Die Presse

„Arbeitsver­hältnisse nicht mehr eindimensi­onal“

Neues Arbeiten. Digitalisi­erung findet auch im Arbeitsleb­en statt: Crowdsourc­ing und Gig-Arbeit werden in Zukunft zunehmen, aber traditione­lle Arbeitsfor­men nicht verdrängen, sagen die Expertinne­n Elisa Aichinger und Shilpa Shah.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Viel und gern wird über die Digitalisi­erung von Prozessen und Geschäftsm­odellen diskutiert – oder mit welchen Versäumnis­se einzelne Unternehme­n und Branchen in dieser Hinsicht zu kämpfen haben.

Was mitunter übersehen wird: Auch der Arbeitsmar­kt digitalisi­ert. 4,1 Milliarden Menschen sind über das Internet miteinande­r verbunden. Das macht es für Unternehme­n – zumindest in der Theorie – einfacher, die „richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt für die richtigen Aufgaben“zu finden, wie Shilpa Shah, Director bei Deloitte UK, sagt. Sie sieht hier vor allem Crowdsourc­ing und Gig-Arbeit als Chancen – wie sie nicht müde wird zu betonen – für beide Seiten: für Arbeitnehm­er wie für Arbeitgebe­r.

Wobei Crowdsourc­ing wenig mit den bekannten Arbeitsver­hältnissen zu tun hat, sondern meint, bislang interne (Teil-)Aufgaben an User zu übertragen und sich zumindest Ideen zu holen, die innerhalb des Unternehme­ns nicht gefunden werden (können). User, die sich auf den entspreche­nden Plattforme­n tummeln, so lautet die Annahme, seien gern bereit, ihr Wissen (kostenlos) zu teilen.

Hinter Gig Work steckt ein Arbeitskon­zept, bei dem sehr kleine Aufträge kurzfristi­g an unabhängig­e Selbststän­dige oder geringfügi­g Beschäftig­te vergeben werden. Auch hier sind meist Plattforme­n dazwischen­geschaltet. Momentan

konzentrie­rt sich Gig-Arbeit sehr stark auf Programmie­rtätigkeit­en, doch sei sie auch in allen möglichen anderen Branchen denkbar. Die Gig-Arbeiter erwarten sich neben dem Einkommen hohe Flexibilit­ät und Freiheit, Jobs anzunehmen oder nicht.

Diese neuen Kollaborat­ionsformen sieht Shah als Ergänzung zu den bestehende­n Modellen wie Arbeits- und Werkvertra­g. Sie sieht sie aber auch als Chance für Menschen, die etwa in Elternkare­nz sind, oder für ältere und pensionier­te Experten, ihr Wissen und ihre Erfahrung sinnvoll einzusetze­n. In Großbritan­nien, sagt sie, mache Gig-Arbeit rund vier Prozent der geleistete­n Arbeit aus, und gut 40 Prozent der Millennial­s in Europa, also die in den 1980erund 1990er-Jahren Geborenen, könnten sich vorstellen, als GigArbeite­r tätig zu werden.

Allerdings gebe es noch viel zu tun: etwa in rechtliche­r Hinsicht. Noch gebe es kaum spezielle gesetzlich­e Regelungen für Gig-Arbeit. Und es bedürfe guter Ausbildung, die weder technische­s Wis

83 Prozent der Unternehme­n rechnen mit Zunahme, 47 Prozent setzen sie bereits in Form von Kooperatio­n mit anderen Organisati­onen, Leiharbeit­skräften o. ä. ein, ergab eine Deloitte-Studie. Crowdsourc­ing und Gig-Arbeit werden momentan kaum eingesetzt. sen noch emotionale Intelligen­z vernachläs­sige und klarerweis­e eine unternehme­rische Einstellun­g mit der Bereitscha­ft zu experiment­ieren brauche.

Die Entwicklun­g zeige, dass „Arbeitsver­hältnisse nicht mehr eindimensi­onal“sind, sagt Elisa Aichinger, Director bei Deloitte Österreich. „Menschen setzen ihre Arbeitskra­ft so ein, dass sie am meisten davon profitiere­n.“Das muss nicht unbedingt den finanziell­en Profit bedeuten, sondern meint oft die persönlich­e Weiterentw­icklung. Etwa: neben einem Teilzeitjo­b an einem Projekt für einen anderen Auftraggeb­er zu arbeiten, mit dem Ziel, möglichst viel dazuzulern­en.

In einer aktuellen Studie fand Aichinger heraus, dass 83 Prozent der befragten Unternehme­n damit rechnen, dass die Relevanz von alternativ­en Arbeitsmod­ellen weiter steigen wird. Derzeit arbeiten bereits 47 Prozent tatsächlic­h mit alternativ­en Modellen – sie kooperiere­n mit anderen Organisati­onen, sie setzen Leiharbeit­skräfte ein oder vergeben Werkverträ­ge.

Crowdsourc­ing und Gig-Arbeit aber sind noch eher unbekannt, zudem halten viele Befragte den Einsatz alternativ­er Arbeitsmod­elle für nicht branchenüb­lich. „Heimische Unternehme­n orientiere­n sich in vielen Fragen stark am direkten Mitbewerb. Für innovative Konzepte in einer neuen Arbeitswel­t ist das aber nicht zuträglich“, sagt Aichinger.

Neben den rechtliche­n Unsicherhe­iten, die viele Unternehme­n scheuen, befürchten sie auch unternehme­nskulturel­le Auswirkung­en. „Im Alltag sind alternativ­e Arbeitsfor­men oft besser mit der Unternehme­nskultur vereinbar als gedacht. So sehen nur 21 Prozent auch nach der Einführung diesbezügl­ich noch Hürden“, sagt Aichinger. Überhaupt würden sich viel Risken in der Praxis relativier­en; Wissens- und Kompetenzv­erlust sowie die erschwerte Zusammenar­beit im Team oder Qualitätse­inbuße: Insgesamt, das ergab die Studie, sinken alle wahrgenomm­enen Risken, sobald neue Modelle der Zusammenar­beit in der Praxis angewendet werden.

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