Kleider machen Leute – und Nationen
Kulturwissenschaft. Wie wir uns kleiden, hat wenig mit individuellem Geschmack und viel mit Zugehörigkeit zu tun. Zunehmend rückt die Rolle der Nation in den Forschungsfokus.
Eine Frau mit Kopftuch und Dirndl – passt das? Schon längst heißt das Motto auf den Laufstegen der Modemetropolen „Everything goes“, alles ist möglich. Im Alltag angekommen ist das aber noch nicht. Als sie eine Hijabträgerin in einem Secondhand-Laden beobachtete, die sich vor einem Spiegel ein Dirndl vor den Körper hielt, fühlte sich Lisbeth Freiß bemüßigt, ihr mit einem Ratschlag zur Seite zu stehen. „Dazu gehört eine weiße Bluse“, erklärte die Fachdidaktikerin für Textiles Gestalten und Werkerziehung vom Mozarteum Salzburg der Frau. „Da lächelte mich diese nur freundlich an und meinte, das wisse sie. Sie trage gern und öfter Dirndl.“
Modernes Outfit für k. u. k. Bürger
Freiß erzählt die Anekdote, um deutlich zu machen, welche Codes und Ideen – das Wort Ideologie vermeidet sie – in Kleidung eingeschrieben sind und wie wir diese im Alltag beiläufig und unbewusst lesen und interpretieren. Sie hat die einzige Professur in Österreich für das noch recht junge Schulfach Textil und Technik inne. In den Neuen Mittelschulen wurden dafür 2011 Handarbeiten und Werken zusammengeführt, in den Allgemein bildenden höheren Schulen steht das im nächsten Jahr an. „Die Zusammenlegung geht einher mit einer inhaltlichen Kürzung“, kritisiert Freiß. „Die Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur Herstellungstechnologien und damit verbundene konsumierte Ressourcen kennenlernen, sondern ihr handwerkliches Tun in eine materielle Kultur eingebettet verstehen.“
Die Erforschung von Kleidung als Teil dieser Kultur ist wissenschaftlicher Schwerpunkt von Freiß, die auch an der Akademie der bildenden Künste Wien tätig ist. „Ausgangspunkt ist, dass wir uns über Dinge inszenieren. Kleidung hat da einen wesentlichen Anteil.“Konkret beschäftigt sie sich mit Handarbeit und Moden in der Konstruktion von Geschlecht und Nation. Schon 1979 hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu („Die feinen Unterschiede“) die Idee eines individuellen Geschmacks als Irrglauben enttarnt. Dieser werde auch in Bezug auf den Kleidungsstil maßgeblich von der sozialen Herkunft geformt. Freiß arbeitet v. a. historisch, um dem politischen Moment von Kleidung nachzuspüren.
Für eine aktuelle Publikation im Buch „Stoffwechsel. Mode zwischen Globalisierung und Transkulturalität“(siehe unten) beschäftigte sie sich mit Wiener Mode im 19. Jahrhundert – und dem Lancieren von Kleiderpraxen über die Medien – als einem Aspekt der nationalen Homogenisierungsbestrebungen im Habsburgerreich. „Die Genese der Wiener Modeproduktion erfolgte zeitgleich zur Nationalstaatenbildung und Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress“, so Freiß. Die Bürger sollten mit dem Typus der modernen Kleidung ausgestattet werden, damit sie nach außen hin als der k. u. k. Monarchie zugehörig erkennbar waren. „Das Ganze hatte aber ganz klar auch ein binnenkoloniales Ordnungsmuster.“ Politisch aufgeladene Strickjacke
Man sei versucht, Kleidung als unbedeutende Alltagsgegenstände abzutun, aber sie sei immer auch Kommunikation, betont die Forscherin. Und dieser liege mitunter eine politische Botschaft zugrunde. „In Medien wird Kleidung ganz bewusst eingesetzt – damals wie heute. Man denke nur an die Inszenierung von Politikerinnen und Politikern.“Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger bevorzuge etwa Outfits des Premiumlabels Cos, das zum Moderiesen H&M gehört. Damit könne sie von einem Bobo-Publikum als eine von ihnen erkannt werden. SPÖSpitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner trage indes häufig die weibliche Variante des „White Collar“-Looks, den Hillary Clinton perfektioniert hat.
In einer früheren Arbeit analysierte Freiß die symbolische Dimension der Strickjacke im nationalsozialistischen Propagandafilm und im Heimatfilm der Nachkriegszeit. Sie resümiert: „Die Medialisierung von Kleidung auf der Leinwand steuerte das notwendige Vokabular zur Erfindung des Nationalsozialismus bei.“Die Massenmedien definierten Kleidungscodes, machten sie allgemein lesbar und damit gemeinschaftsbildend. Sprich, die Tracht erfüllte in der NaziPropaganda eine nationale Funktion.
Deshalb sieht Freiß es als einen Bildungsauftrag ihres Fachs, zu lehren, welche Identitätskonstruktionen und nationalen Ideen mit bestimmter Kleidung einhergehen. „Mir ist wichtig, dass diese Stereotypisierungen – wer sich wann wie zu kleiden hat – aufgebrochen werden.“