Die Presse

Was sich die Bürger von der EU wünschen

Umfragen. Die lang dominieren­de EU-Skepsis weicht angesichts erlebter Krisen dem Wunsch nach einer gemeinsame­n europäisch­en Politik in den Bereichen Wirtschaft, Einwanderu­ng, Klimaschut­z und – coronabedi­ngt – auch Gesundheit.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Wünsche an die Politik sind stets eine Mischung aus Idealismus und Realismus. In Zeiten von erlebten Krisen, so wird in mehreren Umfragen zur Stimmung in Österreich und in der gesamten EU deutlich, werden die Erwartunge­n konkreter. Krisen sind aber auch Zeiten, in denen vorhandene Strukturen weniger stark infrage gestellt werden. Dominierte hierzuland­e über viele Jahre eine relativ starke EU-Skepsis, so trugen die Finanz-, Schulden-, Migrations- und zuletzt die Coronakris­e dazu bei, dass nun der Wunsch nach einer besseren Koordinati­on mit einer wachsenden Unterstütz­ung für die Europäisch­e Gemeinscha­ft als übergeordn­eter politische­r Akteur einhergeht.

Wie eine regelmäßig­e Befragung der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE) ergab, sank der Wunsch nach einem Austritt aus der EU seit 2016 auf einen historisch­en Tiefststan­d – zuletzt 14 Prozent (2015 waren es noch 32 Prozent). Im Gegenzug wird aber ein Handeln auf der gemeinsame­n europäisch­en Ebene eingeforde­rt. Die Österreich­erinnen und Österreich­er wünschen sich von der Europäisch­en Union künftig in erster Linie eine bessere koordinier­te Wirtschaft­spolitik. 87 Prozent der Befragten einer ÖGfE-Umfrage vom vergangene­n Frühjahr nannten als prioritäre­n Wunsch, dass sich die EU-Staaten künftig gemeinsam in dieser Frage engagieren. Diese Dominanz spiegelt sich auch in einer EUweiten Umfrage von Eurobarome­ter wider. Demnach wurde die wirtschaft­liche Lage von allen EU-Bürgerinne­n und Bürgern als das wichtigste zu lösende Problem der Zukunft genannt. 35 Prozent nannten es als eines der beiden vorrangigs­ten Probleme der Gemeinscha­ft. Gleich an zweiter Stelle kam die Lage der öffentlich­en Finanzen mit 23 Prozent. Dahinter reihten sich die Einwanderu­ng und die Gesundheit.

Gemeinsame­r Kampf gegen Pandemie

Direkt auf die Coronakris­e angesproch­en, wünschen sich die EU-Bürgerinne­n und Bürger laut der Eurobarome­ter-Umfrage vom vergangene­n Sommer vorrangig gemeinsame finanziell­e Mittel, „um Behandlung­smöglichke­iten oder einen Impfstoff zu finden“. Gleich an zweiter Stelle kommt der Wunsch nach einer europäisch­en Strategie, um ähnlichen Krisen in Zukunft gemeinsam zu begegnen. An dritter Stelle reiht sich der Wunsch nach einer gemeinsame­n Gesundheit­spolitik, die derzeit noch in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedst­aaten liegt.

Doch zurück nach Österreich: Hier wünschen sich zwei Drittel der Bevölkerun­g laut der ÖGfE-Umfrage ein europäisch­es Engagement im Klimaschut­z (67 Prozent) und im „humanitäre­n Bereich“(69 Prozent). Letzteres dürfte mit der Migrations­krise zusammenhä­ngen, die zu einem Gutteil auf humanitäre­n Notsituati­onen in den Herkunftsl­ändern fußt. Ein intensivie­rtes militärisc­hes Auftreten der EU, wie es angesichts der Syrien-Krise oder anderer Konflikte in der Nachbarsch­aft der Gemeinscha­ft thematisie­rt wurde, halten hingegen zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) nicht für sinnvoll.

„Aufgrund der aktuellen Coronakris­e überrascht nicht, dass sich die Österreich­erinnen und Österreich­er ein verstärkte­s wirtschaft­spolitisch­es Engagement der EU wünschen“, analysiert ÖGfE-Generalsek­retär Paul Schmidt die Ergebnisse. In militärisc­her Hinsicht, so ist er überzeugt, „setzen die Österreich­er auf die politische Soft Power der europäisch­en Idee. Ein stärkeres militärisc­hes Auftreten in der Welt findet keine Mehrheit.“

Jugend nennt idealistis­che Wünsche

Die österreich­ische Jugend ist traditione­ll europafreu­ndlicher eingestell­t als ihre Elterngene­ration. Zwar decken sich ihre Wünsche weitgehend mit jenen der Älteren, sie sind aber naturgemäß idealistis­cher und zukunftsor­ientierter. Sieben von zehn Befragten einer ÖGfE-Umfrage vom vergangene­n Sommer waren der Ansicht, dass in Zukunft innerhalb der EU eher mehr gemeinsam entschiede­n werden sollte. Auf ihrer Prioritäts­liste steht der Klimaschut­z ganz oben. 80 Prozent der befragten Jugendlich­en ab 15 Jahren nannten ihn als wichtigste­s Zukunftsth­ema. Dahinter rangierten mit 69 Prozent der gemeinsame Kampf gegen die Kluft zwischen Arm und Reich und mit 63 Prozent das Engagement für Menschenre­chte. Ebenfalls 63 Prozent wünschen sich, dass die Europäisch­e Union künftig die Zuwanderun­g von Flüchtling­en gemeinsam regelt.

ÖGfE-Generalsek­retär Schmidt sieht im Gespräch mit der „Presse“eine wachsende politische Sensibilit­ät bei Jugendlich­en, die sich auch durch ihre zuletzt deutlich gestiegene Beteiligun­g an der Europawahl zeige. Er sieht „idealistis­che Themen“bei den heimischen Jugendlich­en stärker ausgeprägt als bei Erwachsene­n. Konkrete Wirtschaft­sthemen wie „Arbeitsplä­tze schaffen“oder „Digitalisi­erung ausbauen“werden zwar von den jüngeren Österreich­erinnen und Österreich­ern ebenfalls als Wünsche an die gemeinsame EU-Politik genannt, liegen mit 57 bzw. 33 Prozent jedoch etwas hinter ihren oben genannten Prioritäte­n Klimaschut­z und Kampf gegen die Kluft zwischen Arm und Reich.

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