„Die linken und liberalen Kräfte haben versagt“
Interview. Johannes Voggenhuber baut nach wie vor an einer Plattform gegen rechts und will mit seiner Kandidatur für die Liste Jetzt vor allem frustrierte Nichtwähler ansprechen.
Die Presse: Sie haben relativ gut in Ihrer Politikerpension gelebt, haben einen eigenen Weingarten betreut: Was treibt Sie nun von den Weinbergen zurück in die Niederungen der Politik? Johannes Voggenhuber: Ich habe nur einen winzigen Weinberg gemeinsam mit einem Freund. Der erbringt gerade einmal ein 300-Liter-Fass für uns beide. Ich habe auch eine Gastprofessur und ein Buch geschrieben. Aber Sie haben schon recht, ich hatte eigentlich nicht vor, das zu ändern. Die politischen Veränderungen in Österreich und in Europa – die Wiederauferstehung des Nationalismus, des autoritären Denkens, der extremen Rechten mit einer Verachtung des Rechtsstaats – haben mich an meinem politischen Lebensnerv getroffen. Ich kann mich da nicht in die schweigende Isolation zurückziehen. Ich will meinen Beitrag für einen Widerstand leisten.
Nicht nur Sie und die Liste Jetzt thematisieren den Nationalismus. Das tun die Grünen, die Sozialdemokraten, die Neos und auch Othmar Karas ebenso. Was ist da noch unique an dieser Position? Am Anfang des Aufstiegs der extremen Rechten in Europa stand die Schwäche der demokratischen Opposition – das Versagen der linken und liberalen Kräfte. Wer war in Polen vor der Partei von Kaczyn´ski an der Macht, wer in Ungarn vor Orban,´ wer in Italien?
Da greifen Sie vor allem Sozialdemokraten an. Besonders Sozialdemokraten, aber auch Grüne zum Beispiel. Sie haben mit Lifestyle und Heimatgetue versucht, Wahlen zu gewinnen, nicht mit Widerstand gegen rechts. Viele Mandate gehen von diesen Parteien weg. Und wohin gehen sie? Die gehen zu den Nichtwählern – weil ihre liberalen, sozialdemokratischen und grünen Ideen von den zugehörigen Parteien nicht wirksam genug vertreten werden. Die Nichtwählerschaft hat bei Europawahlen schon eine Größenordnung von 55 Prozent. Das bedeutet die Schwächung des fortschrittlichsten, demokratischsten Orts der Europäischen Union: des Europaparlaments. Da lachen sich die Staats- und Regierungschefs ins Fäustchen.
Es gab auch in Österreich Versuche, eine gemeinsame Plattform bei der Europawahl mit diesen Zielen zu gründen. Warum ist die nicht zustande gekommen? Sie kommt ja hoffentlich zustande. Ich habe die Grünen im vergangenen Sommer eingeladen – mit vielen Verhandlungsrunden im November und Dezember.
Der grüne Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi behauptet, das war umgekehrt: GrünenChef Kogler habe Sie eingeladen. Ich habe Werner Kogler eingeladen. Willi wollte eine Fusion, keine Kooperation – und die nicht einmal jetzt bei der Europawahl. Ich habe hingegen zu einer Kooperation, nicht zu einer Fusion eingeladen. Im Sommer hat ein ehemaliger Mitarbeiter diese Einladung an Kogler überbracht.
Kooperation bedeutet eine gemeinsame Wahlplattform? Es wäre an der Zeit, eine parteiübergreifende Allianz zu gründen. Sie sollte aus profilierten Persönlichkeiten unterschiedlicher Lager bestehen. Dazu passt nicht, eine neue Parteienverbindung zu schaffen. Aber diese Einladung für eine Allianz gegen rechts und für Europa steht nach wie vor.
Sehen Sie auch ÖVP-Spitzenkan- didat Othmar Karas als möglichen Partner? Mich verbinden mit Karas viele Jahre des gegenseitigen Respekts. Ich habe immer seinen Versuch respektiert, als Dissident die eigene Partei dazu zu bewegen, sein europapolitisches Programm anzunehmen. Das ist ja auch immer wieder gelungen. Ich hätte ihn gern auch für die Plattform gewonnen. Aber das, was er jetzt tut, kann er nicht verantworten, weil die ÖVP diesmal nicht sein Programm übernimmt. Er geht mit seinem eigenen Programm in diese Wahl, und Bundeskanzler Kurz denkt nicht daran, das zum Programm der ÖVP zu machen. Kurz macht sich die Europapolitik selbst – mit Achsen zu nationalistischen Regierungen. Seine simple Devise zu Europa ist: Weniger ist mehr. In Wahrheit haben wir heute eine mangelhafte EU-Kompetenz in zentralen Fragen – etwa im Sozialbereich oder im Bereich der Demokratie. Die Macht der nationalen Regierungen ist mittlerweile dreist, die Macht der nationalen Bürokratien ebenso. Und diese vertritt Kurz. Das ist das Gegenteil von dem, was Karas will.
Die soziale Frage auf EU-Ebene zu heben haben nicht einmal die Sozialdemokraten in ihrer besten Zeit zuwege gebracht. Woher kommt denn die Wut der Wutbürger? Wesentlich aus einem solchen Versagen. Die Sozialdemokraten traten immer wieder für das soziale Europa an und kamen mit leeren Händen zurück. Das Soziale ist ja kein Parfum, das man in eine Versammlung sprüht, da geht es um härteste verteilungspolitische Konflikte. Ein Gemeinwesen wie die Europäische Union kann ohne Solidarität nicht existieren. Deshalb ist auch ein Finanzausgleich so notwendig. Das Geheul dagegen wurde aber von den Sozialdemokraten genauso angestimmt wie von den Konservativen und Rechten. Dasselbe gilt für gemeinsame soziale Standards.
Sie wollen also die frustrierten Nichtwähler ansprechen? Ja, ich will, dass die demokratische Opposition nicht weiter an die Nichtwähler verliert. Ich glaube, dass dann eine demokratische Allianz auf europäischer Ebene mit liberalen, linken und antinationalistischen Kräften möglich ist.
Ihr Wahlziel? Das ist ja nur der Anfang. Wir haben eine Einladung ausgesprochen. Es kommt nun darauf an, ob es gelingt, die verschiedenen Ansprechpartner in der Liste von Kandidatinnen und Kandidaten zu verankern. Das Denken der pragmatisierten Parteien ist vorbei. Wir brauchen neue Versuche. Und die können nicht nur im Internet passieren. Man kann mit Instagram und Twitter keine Politik machen.
Stimmung wird dort aber sehr wohl gemacht. Ja, aber mit Stimmungen wird noch keine Politik gemacht. Stimmungen sind das Wasser, das auf eine Mühle geleitet wird, die Mühle sind die Institutionen. Es ist ausschlaggebend, dass rationale, aufgeklärte, soziale, ökologische Politik etwas von diesem Wasser auf die Mühle leitet.