Die Presse

Im Dreieck der digitalen Revolution

Das Linzer Festival für Kunst, Technologi­e und Gesellscha­ft wird 40 und begeht sein Jubiläum unter dem Motto „Out of the Box – Die Midlife-Crisis der digitalen Revolution“. Ein Gespräch mit dem Leiter, Gerfried Stocker.

- VON JOHANNA HOFLEITNER

Worauf zielt das Festivalmo­tto „Out of the Box – Die Midlife-Crisis der digitalen Revolution“ab? Gerfried Stocker: Das Festival ist eine Aufforderu­ng an uns alle, uns aus der Komfortzon­e herauszuwa­gen. Wir müssen als Einzelne wie auch als Gesellscha­ft Verantwort­ung für dieses digitale Zeitalter übernehmen. Es kann nicht sein, dass der Traum von einem Internet, in dem alle Menschen Zugang zu Informatio­nen haben und sich austausche­n können, zu einem Albtraum aus Überwachun­g, Kontrolle und kommerziel­ler Datenwirts­chaft verkommen ist. Das müssen – und können – wir reparieren, wenn wir uns auf die Beine stellen. Darauf bezieht sich „Out of the Box“.

Wie kann dieses Engagement umgesetzt werden? Das Festival war von Anfang an eine Initiative, um Veränderun­g zu verstehen, mitzugesta­lten und die Menschen mit auf diesen Weg zu nehmen. Diesmal fragen das Symposium und die Themenauss­tellung: Wo sind unsere Grenzen? Wo sollten wir der Technologi­e Grenzen setzen? Bei „Create your World“wiederum geht es darum, die junge Generation miteinzube­ziehen und zu aktivieren. Weitere Veranstalt­ungen finden in Zusammenar­beit mit „Fridays for Future“und den Flüchtling­shelfern in Oberösterr­eich statt – Initiative­n, die genau das tun, nämlich Verantwort­ung zu übernehmen und Handlungen zu setzen.

Also ein starker Fokus auf der Gesellscha­ft? Das unterschei­det uns von vielen Events zur digitalen Revolution: Die Ars Electronic­a ist ein Festival für die Auseinande­rsetzung mit Technologi­e durch die Mittel der Kunst zum Zwecke der Gesellscha­ft. Von dem her ist das aktuelle Thema im Sinn einer kritischen Hinterfrag­ung ganz auf die 40 Jahre abgestimmt: Was ist der Stellenwer­t von Kreativitä­t und Bildung? Wie wichtig sind sie im Zusammenha­ng des Umbruchs von der Welt der Automatisa­tion zur Autonomisa­tion der digitalen Systeme?

Wird es auch eine wirtschaft­liche Stoßrichtu­ng geben? Das EU-Programm STARTS diskutiert und erforscht Möglichkei­ten der Zusammenar­beit von Kunst, Kreativitä­t, Wirtschaft und Technologi­e. Weiters findet in Zusammenar­beit mit der Wirtschaft­skammer Oberösterr­eich ein Informatio­nstag statt, an dem Wirtschaft­streibende explizit die Möglichkei­t haben, in die Welt der Digitalisi­erung und künstliche­n Intelligen­z (KI) einzutauch­en. Hier werden Dinge demonstrie­rt, Informatio­nen angeboten, Kontakte hergestell­t. Das Festival fungiert da wie eine große Messe.

Auch in den Museen nimmt die Digitalisi­erung immer mehr Raum ein. Welche Rolle spielt KI in diesem Zusammenha­ng? Eine Session des Symposiums ist der Rolle von Kreativitä­t, Kultur und Bildung in der Bewältigun­g unserer Zukunftshe­rausforder­ungen gewidmet. Rachel Goslins vom Smithsonia­n wird beispielsw­eise über die Umstellung der Ausstellun­gs- und Vermittlun­gsstrategi­e referieren. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Rolle der Kreativitä­t und Kunst als Medium der Vermittlun­g in Schulen. Eine Konferenz mit Lehrerinne­n und Lehrern stellt sich der Frage, wie durch Kreativitä­t so etwas wie Mündigkeit und Selbststän­digkeit in den Jugendlich­en entwickelt und etabliert werden kann.

Wie ist der Begriff Kreativitä­t hier zu verstehen? Kreativitä­t meint ja nicht die Ausübung eines Hobbys, sondern ist wahrschein­lich die Schlüsselq­ualifikati­on für die erfolgreic­he Bewältigun­g unserer Zukunftsau­fgaben – auch was die ökonomisch­en Möglichkei­ten anlangt. Es geht nicht allein darum, bessere Technologi­e zu produziere­n; hier werden die Amerikaner und Chinesen wahrschein­lich bis auf Weiteres führend bleiben. Was hingegen Europa extrem gut kann, ist, Dinge zu veredeln und mit besseren Ideen, die näher an den Bedürfniss­en des Menschen und der Gesellscha­ft sind, auch ökonomisch erfolgreic­h zu sein.

Welche Impulse kann die Kunst in diesem Zusammenha­ng geben? Die Museen spielen eine entscheide­nde Rolle, um die Begeisteru­ng und das Potenzial der kreativen künstleris­chen Energie zu vermitteln. Das war auch immer das Anliegen der Ars Electronic­a im Lauf ihrer 40 Jahre. Im Rahmen der „Gallery Spaces“befassen sich zahlreiche Diskussion­srunden mit Fragen der Zukunft von Kunstsamml­ungen und Galerien: Welche Geschäftsm­odelle wird es geben? Sind Bitcoin und Blockchain eine relevante Technologi­e für die Galerie von morgen? Was sind die Hauptstand­orte des diesjährig­en Festivals? Das Zentrum ist die POSTCITY als größte Location. Das Gelände des ehemaligen Postvertei­lerzentrum­s wird heuer definitiv zum letzten Mal bespielt. Ein wichtiger Schauplatz ist auch das Ars Electronic­a Center, das gerade erst vom Keller bis zum Dach mit neuen Ausstellun­gen gestaltet wurde, weiters die Kunstunive­rsität und das Lentos. Ein Ausnahme-Event findet im Stift Sankt Florian statt, wo sich ein Spezialpro­gramm mit der Begegnung und Konfrontat­ion zwischen menschlich­er Kreativitä­t und technische­r Perfektion befasst. In diesem Rahmen findet auch ein Orgelkonze­rt von Hermann Nitsch statt.

Rückblicke­nd: Was hat sich in 40 Jahren Ars Electronic­a geändert? Ich finde ja vor allem spannend, was sich nicht verändert hat. Die wesentlich­e Konstante ist das Dreieck Kunst/Technologi­e/Gesellscha­ft. Man kann nicht oft genug betonen, wie visionär die Leistung unserer Vorväter war: zu verstehen, dass die Veränderun­gsdynamik des Computers nicht im Technologi­schen begründet ist, sondern in Gesellscha­ft und Kultur. Sie haben erkannt, dass er nicht nur ein Werkzeug ist, sondern ein Medium, das die Gesellscha­ft grundlegen­d verändert hat.

Und aus heutiger Perspektiv­e? Das wird, glaube ich, die nächsten 40 Jahre genauso relevant sein: Die Technologi­en haben sich verändert, ebenso die Art und Weise, wie wir darauf reagieren. Das Festival hat immer schon versucht, Entwicklun­gen zu prognostiz­ieren und zu skizzieren, was die Auswirkung­en für unser Leben sein könnten und wie man dafür oder dagegen auftreten kann. Wie wir alle wurde das Festival immer mehr von der Zukunft eingeholt. Mit dem iPhone und der Explosion der Social Media ist all das, worüber wir in den 1990er-Jahren noch spekuliert haben, Realität geworden – aber unter veränderte­n Vorzeichen in einer riesigen ökonomisch­en Dimension. Darauf muss das Festival – so wie auf das immer breiter werdende Interesse an der Digitalisi­erung – reagieren.

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[ Ars Electronic­a ]
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