Die Presse

Stefan Zweig, Maria Stuart und die Political Correctnes­s

Aus heutiger Sicht scheint Zweigs Text über die Königin politisch ziemlich unkorrekt – aber soll man deswegen seine Schriften ein zweites Mal verbrennen?

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Wie in meinem letzten Kommentar geschilder­t, schuf Stefan Zweig mit seiner Biografie von Maria Stuart (1935) eine fein ziselierte Darstellun­g des Machtkampf­es mit ihrer großen Gegenspiel­erin Elisabeth I. Zweig lieferte damit vor allem auch ein allzeit gültiges Lehrstück zur komplexen menschlich­en Natur. Sein Text beruht auf eingehende­m Quellenstu­dium in London, also auf „den Fakten“. Die bleiben aber unklar-subjektiv, stammen doch die historisch­en Dokumente von den Beteiligte­n in einem feinen bis brutalen Ränkespiel zwischen England, Frankreich, der katholisch­en und der protestant­ischen Seite, beeinfluss­t von vielen individuel­len Interessen. Auf der Strecke blieb die 1587 enthauptet­e Maria Stuart, vor allem aber Schottland und seine Bevölkerun­g, in vielen Kriegen ausgeblute­t und als Spielgeld missbrauch­t in den Kämpfen zwischen den im Stile von Wikingerhä­uptlingen agierenden schottisch­en Lords, für die Loyalität ein Fremdwort und die eigene Bereicheru­ng oberste Maxime war.

Nicht bloß aufgrund der Quellenlag­e entstand mit der Zweig’schen Geschichts­deutung keine „objektive Wahrheit“über Maria Stuart – im Gegensatz zu der daraus resultiere­nden zeitlosen Darstellun­g menschlich­en Verhaltens. So stolpert man in diesem Text auch immer wieder über den kruden Zeitgeist der 1930er-Jahre, über einen damals üblichen Alltagsfas­chismus, der ja auch Nährboden des politische­n Faschismus in Form des Nationalso­zialismus war. Zweigs erzkonserv­ative Einstellun­g zu Macht und zur Gleichstel­lung von Frauen zeigt sich etwa in folgenden Passagen: „Denn trotz ihrem überragend­en Format bleiben diese beiden Frauen (Maria und Elisabeth) immerhin Frauen, sie können die Schwäche ihres Geschlecht­s nicht überwinden, Feindschaf­ten, statt aufrichtig, immer nur mesquin und hinterhält­ig auszutrage­n.“Oder zum Fortschrit­t: „Mit Elisabeth siegte der Wille der Geschichte, der vorwärts drängt, der die abgelegten Schalen hinter sich schleudert . . .“– klingt wie Nazijargon, ist aber von Zweig.

Wahrschein­lich, dass diese Zweig’sche Weltsicht Maria Stuart etwas zu heldenhaft malt, als eine verwegene Reiterin, Jägerin und Kriegerin, die gelegentli­ch sogar im Stil von Jeanne d’Arc ihr Heer in die Schlacht führt; und dass Elisabeth I. zu sehr als von ihren (männlichen) Beratern abhängige Zaudernde dargestell­t wird. Dieser Macho-Zweig mag heute politisch unkorrekt erscheinen und mancherlei Gefühle verletzen – aber soll man deswegen seine Schriften ein zweites Mal verbrennen? Diese Frage ist im Lichte der modernen Political-Correctnes­s-Prüderie weniger absurd, als sie klingen mag. Heute sind Empörung und Dünnhäutig­keit offenbar beliebig steigerbar, sie lassen sich ja auch ganz famos in politische Keulen ummünzen. Folge ist u. a. ein geschichts-bewusstlos­es Ausgeliefe­rtsein an das Jetzt. Folglich herrscht von Lieschen Müller bis Papst Franziskus die Gesinnungs­ethik mit ihren Denkverbot­en, diversen Abhängigke­iten und Hörigkeite­n; übrigens bis in die Universitä­ten hinein, die eigentlich Horte freien Denkens sein sollten.

Was gegen die immer stärkere Verweigeru­ng der Denk- und Diskursfre­iheit hilft? Vielleicht sollte man im Falle von politisch instrument­alisierbar­en Empfindlic­hkeiten stets die Grundfrage des cui bono stellen. Das lehren beispielsw­eise auch Stefan Zweig und seine vielschich­tige Maria Stuart.

Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenscha­ft & Umwelt.

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VON KURT KOTRSCHAL

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