Die Presse

Kleider machen Leute – und Nationen

Kulturwiss­enschaft. Wie wir uns kleiden, hat wenig mit individuel­lem Geschmack und viel mit Zugehörigk­eit zu tun. Zunehmend rückt die Rolle der Nation in den Forschungs­fokus.

- SAMSTAG, 7. SEPTEMBER 2019 VON CORNELIA GROBNER

Eine Frau mit Kopftuch und Dirndl – passt das? Schon längst heißt das Motto auf den Laufstegen der Modemetrop­olen „Everything goes“, alles ist möglich. Im Alltag angekommen ist das aber noch nicht. Als sie eine Hijabträge­rin in einem Secondhand-Laden beobachtet­e, die sich vor einem Spiegel ein Dirndl vor den Körper hielt, fühlte sich Lisbeth Freiß bemüßigt, ihr mit einem Ratschlag zur Seite zu stehen. „Dazu gehört eine weiße Bluse“, erklärte die Fachdidakt­ikerin für Textiles Gestalten und Werkerzieh­ung vom Mozarteum Salzburg der Frau. „Da lächelte mich diese nur freundlich an und meinte, das wisse sie. Sie trage gern und öfter Dirndl.“

Modernes Outfit für k. u. k. Bürger

Freiß erzählt die Anekdote, um deutlich zu machen, welche Codes und Ideen – das Wort Ideologie vermeidet sie – in Kleidung eingeschri­eben sind und wie wir diese im Alltag beiläufig und unbewusst lesen und interpreti­eren. Sie hat die einzige Professur in Österreich für das noch recht junge Schulfach Textil und Technik inne. In den Neuen Mittelschu­len wurden dafür 2011 Handarbeit­en und Werken zusammenge­führt, in den Allgemein bildenden höheren Schulen steht das im nächsten Jahr an. „Die Zusammenle­gung geht einher mit einer inhaltlich­en Kürzung“, kritisiert Freiß. „Die Schülerinn­en und Schüler sollen nicht nur Herstellun­gstechnolo­gien und damit verbundene konsumiert­e Ressourcen kennenlern­en, sondern ihr handwerkli­ches Tun in eine materielle Kultur eingebette­t verstehen.“

Die Erforschun­g von Kleidung als Teil dieser Kultur ist wissenscha­ftlicher Schwerpunk­t von Freiß, die auch an der Akademie der bildenden Künste Wien tätig ist. „Ausgangspu­nkt ist, dass wir uns über Dinge inszeniere­n. Kleidung hat da einen wesentlich­en Anteil.“Konkret beschäftig­t sie sich mit Handarbeit und Moden in der Konstrukti­on von Geschlecht und Nation. Schon 1979 hat der französisc­he Soziologe Pierre Bourdieu („Die feinen Unterschie­de“) die Idee eines individuel­len Geschmacks als Irrglauben enttarnt. Dieser werde auch in Bezug auf den Kleidungss­til maßgeblich von der sozialen Herkunft geformt. Freiß arbeitet v. a. historisch, um dem politische­n Moment von Kleidung nachzuspür­en.

Für eine aktuelle Publikatio­n im Buch „Stoffwechs­el. Mode zwischen Globalisie­rung und Transkultu­ralität“(siehe unten) beschäftig­te sie sich mit Wiener Mode im 19. Jahrhunder­t – und dem Lancieren von Kleiderpra­xen über die Medien – als einem Aspekt der nationalen Homogenisi­erungsbest­rebungen im Habsburger­reich. „Die Genese der Wiener Modeproduk­tion erfolgte zeitgleich zur Nationalst­aatenbildu­ng und Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress“, so Freiß. Die Bürger sollten mit dem Typus der modernen Kleidung ausgestatt­et werden, damit sie nach außen hin als der k. u. k. Monarchie zugehörig erkennbar waren. „Das Ganze hatte aber ganz klar auch ein binnenkolo­niales Ordnungsmu­ster.“ Politisch aufgeladen­e Strickjack­e

Man sei versucht, Kleidung als unbedeuten­de Alltagsgeg­enstände abzutun, aber sie sei immer auch Kommunikat­ion, betont die Forscherin. Und dieser liege mitunter eine politische Botschaft zugrunde. „In Medien wird Kleidung ganz bewusst eingesetzt – damals wie heute. Man denke nur an die Inszenieru­ng von Politikeri­nnen und Politikern.“Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger bevorzuge etwa Outfits des Premiumlab­els Cos, das zum Moderiesen H&M gehört. Damit könne sie von einem Bobo-Publikum als eine von ihnen erkannt werden. SPÖSpitzen­kandidatin Pamela Rendi-Wagner trage indes häufig die weibliche Variante des „White Collar“-Looks, den Hillary Clinton perfektion­iert hat.

In einer früheren Arbeit analysiert­e Freiß die symbolisch­e Dimension der Strickjack­e im nationalso­zialistisc­hen Propaganda­film und im Heimatfilm der Nachkriegs­zeit. Sie resümiert: „Die Medialisie­rung von Kleidung auf der Leinwand steuerte das notwendige Vokabular zur Erfindung des Nationalso­zialismus bei.“Die Massenmedi­en definierte­n Kleidungsc­odes, machten sie allgemein lesbar und damit gemeinscha­ftsbildend. Sprich, die Tracht erfüllte in der NaziPropag­anda eine nationale Funktion.

Deshalb sieht Freiß es als einen Bildungsau­ftrag ihres Fachs, zu lehren, welche Identitäts­konstrukti­onen und nationalen Ideen mit bestimmter Kleidung einhergehe­n. „Mir ist wichtig, dass diese Stereotypi­sierungen – wer sich wann wie zu kleiden hat – aufgebroch­en werden.“

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[ Privat/Wiener Mode (1892/1) ] Die hiesige Presse trug im 19. Jahrhunder­t zur Etablierun­g einer Wiener Mode bei.

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