Webers Pracht in Loys Durchleuchtung
Oper. Das Theater an der Wien bricht eine Lanze für Carl Maria von Webers große romantische Oper „Euryanthe“. Gar so leicht fällt die wichtige Unternehmung jedoch nicht – immer wieder stoßen die Künstler hier an ihre Grenzen.
Die Sieger lassen es sich gut gehen, den Unterlegenen haben sie die Tür gewiesen. Düstere Klänge dringen aus dem Graben – und jeden Moment erwartet man die Worte: „Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!“Doch nein, wir befinden uns eben nicht im „Lohengrin“, in dem das dunkle Paar Telramund und Ortrud seine Wunden leckt, sondern im dritten Akt von Carl Maria von Webers „Euryanthe“. Da sind die Guten in Bedrängnis geraten: die Titelheldin, weil sie in einer schwachen Stunde einer falschen Freundin das Familiengeheimnis ihres geliebten Ritters Adolar anvertraut hat (seine Schwester hat sich selbst getötet und muss seither als Geist auf Erlösung hoffen). Und Adolar, weil er sich a` la „Cos`ı fan tutte“zur Wette auf Euryanthes unverbrüchliche Treue um all sein Hab und Gut hat hinreißen lassen, ohne den Leichtsinn und – zumindest aus heutiger Sicht – auch das Frevlerische, den eigenen Verrat am Privaten daran zu erkennen. Natürlich macht Adolars Herausforderer, Lysiart, gemeinsame Sache mit Eglantine, die sich als verschmähte und daher rachsüchtige Freundin Adolars in Euryanthes Vertrauen einschleicht. Mittels Indizienbeweis scheint die gemeinsame Intrige zu obsiegen . . .
In „Euryanthe“, 1823 am Wiener Kärntnertortheater uraufgeführt, konnte der WeberVerehrer Richard Wagner alles finden, was er für den „Lohengrin“brauchte: ein mythisch idealisiertes Mittelalter; die Konfrontation zweier Paare, eines hellen (Sopran, Tenor) und eines dunklen (Mezzosopran, Bariton) plus königlichem Bass; Motive wie (weiblicher) Verrat und Erlösung; wiederkehrende musikalische Themen, Innovationen und Fi- nessen der Instrumentierung sowie nicht zuletzt eine klug gebaute, durchkomponierte Großform, die mehrfach auf applaustreibende Binnenschlüsse zugunsten kontinuierlicher Szenen verzichtet und alles in wirkungsvollen Ensemble-Finali kulminieren lässt. Dabei ist es falsch, in Weber nur den Proto-Wagner zu sehen. Ginge es in der Musikgeschichte gerecht zu, wäre er jedenfalls nicht so an den Rand des Repertoires geraten. Umso verdienstvoller, dass diese „Euryanthe“einen Weber-Schwerpunkt am Theater an der Wien eröffnet: Im Mai übersiedelt Nikolaus Habjans Inszenierung des „Oberon“von München hierher, sogar der „Frei- schütz“kehrt im März zurück, diesmal konzertant mit alten Instrumenten.
Doch stellt „Euryanthe“eminente Anforderungen, szenisch wie musikalisch – und immer wieder fühlte man, wie die Künstler an Grenzen stießen. Adolar etwa muss über belkantistische Agilität, Tenorschmelz und heldische Kraft zugleich verfügen. Das kann der achtbare, aber letztlich anämische Norman Reinhardt nicht alles abdecken, der einen kriegstraumatisierten Melancholiker darzustellen hat. Deshalb wird viel gestiert und gekauert in Christof Loys schwerblütiger Inszenierung, bei der man manchmal meint, sie unter der eigenen Bedeutungsschwanger- schaft ächzen zu hören. Johannes Leiacker hat dafür einen jener bekannten bourgeoisen Einheitsräume geschaffen, in dessen nobler Kälte sich alles abspielen, spiegeln soll. „Wo berg’ ich mich? Wo fänd’ ich Fassung wieder?“, stößt Andrew Foster-Williams im zweiten Akt hervor – splitternackt.
Was diesen Lysiart antreibt, wird nicht recht klar, er spielt ihn jedenfalls gleichsam von unten hinauf und packt damit mehr als mit seinem vorwiegend kernigen Bariton, der eher farblich als dynamisch modulationsfähig ist. Großartig der erstarrende Kuss zwischen ihm und Theresa Kronthalers erotisch getriebener Eglantine: Diese Verbindung ist von Grund auf freudlos. Zuvor hat Eglantine freilich einmal in Liszt’scher Ekstase auf der Klaviatur der Kabale geklimpert (ein Klavier gehört unweigerlich zur Ausstattung) und auch ähnlich gesungen: furios, aber mit ein paar derben Brusttönen und etwas dünner, scharfer Höhe. Bleiben noch Stefan Cerny, der dem König dröhnende Bassautorität verleiht, und der famose Schoenberg-Chor.
Constantin Trinks am Pult trimmt die Pracht der Partitur in Richtung Schärfe. Wenn die Musik ihre romantischen Schwingen auszubreiten vermag, ist es meist den Bläsern des ORF-Radio-Symphonieorchester Wien zu danken, die in beseelten Soli abheben und in höhere Sphären entschweben. Oder – last, but not least – der Euryanthe: Jacquelyn Wagner schafft es, mit einem in allen Lagen gleichmäßigen Perlmuttsopran und leichtem Trauerflor im Klang durchwegs zu fesseln, in der Lyrik des „Glöcklein im Tale“ebenso wie etwa in den fast isoldenhaften Aufschwüngen zum hohen C.