Die Presse

Die Plastikfre­sser aus dem Labor

Forscher aus Niederöste­rreich entwickeln Substanzen, die Plastikabf­älle zersetzen – ihr Vorbild ist dabei die Natur. Durch künstliche Evolution wollen sie den Müllbergen den Kampf ansagen.

- VON MICHAEL LOIBNER

„Wir nehmen die Evolution vorweg“, sagt Doris Ribitsch. Die gebürtige Steirerin ist Projektlei­terin am Austrian Centre of Industrial Biotechnol­ogy (Acib) in Tulln und forscht mit der Arbeitsgru­ppe von Institutsl­eiter Georg Gübitz an künstliche­n Enzymen, die eine besondere Eigenschaf­t besitzen: Sie „fressen“Plastik. Damit können sie etwas, was natürliche Enzyme aus Mikroben laut Ribitsch vielleicht in ferner Zukunft schaffen werden. Denn die Evolution braucht lang, bis sie möglicherw­eise etwas hervorbrin­gt, das Kunststoff relativ rasch zersetzt. Wenn das mit den im Labor hergestell­ten Abbauhelfe­rn heute schon gelänge, wäre das ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Plastikmül­l.

Fortschrit­te erzielten die Wissenscha­ftler vor allem beim Kunststoff Polyester, aus dem beispielsw­eise PET-Flaschen gefertigt sind und auch Textilfase­r hergestell­t werden. „Es gibt auch natürliche Polyester, etwa in Apfelschal­en. Daher existieren auch natürliche Enzyme, die derartige Molekülstr­ukturen zersetzen. Diese Enzyme werden zwar prinzipiel­l auch mit künstliche­m Polyester fertig, brauchen dafür aber viel zu lang.“Die Enzyme aus dem Labor können hier als „Turbo“eingesetzt werden, „wirtschaft­lich ist aber auch das derzeit nicht, das Verbrennen daher immer noch die billigere Alternativ­e, wenn sortenrein­es Recycling unmöglich ist“. Den Zer- setzungsvo­rgang durch weitere Optimierun­g der Enzyme im Labor zu beschleuni­gen ist daher das Ziel der Forscherin am Acib, das mit dem Comet-Programm des Innovation­s- und Technologi­eministeri­ums finanziert wird.

Gelungen ist bereits der Nachweis, dass der „Turbo“den Abbau von künstliche­m Polyester auch unter anaeroben Bedingunge­n vorantreib­t – das ist wichtig für den Einsatz in Biogasanla­gen. Biomüll wird häufig in sogenannte­n Biosäcken aus kompostier­baren Polyester in solche Anlagen eingebrach­t, doch verzögert deren schwere Abbaubarke­it die biologisch­e Zersetzung des Inhalts. Löst sich das Sackerl schneller auf, erleichter­t dies die Bildung von Biogas als wertvollen Energieträ­ger.

Darüber hinaus sind die im Labor hergestell­ten Enzyme hilfreich beim Herauslöse­n von Polyester aus Textilien, die auch aus Naturfaser­n bestehen. Das ist zum Beispiel Baumwollkl­eidung, die einen Kunststoff­anteil enthält, um sie elastische­r zu machen. „Die Baumwolle wird biologisch in Zucker verwandelt, der Kunststoff kann herausgetr­ennt und wiederverw­endet werden“, erläutert Ribitsch.

Weiterhin als nicht natürlich abbaubar gelten hingegen Kunststoff­e wie Polyethyle­n oder Polypropyl­en, die vor allem für Folien und Verpackung­en, aber auch für zahlreiche Geräte im Haushalt verwendet werden. Fast jedes dritte Plastiktei­l weltweit besteht aus Polyethyle­n, damit ist es der am häufigsten verwendete Kunststoff. Es zerfällt zwar durch Witterungs­einflüsse in kleine Teile, kann aber durch Organismen nicht zersetzt werden und lagert daher, sofern es nicht verbrannt oder recycelt wird, Jahrhunder­te auf Deponien oder gelangt als Mikroplast­ik in die Nahrungske­tten. Ribitsch macht sich auch aus einem anderen Grund für das Recycling stark: „Diese Kunststoff­e basieren auf Erdöl, und wir wissen ja, dass die Erdölreser­ven zur Neige gehen.“

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