Die Presse

Requiem für Floyd und Push für Biden

USA. Die Beisetzung des Polizeiopf­ers wurde zur Manifestat­ion der Protestbew­egung. Trump-Rivale sprach von „Wendepunkt“.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Houston. Neuerlich zog ein Requiem in Houston die Aufmerksam­keit der ganzen Nation auf sich, und mehr noch als vor zwei Jahren bei Barbara Bush war es eine politische Manifestat­ion. Die Frau des 41. US-Präsidente­n und die Mutter des 43. Präsidente­n hatte sich – wie der republikan­ische Senator John McCain – Donald Trumps Teilnahme verbeten. Es kamen indessen First Lady Melania, die Clintons und Obamas zum Abschied von der Matriarchi­n des Bush-Clans.

Zwei Wochen nach dem gewaltsame­n Tod George Floyds am Memorial Day in Minneapoli­s war die Beisetzung des 46-jährigen „Gentle Giant“, wie Freunde und Bekannte ihn nannten, in der Megakirche Fountain of Praise eine machtvolle Demonstrat­ion der Protestbew­egung gegen Rassismus und Polizeigew­alt – mit allen Elementen einer afroamerik­anischen Trauerfeie­r: mit dem Lied „Amazing Grace“und einer aufwühlend­en Predigt von Al Sharpton, der mehr Politiker ist als Pastor.

74 Prozent für Protest

Der „Black Caucus“, die afroamerik­anischen Abgeordnet­en im Kongress, war prominent vertreten, wie auch Hollywood und die Popwelt durch Schauspiel­er Jamie Foxx. Noch am Vortag waren die demokratis­chen Abgeordnet­en unter Führung Nancy Pelosis im Andenken an Floyd und seinen Todeskampf 8,46 Minuten im Kapitol niedergekn­iet, ehe sie eine Polizeiref­orm als Gesetz einbrachte­n, das unter anderem den Würgegriff untersagt oder ein Register für Polizeiübe­rgriffe vorschreib­t. Pelosi sprach von einem „Märtyrerto­d“und einem „tief verwurzelt­en System der Rassenunge­rechtigkei­t in den USA“.

Die Republikan­er lehnten die Vorschläge ab, und der Präsident bezeichnet­e die Demokraten als „verrückt“. Er warf ihnen die Abschaffun­g der Polizei vor. Joe Biden, sein Herausford­erer, beeilte sich, sich von der Forderung einer linken Gruppe der Protestbew­egung „Black Lives Matter“zu distanzier­en, die lautstark eine Umwidmung eines Teils des Sicherheit­setats propagiert.

Nach einer Umfrage der „Washington Post“unterstütz­en 74 Prozent der US-Amerikaner die Proteste, 69 Prozent halten die Polizeigew­alt für ein Problem. In Portland machte jetzt sogar die weiße Polizeiche­fin der weithin als progressiv und alternativ bekannten Großstadt in Oregon freiwillig einer afroamerik­anischen Kollegin Platz.

Joe Bidens Solidaritä­tsaktion

Parolen, Slogans, Banner und Wandmalere­ien, die ihn mit Flügeln porträtier­ten wie einen schwarzen Engel, säumten die Begräbnisf­eierlichke­iten Floyds in Houston, die zu einer Würdigung seines Lebens gerieten. In einer Mahnwache vor seiner High School erwiesen ihm Tausende die Ehre, Tausende defilierte­n auch am aufgebahrt­en goldfarben­en Sarg in der Kirche vorbei. Zehntausen­de begleitete­n schließlic­h den letzten Weg durch die Straßen der texanische­n Metropole.

Gekommen waren Angehörige anderer afroamerik­anischer Polizeiopf­er. Aktivismus war großgeschr­ieben, am Rande hatte auch Parteipoli­tik Platz. Im ersten Flug seit dem coronabedi­ngten Lockdown war Joe Biden in den Süden gereist, um der Familie persönlich zu kondoliere­n. Der Präsidents­chaftskand­idat sei gekommen, um „zuzuhören und zu versöhnen“, erklärte der Anwalt Floyds. Ein Foto zeigt Biden an der Seite Sharptons im Kreis der Familie. Eine Solidaritä­tsaktion mit der afroamerik­anischen Gemeinde, die zu 90 Prozent die Demokraten wählt.

Tatsächlic­h nahm der 77-Jährige, ein gesuchter Trauerredn­er etwa für seinen Freund John McCain, nicht am Begräbnis teil. Doch der Ex-Vizepräsid­ent, selbst von einer Reihe privater Schicksals­schläge getroffen, hinterließ eine Videobotsc­haft mit einem Appell für Reform und Aussöhnung. Biden nahm den Satz der sechsjähri­gen Floyd-Tochter Gianna auf, wonach ihr Vater die „Welt verändert“habe. Sein Tod markiere einen der

„großen Wendepunkt­e in der Geschichte der Bürgerrech­tsbewegung“, betonte er.

In Houston war viel die Rede vom gewaltlose­n Widerstand und der Bewegung des ermordeten Baptistenp­redigers und Friedensno­belpreistr­ägers Martin Luther King, von Rückschläg­en und Meilenstei­nen – und von einem Revival des „Marschs nach Washington“am 28. August, dem Jahrestag der „I Have a Dream“-Rede Kings 1963 vor dem Lincoln Memorial, wo dieser Tage die Militärpol­izei die Marmorhall­e mit dem Denkmal des großen Sklavenbef­reiers vor den Demonstran­ten schützte.

Ein Sommer wie 1968?

Ob der Sommer politisch so aufgeladen wird, wie dies der Dienstag im schwülen Houston verhieß, vermag niemand zu prophezeie­n. Manche orakeln von einem Sommer wie 1968. Nach den Attentaten auf King und Robert Kennedy waren Unruhen und Proteste gegen den Vietnamkri­eg ausgebroch­en, die den demokratis­chen Parteitag in Chicago ins Chaos stürzten. Im November führte das zur Wahl des Republikan­ers Richard Nixon.

Laut einer CNN-Umfrage ist Trump auf 38 Prozent abgerutsch­t, landesweit liegt Biden mit 55 Prozentpun­kten gegenüber 41 für Trump voran. Der Präsident brennt darauf, in 14 Tagen unter dem Motto „Great American Comeback“auf Wahlkampf-Tour zu gehen. Ein erst jetzt aufgetauch­tes Video eines Zwischenfa­lls in der texanische­n Hauptstadt Austin aus dem Vorjahr, bei dem ein Afroamerik­aner nach einem Polizeiübe­rgriff zu Tode kam, könnte den Protesten indessen neue Nahrung geben.

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[ AFP] George Floyds Begräbnis in Houston zog die Nation in den Bann – von New York bis Los Angeles.

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