Der Gefangenenbasar der Islamischen Republik
Iran. In Teheran kam eine britisch-australische Wissenschafterin im Austausch gegen drei inhaftierte Iraner in Thailand frei. Das Regime zieht eine regelrechte Geiseldiplomatie auf.
Sydney/Teheran/Wien. 804 Tage lang verbrachte die britisch-australische Islamwissenschaftlerin Kylie Moore-Gilbert im Gefängnis im Iran. Als sie nun im Zuge eines Gefangenenaustauschs freikam, beteuerte sie in einer schriftlichen Erklärung, den Iran „mit bittersüßen Gefühlen“und „als Freundin“zu verlassen. Die Akademikerin war im September 2018 auf dem Flughafen von Teheran nach Teilnahme an einer Konferenz festgenommen worden.
Die iranischen Behörden warfen ihr vor, für den israelischen und den britischen Geheimdienst spioniert zu haben. In einem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde die Forscherin zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sie beteuerte stets ihre Unschuld.
Moore-Gilbert, eine Dozentin der Universität von Melbourne, durfte nun in ihre Heimat zurückkehren, weil sich in Thailand die Gefängnistore für drei iranische Häftlinge öffneten: für Mohammed Kharzaei, Massud Sedaghatzadeh und Said Moradi. Das iranische Staatsfernsehen zeigte sie bei ihrer Rückkehr in den Iran, behängt mit Blumengirlanden und eingehüllt in Nationalflaggen wie Volkshelden. Die drei Männer waren 2012 in Bangkok in einen Bombenanschlag verwickelt, der einem israelischen Diplomaten gegolten hatte. Das Attentat scheiterte. Der Sprengsatz detonierte zu früh – in der Mietwohnung der Verschwörer. Einer von ihnen, Said Moradi, verlor dabei ein Bein. Seither sitzt er im Rollstuhl.
Wie Schachfiguren
Die iranischen Staatsmedien stellten den Fall anders dar: Drei Geschäftsleute, die beim Versuch, die internationalen Sanktionen gegen den Iran zu umgehen, verhaftet worden seien, habe die Islamische Republik nun gegen eine Spionin ausgetauscht, die zwei Jahre ihrer Gefängnisstrafe abgesessen habe. Das Fernsehen verbreitete Videos von dem Austausch, untermalt von dramatischer Musik. Dabei ist auch Moore-Gilbert in einem grauen Hijab und einem hellblauen Mundschutz am Flughafen von Teheran zu sehen.
Es ist nicht das erste Mal das der Iran Häftlinge austauscht. Das Regime hat einen regelrechten Gefangenenbasar aufgezogen. Immer wieder werden Ausländer, vorzugsweise Doppelstaatsbürger, unter fadenscheinigen Gründen festgenommen und verurteilt, um sie dann wie Schachfiguren in internationalen Rochaden einzusetzen. Es hat sich mittlerweile eine Art Geiseldiplomatie etabliert. Derzeit halten die Iraner mindestens ein Dutzend solcher Gefangener aus aller Herren Länder fest.
Österreicher darbt in Evin
Dazu zählt auch ein Österreicher mit iranischen Wurzeln. Massud Mossaheb, der Generalsekretär der österreichisch-iranischen Gesellschaft, darbt seit Jänner 2019 im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Ein Gericht verurteilte ihn zu zehn Jahren Haft wegen angeblicher Spionage für Deutschland und den israelischen Geheimdienst Mossad. Beweise liegen bis heute nicht vor. Mit seinen 73 Jahren ist Mossaheb gesundheitlich schwer angeschlagen. Er leidet unter Herzschwäche, Diabetes und Atemnot. Seit Monaten setzt sich Österreichs Staatsspitze für ihn ein. Bisher vergeblich.
Todesurteil für Schweden
Die Liste der Gefangenen ist lang und bunt. Iranisch-amerikanische Doppelstaatsbürger wie der Geschäftsmann Siamak Namazi und dessen Vater, ein ehemaliger Unicef-Mitarbeiter, zählen ebenso dazu wie die deutsch-iranische Architektin Nahid Thaghavi oder die französisch-iranische Wissenschaftlerin, Farida Adelkha. Die britische-iranische Entwicklungshelferin und Journalistin, Nazanin Zaghari-Ratcliffe, kämpft seit 2016 um ihre Freilassung. Den
schwedisch-iranischen Arzt und Forscher Reza Jalali hat ein Gericht zuletzt wegen Spionage zum Tod verurteilt. Mehr als 100 Nobelpreisträger haben sich in einem Brief an Irans Obersten Geistlichen Führer, Ali Khamenei, dafür eingesetzt, dass Jalali zu Frau und Kindern zurückkehren und seine „wissenschaftliche Arbeit zum Nutzen der Menschheit“fortsetzen kann. Doch ihm droht immer noch die Hinrichtung.
Hin und wieder lässt der Iran Gnade walten – im Gegengeschäft. Zuletzt im Februar durfte ein Deutscher zurück nach Hause, dafür entließ Deutschland einen Iraner aus der Haft. Eine ähnliche Aktion lief zwischen Washington und Teheran ab. Und nun eben endete der Albtraum für Moore-Gilbert. Es war eine „lange und traumatische Tortur“, wie die 33-Jährige schrieb.
24 Stunden Licht am Tag
Australische Konsulatsmitarbeiter konnten sie in den vergangenen zwei Jahren ab und zu besuchen. Sie soll während der Haftzeit häufiger krank gewesen sein. In einer Sprachaufnahme, die dem „Guardian“im Juli zugespielt worden war, sagte die Forscherin, die an mehreren Nahrungsmittelallergien leidet, sie könne nichts essen. „Ich fühle mich so unglaublich hoffnungslos ..., ich bin so deprimiert.“In älteren Briefen, die aus dem Gefängnis geschmuggelt worden waren, enthüllte sie, sie habe ein Angebot abgelehnt, im Gegenzug für ihre Freiheit für Teheran zu spionieren. „Ich bin keine Spionin“, schrieb sie. Wenn sie den Iran verlasse, wolle sie „eine freie Frau sein und ein freies Leben führen, nicht im Schatten von Erpressung und Bedrohung“.
Moore-Gilbert musste viel durchmachen. Man hielt sie zeitweilig isoliert in einer winzigen, sechs Quadratmeter großen Zelle gefangen. Das Licht war 24 Stunden am Tag an.