlich als randomisiertkontrollierte Studiendaten, die oft unter idealisierten Bedingungen erhoben werden“, betont auch Johannes Pleiner-Duxneuner, Medical Director Roche Austria und Präsident der GPMed. Mit klinischen Krebsregistern befinde man sich auf einem guten und richtigen Weg, wobei das Herausfiltern von ökonomischen Faktoren ebenso verfolgt werden sollte – mit dem Ziel, dass Personalisierte Medizin am Ende des Tages im Kosten-Nutzen-Verhältnis so effizient wie möglich wird.
Wie groß die Rolle von Big Data bei der Erfassung von Intervention und Wirkung sein kann, weiß in diesem Zusammenhang Reinhard Riedl, Leiter des transdisziplinären Zentrums „Digital Society“der Berner Fachhochschule: „Mit Big Data sind kausale Zusammenhänge besser identifizierbar, und es lässt sich sagen, ob man gerade auf einen statistischen Zufall gestoßen ist oder Aussagen valide sind. Das hilft wesentlich, wenn es an Vergleichsstudien mangelt.“Problematisch erachtet Riedl dabei die Tatsache, dass man zum einen nicht immer weiß, wo die Daten sind, und zum anderen oft nicht bereit ist, sie zu nutzen.
Wie in allen Bereichen, in welchen personenbezogene Gesundheitsdaten zusammengeführt und analysiert werden, sei es daher dringend notwendig, klare Regeln zu definieren, wie mit Daten umgegangen werden darf. „Gäbe es solche Regelungen, würde auch die Bereitschaft der Patienten zur Bereitstellung ihrer Daten steigen. Somit könnten immer mehr Daten miteinander verknüpft und bessere Auswertungen dieser ermöglicht werden“, so Riedl.
Systempartner
Einer Meinung sind die Experten ebenfalls, wenn es darum geht zu betonen, dass das Register allen Disziplinen, Ärzten und Systempartnern zugänglich gemacht werden soll, sprich all jenen, die die Sorge für Krebspatienten tragen. „Als Pharmaverband sind wir ein aktiver Partner und wollen natürlich so gut wie möglich eingebunden sein. Der Industrie ist an einem Maximum an Transparenz gelegen, weil wir damit auch in der Lage sind, unsere Forschung zielgenauer auszurichten“, sagt Alexander Herzog, Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs, Pharmig.
Herzog liegt ebenso daran, dass die Personalisierte Medizin mit ihrem unglaublich großen Potenzial nicht nur wie bis dato Fachleuten ein Begriff ist, sondern ebenso in der breiten Öffentlichkeit gebührenden Widerhall findet: „Die rasanten Entwicklungen der Personalisierten Medizin in der Onkologie bringen neue Chancen und Herausforderungen mit sich, die Patienten, Ärzte, Kliniken, Sozialversicherung, Politik und Industrie nur gemeinsam bewerkstelligen können. Es muss zu einem zentralen Thema der Gesundheitspolitik werden, um relevante Entscheidungen auf Basis von Evidenz pushen zu können.“Dass in dem aktuellen Pilotprojekt auch die ökonomischen Aspekte beleuchtet werden, sei dabei ein wesentlicher Meilenstein in Sachen Transparenz, weil das System die neuen Therapien auch bezahlen muss und deshalb Klarheit über Kosten und Nutzen benötigt.
Als Systempartnerin sieht sich auch Gunda Gittler, Leiterin der Anstaltsapotheke des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Linz: „Krankenhauspharmazeuten sind die Drehscheibe in der Vernetzung der verschiedenen Gesundheitsberufe innerhalb des Spitalwesens und Botschafter im extramuralen Bereich.“
Die Involvierung findet nicht zuletzt im Rahmen des Einkaufs statt, wenn es darum geht, Kostenvergleiche zwischen Therapieformen ins Kalkül zu ziehen. „Gerade was die Personalisierte Medizin betrifft, ist eine noch stärkere Zusammenarbeit mit der Onkologie wünschenswert“, so Gittler, die dem Pilotprojekt rund um das Register nur Positives abgewinnen kann. Es sei eine bemerkenswerte Arbeit, von der am Ende alle und natürlich insbesondere die Patienten profitieren werden.
Faktor Lebensqualität
„Was an Therapie machbar, möglich und sinnvoll ist, soll der Mensch bekommen. Das ist unser Selbstverständnis als Organisation“, betont auch Andreas Huss, Obmann der ÖGK, die Position der Sozialversicherung und spricht sich dafür aus, in Fragen der Versorgungsforschung und –planung den Parameter Lebensqualität künftig stärker miteinzubeziehen.
Solche Daten seien gerade für den Kostenträger wichtig, da dieser dem Patienten den medizinischen Fortschritt zugänglich machen muss. Ein Anliegen, das Susanne Schöberl, Ärztin in der NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft, nur unterstreichen kann: „Um die Daten aus klinischen Krebsregistern für sekundäre, retrospektive Analysen nutzbar zu machen, wäre eine Erweiterung um Patient-Reported Outcomes bzw. Lebensqualität-Parameter wünschenswert.“So könnte die Transparenz maßgeblich erhöht und sichtbar gemacht werden, bei welchen Therapien die Lebensqualität besonders hoch geblieben ist. Denn am Ende ist es das wichtigste, dass der Patient weiß, was ihn erwartet und wie sein Weg ist.
Daten zur KostenNutzen-Abwägung unterstützen den Entscheidungsprozess in der Gesellschaft.
Thomas Czypionka Da rare- und ultrarare Tumore etwa 20 % der Krebserkrankungen ausmachen, wird die personalisierte Medizin in der Onkologie immer wichtiger.
Richard Greil