Was sich die Bürger von der EU wünschen
Umfragen. Die lang dominierende EU-Skepsis weicht angesichts erlebter Krisen dem Wunsch nach einer gemeinsamen europäischen Politik in den Bereichen Wirtschaft, Einwanderung, Klimaschutz und – coronabedingt – auch Gesundheit.
Wien. Wünsche an die Politik sind stets eine Mischung aus Idealismus und Realismus. In Zeiten von erlebten Krisen, so wird in mehreren Umfragen zur Stimmung in Österreich und in der gesamten EU deutlich, werden die Erwartungen konkreter. Krisen sind aber auch Zeiten, in denen vorhandene Strukturen weniger stark infrage gestellt werden. Dominierte hierzulande über viele Jahre eine relativ starke EU-Skepsis, so trugen die Finanz-, Schulden-, Migrations- und zuletzt die Coronakrise dazu bei, dass nun der Wunsch nach einer besseren Koordination mit einer wachsenden Unterstützung für die Europäische Gemeinschaft als übergeordneter politischer Akteur einhergeht.
Wie eine regelmäßige Befragung der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ergab, sank der Wunsch nach einem Austritt aus der EU seit 2016 auf einen historischen Tiefststand – zuletzt 14 Prozent (2015 waren es noch 32 Prozent). Im Gegenzug wird aber ein Handeln auf der gemeinsamen europäischen Ebene eingefordert. Die Österreicherinnen und Österreicher wünschen sich von der Europäischen Union künftig in erster Linie eine bessere koordinierte Wirtschaftspolitik. 87 Prozent der Befragten einer ÖGfE-Umfrage vom vergangenen Frühjahr nannten als prioritären Wunsch, dass sich die EU-Staaten künftig gemeinsam in dieser Frage engagieren. Diese Dominanz spiegelt sich auch in einer EUweiten Umfrage von Eurobarometer wider. Demnach wurde die wirtschaftliche Lage von allen EU-Bürgerinnen und Bürgern als das wichtigste zu lösende Problem der Zukunft genannt. 35 Prozent nannten es als eines der beiden vorrangigsten Probleme der Gemeinschaft. Gleich an zweiter Stelle kam die Lage der öffentlichen Finanzen mit 23 Prozent. Dahinter reihten sich die Einwanderung und die Gesundheit.
Gemeinsamer Kampf gegen Pandemie
Direkt auf die Coronakrise angesprochen, wünschen sich die EU-Bürgerinnen und Bürger laut der Eurobarometer-Umfrage vom vergangenen Sommer vorrangig gemeinsame finanzielle Mittel, „um Behandlungsmöglichkeiten oder einen Impfstoff zu finden“. Gleich an zweiter Stelle kommt der Wunsch nach einer europäischen Strategie, um ähnlichen Krisen in Zukunft gemeinsam zu begegnen. An dritter Stelle reiht sich der Wunsch nach einer gemeinsamen Gesundheitspolitik, die derzeit noch in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten liegt.
Doch zurück nach Österreich: Hier wünschen sich zwei Drittel der Bevölkerung laut der ÖGfE-Umfrage ein europäisches Engagement im Klimaschutz (67 Prozent) und im „humanitären Bereich“(69 Prozent). Letzteres dürfte mit der Migrationskrise zusammenhängen, die zu einem Gutteil auf humanitären Notsituationen in den Herkunftsländern fußt. Ein intensiviertes militärisches Auftreten der EU, wie es angesichts der Syrien-Krise oder anderer Konflikte in der Nachbarschaft der Gemeinschaft thematisiert wurde, halten hingegen zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) nicht für sinnvoll.
„Aufgrund der aktuellen Coronakrise überrascht nicht, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher ein verstärktes wirtschaftspolitisches Engagement der EU wünschen“, analysiert ÖGfE-Generalsekretär Paul Schmidt die Ergebnisse. In militärischer Hinsicht, so ist er überzeugt, „setzen die Österreicher auf die politische Soft Power der europäischen Idee. Ein stärkeres militärisches Auftreten in der Welt findet keine Mehrheit.“
Jugend nennt idealistische Wünsche
Die österreichische Jugend ist traditionell europafreundlicher eingestellt als ihre Elterngeneration. Zwar decken sich ihre Wünsche weitgehend mit jenen der Älteren, sie sind aber naturgemäß idealistischer und zukunftsorientierter. Sieben von zehn Befragten einer ÖGfE-Umfrage vom vergangenen Sommer waren der Ansicht, dass in Zukunft innerhalb der EU eher mehr gemeinsam entschieden werden sollte. Auf ihrer Prioritätsliste steht der Klimaschutz ganz oben. 80 Prozent der befragten Jugendlichen ab 15 Jahren nannten ihn als wichtigstes Zukunftsthema. Dahinter rangierten mit 69 Prozent der gemeinsame Kampf gegen die Kluft zwischen Arm und Reich und mit 63 Prozent das Engagement für Menschenrechte. Ebenfalls 63 Prozent wünschen sich, dass die Europäische Union künftig die Zuwanderung von Flüchtlingen gemeinsam regelt.
ÖGfE-Generalsekretär Schmidt sieht im Gespräch mit der „Presse“eine wachsende politische Sensibilität bei Jugendlichen, die sich auch durch ihre zuletzt deutlich gestiegene Beteiligung an der Europawahl zeige. Er sieht „idealistische Themen“bei den heimischen Jugendlichen stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen. Konkrete Wirtschaftsthemen wie „Arbeitsplätze schaffen“oder „Digitalisierung ausbauen“werden zwar von den jüngeren Österreicherinnen und Österreichern ebenfalls als Wünsche an die gemeinsame EU-Politik genannt, liegen mit 57 bzw. 33 Prozent jedoch etwas hinter ihren oben genannten Prioritäten Klimaschutz und Kampf gegen die Kluft zwischen Arm und Reich.