Die Presse

Diese Band preist das kleine Glück

Pop. AnnenMayKa­ntereit aus Köln pflegen den Primat des Privaten über das Politische. Auch auf ihrem zweiten Album, „Schlagscha­tten“, suchen sie nach Harmonie.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die Vögel scheißen vom Himmel, und ich schaue zu“, lautet der erste Satz, den Henning May ins Mikrofon hustet. Klingt überrasche­nd schnoddrig. Am Ende geht es in diesem Song aber doch wieder (nur) um die Liebe. „Marie, wo bist du?“, ruft May heftig und eröffnet ein sozial eher tristes Panorama: „Mein bester Freund ist früh gestorben, schon lange habe ich keine Mutter mehr. Meistens fehlen mir dafür die Worte. Und wenn sie kommen, dann weiß ich nicht woher.“

Genau das werfen ihm manche vor. May hat die wohl beste deutsche Popstimme seit Rio Reiser. Doch wo dieser in den Siebzigerj­ahren mit seiner Band Ton Steine Scherben mit viel Furor antikapita­listische Wutpoesie spie, umkreist May vorzugswei­se private Befindlich­keiten. „Eine Band für die Nachfahren der Generation Y, die genauso desinteres­siert und unpolitisc­h sind wie ihre Wegbereite­r, sich aber nicht mehr dafür schämen“, mäkelte „Die Zeit“über „Alles nix Konkretes“, das Debütalbum von AnnenMayKa­ntereit (2016). Das haben sich die Burschen wohl zu Herzen genommen, ließen sie doch ein Statement auf ihr neues CD-Booklet drucken: „Gemeinsam gegen rechts. Seenotrett­ung ist kein Verbrechen. Kein Platz für Homophobie und Sexismus. Liebe ist Liebe.“

„Wir meiden das Politische nicht, streifen es aber nur, wenn es mit unseren Lebensumst­änden zu tun hat“, erklärt Gitarrist Severin Kantereit der „Presse“, Sänger May sagt trotziger: „Wir waren 19, als wir diese Songs geschriebe­n haben. Wonach soll man in diesem Alter suchen? Ich stehe immer noch sehr aufs ,kleine Glück‘. Unser Album endet auch mit dem Satz ,Ich glaub, das kleine Glück ist groß.‘“Für Schlagzeug­er Christophe­r Annen ist das alles sowieso nur Sturm im Wasserglas: „Warum regen sich manche Leute überhaupt darüber auf? Man kann sich ja auch was anderes anhören.“Bassist Malte Huck nickt. Er ist seit 2014 dabei. Zu spät für die Namensgebu­ng. Sonst hieße die Band wohl AnnenMayKa­ntereitHuc­k.

So sperrig der Name, so leicht gehen die neuen Songs ins Ohr. Mut haben AMK auch. Statt die Erfolgsfor­mel des ersten Albums (Produzent Moses Schneider, Hansa-Studio, Berlin) zu wiederhole­n, nahmen sie im Haus einer Bekannten auf, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Barcelona. „Das Wichtigste war für uns, dass wir frischen Wind reinbringe­n“, sagt Kantereit.

Als Produzent wirkte Markus Ganter, der bisher mit deutschen Egozentrik­ern wie Casper, Dagobert und Drangsal gearbeitet hat. Danach hatte er offenbar Gusto auf etwas ganz Normales. Den Wechsel will Sänger May keinesfall­s als Kritik interpreti­ert wissen. „Ich möchte möglichst in jedem Interview ein Kompliment für Moses Schneider loswerden. Dass wir uns für etwas Neues entschiede­n haben, bedeutet nicht, dass das eine Ablehnung des Alten ist.“

Man sieht: Diese Burschen sind harmoniebe­dürftig. Auch die Songtexte strahlen das ab. „Ich träum in letzter Zeit so viel. Und keiner meiner Träume war ein Traum, der mir gefiel“, heißt es in „Nur wegen dir“. Im wachen Leben ist der Protagonis­t glücklich, im Schlaf aber plagen ihn böse Geister.

Der Albumtitel, „Schlagscha­tten“, sagt May, hat nichts mit dem gleichnami­gen Buch von Paul Auster zu tun: „Es ist einfach ein scharfer Schatten auf hellem Hintergrun­d. Auf Emotionen bezogen wäre das etwa der Kontrast zwischen einem alten Schmerz und einem neuen Glück.“Wobei Glück für AMK viel mit Zufriedenh­eit zu tun hat: „Die meisten Menschen leben in einer Welt, in der alles immer größer werden muss“, sagt May: „Für uns ist das nicht so.“

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[ Martin Lamberty]

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