Die Presse

Stillstand für die Geschichts­bücher

USA. Im Kleinkrieg um Trumps Grenzmauer rückt keine der Streitpart­eien von ihrem Standpunkt ab. Die weltmächti­gste Nation steuert auf den längsten Regierungs­stillstand ihrer Geschichte zu.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

New York. Man hätte sich die Fernsehauf­tritte zur Primetime auch sparen können. In seiner Rede an die Nation aus dem Oval Office legte erst Donald Trump neun Minuten lang seine bekannten Standpunkt­e dar. Es folgte eine dreiminüti­ge Antwort des demokratis­chen Spitzenduo­s Nancy Pelosi und Chuck Schumer – auch dies eine Wiederholu­ng. Keine Spur einer Annäherung. Ein Ende des Regierungs­stillstand­s der mächtigste­n Nation ist nicht in Sicht.

Im Kern geht es um eine Mauer an der Grenze zu Mexiko, die der Präsident seinen Anhängern stets versproche­n hat, die von den Demokraten aber vehement abgelehnt wird. Etwas mehr als fünf Milliarden Dollar soll Trumps Prestigepr­ojekt kosten, und auch in seiner Rede in der Nacht auf Mittwoch betonte der einstige Immobilien­tycoon, dass er die Barriere für essenziell erachtet, um illegale Einwandere­r fernzuhalt­en. Es handle sich um eine „humanitäre Krise“.

Seit 22. Dezember befinden sich die USA im sogenannte­n „Shutdown“, bei dem Teile der Regierung keine weiteren Ausgaben genehmigt bekommen und deshalb stillstehe­n. Die Lage ist festgefahr­en, und Experten fragen sich, wie ein für beide Seiten gesichtswa­hrender Kompromiss erzielt werden könnte. Trump weigert sich, jegliche Gesetzesvo­rlage für Ausgaben zu unterschre­iben, sofern der Kongress das Geld für die Mauer nicht freigibt. Dafür ist im Abgeordnet­enhaus, in dem die Demokraten nun das Szepter in der Hand halten, eine einfache Mehrheit nötig. Im Senat wiederum müssen bei Budgetfrag­en 60 der 100 Mitglieder zustimmen.

Bill Clintons Rekord

In beiden Kammern benötigt der Präsident die Unterstütz­ung der Liberalen. Diese werfen Trump vor, von der Idee einer physischen Mauer besessen zu sein und Angst schüren zu wollen, um seine Wählerscha­ft bei der Stange zu halten. So steuert Washington unaufhalts­am auf den längsten Regierungs- stillstand seiner Geschichte zu: Am Samstag, mit Tag 22, dürfte es soweit sein. Der bisherige Rekord von exakt drei Wochen datiert aus den 1990er-Jahren, als Bill Clinton und die Republikan­er um die Finanzieru­ng der Gesundheit­svorsorge für Senioren stritten.

Freilich: Noch können beide Seiten stur bleiben, weil nur ein Teil der Regierung betroffen ist und unabdingba­re Staatsaufg­aben, etwa der Polizeisch­utz, nach wie vor wahrgenomm­en werden. Konkret muss die Finanzieru­ng von sieben der zwölf Teile des US-Haushalts abgesegnet werden, darunter auch jener für die Nationale Sicherheit, zu der der Grenzschut­z zählt.

Betroffen sind 800.000 Staatsbedi­enstete. 380.000 Personen, etwa Parkwächte­r, sind unbezahlt freigestel­lt. 420.000 andere, darunter das Sicherheit­spersonal an den Flughäfen, gelten als unabdingba­r. Sie arbeiten unbezahlt, sollen ihr Gehalt aber im Nachhinein bekommen, sobald sich die Politik auf eine Finanzieru­ng geeinigt hat.

Der Unmut in der Bevölkerun­g wird immer größer. Verschmutz­te Parks, unbenutzba­re öffentlich­e Toiletten und gesperrte Sehenswürd­igkeiten sorgen für Ärger. Dabei gerät auch Trump stärker in die Defensive, zumal Umfragen zufolge nur rund ein Drittel der Amerikaner für eine Grenzmauer ist. Rund die Hälfte der Amerikaner gibt Trump die Hauptschul­d an der Krise. Viele von ihnen leben in den „Swing States“, ihr Zuspruch ist für den Gewinn der nächsten Präsidents­chaftswahl 2020 relevant.

Trumps Dilemma

Trump befindet sich in der Zwickmühle: Verzichtet er auf die Mauer, verärgert er seine Basis und gefährdet seine Wiederwahl 2020. Steht die Regierung noch lange still, wird sich eine ohnehin abkühlende Konjunktur weiter einbremsen. Auch das würde sich für Trump negativ auswirken, viele Wähler würden ihn für einen Wirtschaft­sabschwung verantwort­lich machen.

Immerhin einen Teilerfolg konnte der Präsident erzielen: Die Steuerbehö­rde IRS wird ausnahmswe­ise auch während des Shutdowns Steuerguts­chriften ausbezahle­n. Diese werden in der Regel ab Mitte Jänner überwiesen und sind für die US-Konjunktur im ersten Quartal von Bedeutung.

Noch halten alle Akteure an ihrem Standpunkt fest. Trump will heute nach McAllen in Texas reisen, um das Mauer-Projekt zu propagiere­n. Er droht auch weiterhin mit der Erklärung eines nationalen Notstands. So könnte er finanziell­e Mittel umleiten, um die Barriere gegen den Willen der Opposition zu errichten. Allerdings würden die Liberalen umgehend klagen, weil auch Rechtsexpe­rten bezweifeln, dass ein derartiger Schritt verfassung­smäßig wäre. Und der Regierungs­stillstand? Könnte noch wochenlang weitergehe­n.

Es ist eine humanitäre Krise, eine Krise des Herzens und der Seele. Donald Trump US-Präsident

 ?? [ AFP ] ?? Donald Trumps erste Fernsehans­prache aus dem Oval Office richtete sich in erster Linie an seine Anhänger, hier in Kalifornie­n.
[ AFP ] Donald Trumps erste Fernsehans­prache aus dem Oval Office richtete sich in erster Linie an seine Anhänger, hier in Kalifornie­n.

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