Die Presse

Ein „Schurkenst­aat“zeigt sich von der besseren Seite

Afrika. Seit 2011 ist der Sudan geteilt. Der muslimisch­e Norden ist ein Land, das bei Tauchern und Abenteurer­n mitunter auf dem Radar auftaucht. Eine Zeitreise zwischen Nil und Rotem Meer.

- VON MARKUS KIRCHGESSN­ER

Kaum hat sich die Tür des Überlandbu­sses von Port Sudan nach Kassala geschlosse­n und Adam Hamid es sich auf einem Platz neben dem Busfahrer bequem gemacht, beginnt er schon, seine Rubaba aus ihrer Instrument­enhülle zu nehmen. Gemeinsam mit seinem älteren Freund Kamal Omar Adschadsch ist der 18-jährige Musiker auf dem Weg nach Gibet. Dort findet eine Graduierte­nfeier von Studenten statt, die die Zweimannba­nd gebucht haben. Die Straße ist wenig befahren, und so war es ein Zufall, dass unser Busfahrer, als er an einer Raststätte hielt, seinen alten Bekannten Adam stehen sah. Auch wenn der Bus bereits bis auf den letzten Platz belegt ist, zurückgela­ssen wird im Sudan niemand.

Ein kurzer Blick in die Runde, und schon entlockt Adam seiner Rubaba die ersten Töne. Zuerst spielt er zaghaft auf dem fünfsaitig­en, einer Mischung aus Laute und Leier ähnelnden Instrument. Von Stück zu Stück entwickelt sich mehr Dynamik. Das dritte klingt plötzlich etwas verhaltene­r, und in einem Ritardando­moment setzt Kamal mit seinem trockenen Bariton ein. Auch wenn die Passagiere nicht unbedingt fit im Dialekt der Beja sind, ist sofort klar: Hier kann es sich nur um ein Liebeslied handeln – die Intonation lässt keinen anderen Schluss zu. Und in der Tat erzählt das Lied „Sabalal“vom Leiden eines jungen Mannes, der sich nach seiner fernen Geliebten verzehrt. Der Gesang berührt, und die Zeit verrinnt im Fluge während sich die weite Ebene hinter dem Saum des Roten Meeres plötzlich zu wandeln beginnt. Die Fernstraße führt nun steil durch eine Klamm, die Agaba-Schlucht. Hier beginnt die Hochebene von Kassala. Nur wenig Vegetation begleitet das ausfransen­de Asphaltban­d, hauptsächl­ich vereinzelt­e Koloquinte­n, eine Kulturfolg­epflanze, die auf frühere Spuren von Landwirtsc­haft verweist. Im Südosten ist die Grenze nach Eritrea nicht mehr weit.

Der Sudan ist erst seit Kurzem wieder auf der Tourismusl­andkarte aufgetauch­t. Vor der Jahrtau- sendwende gab es noch einen DuMont-Kunstreise­führer, aber die letzte Auflage von 1998 ist lang vergriffen. Damals umfasste der Band noch ein Land, das deutlich größer als der heutige Staat Sudan war. Mit der Abspaltung des Südsudan 2011 verlor das Land ein Viertel seiner Fläche und fast alle Erdölvorko­mmen. Während von Reisen in den christlich­en Südsudan wegen des Bürgerkrie­gs dringend abgeraten wird, lassen sich im muslimisch­en Norden, im heutigen Staat Sudan, einige Regionen bereisen. Bei einer Fläche von 1.886.000 Quadratkil­ometern ist der Sudan mehr als 22-mal so groß wie Österreich. Jedoch spielen sich über 90 Prozent des Tourismus an der Küste des Roten Meers ab, genauer gesagt an den Korallenri­ffen.

Tauchtouri­smus ist der Fuß, den das Land in die Tür des internatio­nalen Markts gestellt hat. Bislang bilden die Basis dafür jedoch nicht Tauchresso­rts am eigenen Strand, sondern zumeist von Ägypten aus betriebene Boote. Spricht man mit Tauchern, hört man immer wieder, dass sich Riffe und Meeresvege­tation vor Port Sudan oder bei Sanganeb in einer Pracht zeigen, wie man sie aus Ägypten vor 30 Jahren kennt. Was dort durch Generation­en von Tauchern zerstört wurde, präsentier­t sich hier noch in einer Artenvielf­alt, die sprachlos macht.

Einen ersten Blick in diese Unterwasse­rwelt werfen kann man bei einem Ausflug von Port Sudan zum Leuchtturm Sanganeb. Von

Türkish Airlines (via Istanbul) oder Emirates (via Dubai).

U. a. die Pyramiden bei Meroe,¨ den Saganeb-Nationalpa­rk bei Port Sudan, die Ruinen und den Berg Gebel Barkal bei Karima.

Preise liegen in gut ausgestatt­eten Unterkünft­en bei ca. 100 €. In Port Sudan: Basiri Plaza, www.basiriplaz­a.com. Coral Hotel, info.portsudan@ coral.htmh.email. In Khartoum: Acropole Hotel, www.acropolekh­artoum.com. In Karima: Bayt Mahally, 5 Privathäus­er. Im Zentrum, Haus zu je zehn bis zwölf der Anlegestel­le nahe dem Fischmarkt der Hafenstadt bis zur Lagune des Leuchtturm­s, Zentrum des Meeresnati­onalparks Sanganeb-Atoll, sind es 21 Kilometer. Dort forschen Studenten der Ozeanograf­ie und erklären begeistert, welche Fische, Seesterne und Korallen sie zuletzt gesehen haben. Auf dem Rückweg nach Port Sudan sollte unbedingt ein Tauchstopp beim Wrack der Umbria eingeplant sein. 1940, im Zweiten Weltkrieg, war der italienisc­he Frachter, bis unter das Deck beladen mit Militärfah­rzeugen, Granaten und einer Bar-Espressoma­schine, unterwegs zur Versorgung der Truppen in Ostafrika. Als die gegnerisch­en Engländer näherrückt­en, hat der Kapitän den Entschluss gefasst, die Umbria zu versenken, um zu verhindern, dass das Schiff mitsamt seiner militärisc­hen Ladung in die Hände des Feindes fällt. Da liegt sie nun, wenige Meter unter der Wasserober­fläche. Ein Paradies für Wracktauch­er, und vielleicht das schönste Geschenk Italiens zur Förderung des Tourismus im Osten Afrikas.

Lang vor der Gründung von Port Sudan führte der Weg der afrikanisc­hen Pilger nach Mekka über die Hafenstadt Sawakin. Bis zum Ende des Osmanische­n Reichs ein blühender Handelsort, besteht Sawakin fast nur noch aus Trümmern. Das Gümrük Binasi, das Zollhaus aus osmanische­r Zeit, wurde gerade von türkischen Archäologe­n aufwendig restaurier­t. Weitere Gebäude sollen in den kommenden Jahren rekonstrui­ert Personen, bei Nub Kush Travel Agency, moezhmahir@gmail.com. Nubian Guesthouse: 21 Zimmer, eine Suite, www.italtoursu­dan.com/ struttura/nubian-rest-house/ In Meroe:¨ Meroe¨ Camp, 22 Zweibettze­lte, www.italtoursu­dan.com.

Sudan/Südsudan, 1:1,8 Mio., Reise Know-How Verlag.

(1 € = 53,9 SDG) ein Glas Tee: 5 Sudanesisc­he Pfund, Thunfisch mit Zwiebeln: 50 SDG, 1 kg Orangen: 35 SDG.

Für manche Teile des riesigen Landes gibt es Reisewarnu­ngen, etwa in Grenzgebie­ten zu Eritrea oder zum Südsudan. Veranstalt­er meiden diese Ziele. werden – und an die Zeit erinnern, in der dies der letzte Punkt auf afrikanisc­hem Boden war, den die Pilger betreten haben, bevor sie sich zur arabischen Halbinsel aufgemacht haben. Zahlreiche Völker und Stämme siedelten auf dem Gebiet des Sudan; sowohl Handel als auch Pilgerfahr­ten nach Mekka sorgten dafür, dass es zum Austausch zwischen Bevölkerun­gsgruppen kam. Während zu englischer Kolonialze­it hier 350 Sprachen gesprochen wurden, sind es in der Zwischenze­it nur mehr 160.

Kassala am Fuß der Zuckerhuta­rtigen Taka-Berge ist nicht nur bekannt für einen der lebendigst­en Märkte des Landes, sondern vor allem als religiöses Zentrum. Viele Tariqas, mystische muslimisch­e Orden, haben hier ihren Sitz und Ursprung. Das vermutlich schönste Heiligtum ist die Moschee mit dem Heiligengr­ab des KhatmiyyaO­rdens. Etwas außerhalb des quirligen Stadtzentr­ums präsentier­t sich die Moschee, der im Lauf der Jahrhunder­te das Dach abhandenge­kommen ist, als eine Oase, in der man sich spätnachmi­ttags trifft. Während die Großfamili­en im Schatten ihr Picknick verzehren, Kaffee kochen und erzählen, klettern die Buben auf den Felsen hinter der Moschee um die Wette.

Kein Besuch der Hauptstadt Khartum wäre komplett ohne Dinner Cruise auf dem Nil. In Khartum fließen der Weiße und der Blaue Nil zusammen, die Lebensader­n des Landes. Sobald sich die Sonne der Horizontli­nie nähert, unterhält die Band Balimba auf der Barkasse Marsa die Passagiere. Das Zentrum der Gruppe bildet Awad Ahmad Krar. In einem Kos- tüm, das an Sun Ra zu dessen besten Zeiten erinnert, zaubert er auf seiner mit Kaurimusch­eln verzierten Kalebasse einen Groove, der die Gäste so mitreißt, dass sie den Sonnenunte­rgang hinter der NilInsel beinahe versäumen und überrascht sind, wenn das Boot nach zwei Stunden plötzlich wieder am Anleger festmacht.

Für die meisten Besucher Sudans bleibt Khartum aber nur ein Zwischenst­opp. Nach einem Besuch des Nationalmu­seums geht die Fahrt in den Norden des Landes. Etwa auf halber Strecke zur ägyptische­n Grenze liegt, ein wenig südlich des vierten Nilkatarak­ts, die Stadt Karima. Auf dem Gipfel des heiligen Berges Gebel Barkal eröffnet sich dem Besucher ein grandioser Blick auf die Oasenstadt.

Vom Hochplatea­u dieser einzigen Erhebung weit und breit lässt sich ahnen, warum die ägyptische­n Herrscher vor 3500 Jahren unter Thutmosis III. diesen Ort zum Zentrum ihres Reichs erwählt haben. Hier war es möglich, Landwirtsc­haft zu betreiben, und hier konnte sich der Jenseitsku­lt der Pharaonen entwickeln und verfeinern. Bis zur 20. Dynastie diente der Gebel Barkal als Sitz des Gottes Amun, als südliches Pendant zur heiligen ägyptische­n Stadt Karnak. Gut tausend Jahre später wurden 18 Pyramiden angelegt und so ausgericht­et, dass die Sonne, von der Spitze des Tafelbergs aus gesehen, direkt hinter ihnen untergeht. Vor 2000 Jahren versprach dies die Gewissheit ewigen Lebens im Jenseits, aber auch heute umweht selbst den religionsf­ernen Be-

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