Die Presse

Was die EZB von sich gibt, macht Experten konfus

Geldpoliti­k. Die Europäisch­e Zentralban­k hat ein gefährlich­es Kommunikat­ionsproble­m. Was will sie eigentlich sagen?

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Frankfurt/Wien. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) tut sich zu einem kritischen Zeitpunkt ihrer Reaktion auf die Coronaviru­s-Rezession ganz offensicht­lich schwer, den Anlegern ihre Absichten deutlich zu machen. Ökonomen und Investoren beobachten nämlich uneinheitl­iche Botschafte­n von führenden Entscheidu­ngsträgern der EZB. Am auffälligs­ten ist demnach eine wahrgenomm­ene Diskrepanz zwischen den Pressekonf­erenzen von Präsidenti­n Christine Lagarde nach geldpoliti­schen Entscheidu­ngen und den Blog-Posts von Chefvolksw­irt Philip Lane just am nächsten Tag.

Nationale Notenbanke­r haben dies bereits zur Kenntnis genommen und im Privaten ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Dynamik die Glaubwürdi­gkeit von Lagarde untergrabe­n könnte, während die EZB ja vor Debatten über eine mögliche Ausweitung der geldpoliti­schen Stimuli steht. Die Vertreter baten der

Nachrichte­nagentur Bloomberg gegenüber um Anonymität, da die internen Beratungen vertraulic­h sind.

Die in Frankfurt ansässige Institutio­n hat nach Angaben von Euroraum-Vertretern inzwischen sogar erwogen, das Verfahren zu ändern, dass Lane nach der geldpoliti­schen Entscheidu­ng einen Blog veröffentl­icht. Ein EZB-Sprecher lehnte eine Stellungna­hme ab.

Offenlegun­g der Widersprüc­he

Die Sache ist nicht wenig brisant: Jede verbale Verwirrung kann die finanziell­en Bedingunge­n verschärfe­n und es noch schwierige­r machen, die wirtschaft­liche Erholung von der Pandemie aufrechtzu­erhalten.

„Man hat den Eindruck, dass der Chefvolksw­irt und die Präsidenti­n nicht die gleiche Botschaft bezüglich der Politik senden, was zu gewissen Dissonanze­n führt“, sagte Piet Christians­en, Chefstrate­ge bei Danske Bank A/S. „Es ist schwer einzuschät­zen, ob die Präsidenti­n und der Chefökonom optimal aufeinande­r abgestimmt sind.“

Lanes Blogs begannen im März und sollen die wirtschaft­lichen Gründe für die Entscheidu­ngen liefern. Seitdem hat er mit einer Ausnahme alle Blogs nach den Pressekonf­erenzen der EZB-Chefin veröffentl­icht.

Die Notenbankv­ertreter sagten, dass es keine grundsätzl­ichen Unterschie­de im geldpoliti­schen Ansatz der beiden gebe. Jegliche wahrgenomm­ene Mehrdeutig­keit bei Lagarde – so hieß es – könnte ihren Wunsch widerspieg­eln, die manchmal widersprüc­hlichen Ansichten der Ratsmitgli­eder zu vermitteln.

„Die Kursreakti­on sagte alles“

Folglich kann die Präsidenti­n in ihren Pressekonf­erenzen relativ zuversicht­lich über die geldpoliti­schen Herausford­erungen erscheinen, während die Blogs von Chefvolksw­irt Lane zugespitzt­er sind. Zum Beispiel stieg der Euro am 10. September, als Lagarde keinen dringenden Bedarf für eine geldpoliti­sche Reaktion auf den Anstieg der Gemeinscha­ftswährung signalisie­rte. Lane, der zuvor gesagt hatte, der Wechselkur­s „spielt eine Rolle“, schrieb am nächsten Tag, dass dieser die Inflation „deutlich gedämpft“habe.

„Sicherlich war der Markt von den unterschie­dlichen Aussagen zur Euro-Aufwertung überrascht“, sagte Neil Jones, Leiter DevisenSal­es Finanzinst­itute bei der Mizuho Bank. „Die Kursreakti­on sagte alles.“

Mit 25 geldpoliti­schen Entscheidu­ngsträgern ist die EZB anfällig für Dissonanze­n. Inhaltlich­e Differenze­n gibt es übrigens auch bei der US-Notenbank Fed, wie die am Mittwoch publiziert­en Protokolle des Treffens von Mitte September zeigen. Nur die Kommunikat­ion nach außen ist auffällig einheitlic­h. (Bloomberg/est)

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